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Samuel Chan (Dandini) | César Cortés (Don Ramiro) | Junggeun Choi (Alidoro) | Clara Fréjacques (Tisbe) | Xiaofang Zhao (Clorinda). Foto: © Olaf Struck

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Kiel: Rossinis „Cenerentola“ in einer sinnenfrohen Märchenvariante

Vorspann / Teaser

Die Oper KieI wirbt für ihre neueste Inszenierung mit einem merkwürdigen Plakat. „Aschenputtel“ ist darauf in großen Lettern zu lesen. Nur beim Herantreten entdeckt man über dem „A“ und dem „s“, dem Tritonus der ersten beiden Lettern, winzig „Gioachino Rossini“. Was er komponiert hat, „La cenerentola“, füllt die Zeile darunter nicht einmal halb und ist entsprechend klein gedruckt. 

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Als zentrales optisches Element blickt eine Schönheit in Lebensgröße herab, versonnen lächelnd. Später, wenn man die Oper gesehen hat, weiß man, dass es Mara Gaudenzi ist, die Darstellerin der Märchenmaid. Dass sie es sein soll, kann man zunächst allenfalls vermuten, wenn man das verhaltene Weiß ihrer Bluse und ihres Rocks richtig deutet sowie den hellblauen Vorhang dahinter. Was sie aber in den Händen hält, eine glitzernde Partykugel, ist dann doch wieder nicht mit dem zu vereinen, was ein kreisrunder Fleck links neben ihrem Kopf verrät: „AB 09.03.24“ und darunter klein, aber in Majuskeln „FAMILIENOPER“. 

Wie das? Wagt man nicht mit Rossini zu werben? Das Plakat wirkt eher wie eine Einladung zu einem Kostümball für die, die von einem Märchenprinzen träumen. Erst drinnen im Opernhaus verrät das Programmheft mehr. Dort sind „ASCHENPUTTEL“ und der originale Titel „LA CENERENTOLA“ gleichberechtigt vereint. Sogar zu Rossini bekennt man sich. Sein Name ist trotz der kleineren Schrift lesbar. 

Das Plakat will offenbar nur den ausgesprochenen Märchenkenner locken. Tatsächlich ist es schwer, all die Fassungen dieses weltweit beliebten Märchens zu kennen. Die Protagonistin wird selbst in unserem Sprachraum von den Gebrüdern Grimm zunächst „Aschