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Foto: Dieter Wuschanski
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„Kein Mensch darf mehr entstehen“ – Welttheater in Chemnitz: Deutsche Erstaufführung von Péter Eötvös' Oper „Paradise Reloaded (Lilith)“

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Wer das sehen will, sollte sich sputen: Nur sechs Aufführungstermine sind für die Deutsche Erstaufführung der Oper „Paradise Reloaded (Lilith)“ des ungarischen Komponisten Péter Eötvös in Chemnitz verzeichnet. Einmal mehr hat das Haus etwas riskiert, nach Wagnissen wie Franz Schrekers „Der Schmied von Gent“, Hans Pfitzners „Die Rose vom Liebesgarten“ und Péter Eötvös' „Love and Other Demons“ sowie zuletzt Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ ist mit dieser Produktion nichts weniger als ein Menschheitsmythos auf die Bühne gekommen. In Gegenwart des Komponisten hatte das vor eineinhalb Jahren in Wien uraufgeführte Werk nun seine Deutschland-Premiere.

Wer das sehen will, bekommt was zu hören: Nur etwa 90 Minuten Musik, die aber derart gehaltvoll und abwechslungsreich, dass es für einen ganzen Opernalmanach gereicht hätte. Eötvös kann Eindruck zaubern, mal mit ganz leisen Tönen, mal mit aufbrausendem Orchesterapparat, er illustriert das Geschehen, schafft Stimmung und Farbe, lässt etwas flirren, setzt Akzente und überrascht, er baut Erwartungen auf, erfüllt und übertrifft sie sogar. Der große Praktiker unter den Tonsetzern seiner Generation schöpft seine musikalische Sprache aus dem eigenen Handwerk als Dirigent und ergänzt die unstillbare Einfallskraft mit dem enormen Fundus der Tradition. Auch in diesem Werk klingen dramaturgisch absolut plausibel Fragmente und Zitate der Musikgeschichte an, freilich nicht um ihrer selbst willen, sondern stimmig aus dem Original herausgemeißelt und treffsicher ins neue Material hineingesetzt.

Wer das sehen will, sollte ein klein wenig vorbereitet sein und in der legendären Paradiesgeschichte geblättert haben, wo man auf Apfel und Schlange, auf Adam und Eva stößt, nicht aber auf den Namen Lilith. Die Chemnitzer Oper, wenn sie schon ein solches Stück stemmt, ist aufs Ganze gegangen und hat der Premiere ein Extra vorangestellt, in dem ein mit Pfarrerin, Blondine und Psychiater bunt besetztes Podium gemeinsam mit dem Komponisten und der Regisseurin Helen Malkowsky über die Rolle dieser Lilith diskutieren wollte. Es ging da um Mythos und Mutterrolle, um Frauenquote und Gottesbegriff; warum sich der Mensch aber diesen märchenhaften Ideenraum geschaffen hat und wieso die (männlichen!) Bibelautoren die starke Frau Lilith nicht nur aus dem Paradies vertrieben, sondern auch aus diesen „heiligen“ Schriften getilgt haben, kam reichlich zu kurz. Ist es nicht so, dass diese männliche Geschichtsschreibung dem Ursymbol Adam keine ebenbürtige Lilith zutrauen wollte, stattdessen eine unterwürfige Eva aus seiner Rippe (!) schneidern ließ und sich später gar eine jungfräulich gebärende Marienfigur ausgedacht hat?

Hörbilder, Legendenbildung und ein brennender Baum

Auf der Paradies-Bühne ging es nach diesem Disput weit deutungsvoller zur Sache. Irdig tönte da zu Beginn die Große Trommel, stimmte ein auf ein Urwetter, von peitschenden Glissandi getrieben. Eötvös hat einen dramatischen Kosmos geschaffen, der aus dem Graben die Hörbilder liefert, in denen Albert Ostermaiers aus Uralt-Legenden gezimmertes Libretto wie eingezeichnet ist. Oder doch umgekehrt? Rankt sich die Musik um die krude, auch vor Plattheiten nicht scheuende Sprache? Das opulente Klangwerk offenbart Ornamente, ist mit Hintersinn und Witz gespickt, wie es in der zeitgenössischen Musik rar geworden ist. Dass Übertitel zum Mitlesen einladen, war angesichts der höchst sanglichen Diktion und der überzeugenden Umsetzung kaum nötig. Auch die figurativ eindeutige Bildsprache gefallener Engel – hier: Rabbi, Kathole und Protestant, (sicherheitshalber?) aber keinerlei Mohammed-Karikatur – war aussagekräftig genug.

Gefallene Engel im Hotel Eden

Helen Malkowsky verlegte das paradiesische Drama aus Urzeiten in ein schäbiges Hotel eines Irgendwann im Irgendwo. An Unschuldsflügeln schwebt Erzengel Lucifer in diese Un-Welt, trifft auf Adam und Eva als vermeintlich ideales Paar, dessen Reinheit nur Lilith mehr und mehr stört. Will sie sich an ihrem einstigen Mann rächen, ist sie wirklich die Kinderräuberin, zu der sie spätere Deutungen diffamiert haben? Oder passte solch ein Weib auf Augenhöhe – in diesem Fall stellt sie den Schwächling Adam gar noch in den Schatten – einfach nicht ins „göttliche“ Konzept?

Mit viel Raffinesse haben sich Ostermaier und Eötvös eine teuflische Wette einfallen lassen, in der es geradezu faustisch darum geht, ob die Menschheit gerettet zu werden verdient. Vor den Toren dieses Hotel Eden tauchen Adam und Eva in die geschundene Welt ein, werden mit Krieg und „gleichgeschalteten“ Wesen konfrontiert, springen zwischen Urzeit und Zukunft, überstehen einen verschluckten Apfel und vergiftetes Wasser. In ziemlich eindeutigem Schwarz-Weiß stehen sich Lilith und Eva gegenüber, sind zum Schluss aber beide schwanger vom (ansonsten arg schmalbrüstig gezeichneten) Adam und tauschen ihre Kleiderfarben. Dieser Effekt scheint recht mager, die Einsicht, dass in jeder Eva ein Stück Lilith steckt – und umgekehrt –, ist nicht ganz neu.

Doch faszinierend wird so vorgeführt, wie sehr das menschliche Leben aus Angst und Trieb besteht, aus Lust und Kampf, aus Furcht und Flucht in mancherlei Glauben. Die Welt ist eine Reflexion, in der auch mal ein Dornbusch als Baum der Erkenntnis abgefackelt werden darf.

Die Vorlage bietet Aktualitäten zur Genüge, wir fühlen uns unbestimmt angesprochen, wenn es um Migration geht – zumal Adam und Eva als die ersten in einer Geschichte beschriebenen Vertriebenen gelten –, um Gleichberechtigung und Vorherrschaft, um Hoffnung und Vergeblichkeit. Trotz der aus Beethovens Neunter kurz anklingenden Brüderlichkeit geht die Wette schlecht aus, der Menschheit ist nicht zu helfen: „Es muss zu Ende gehen. Kein Mensch darf mehr entstehen.“

Gewaltige Dimensionen werden da verhandelt und brechen sich vor allem musikalisch Bahn. Generalmusikdirektor Frank Beermann und die Robert-Schumann-Philharmonie sind Eötvös-erfahren genug, dass sie dessen Klangkosmus zum Leuchten bringen. Auch Marie-Pierre Roy und Frances Pappas als Eva und Lilith schenken sich nichts und erfüllen ihre konträren Partien mit spröder Zartheit und geradezu fleischig zupackendem Timbre. Der Adam von Mark Van Arsdale ist schlank geführt und entspricht stimmlich wie darstellerisch diesem letztlich verzweifelnden Ur-Sünder. Durchtrieben, mit Schalk im Spiel und in der Stimme, gestaltet Holger Falk einen teuflischen Meister, der angesichts des menschlichen Götterglaubens nur mehr aufgeben kann.

Wer das sehen will, wird mit der Regie von Helen Malkowsky gut leben können, denn im Bühnenbild von Hermann Feuchter und mit Kostümen von Henrike Bromber lässt sie der paradiesischen Tragödie freien Lauf, führt die Ensembles gekonnt und erfindet den Garten Eden nicht neu.

  • Termine: 25., 28.3., 4., 18. sowie 28.4.2015

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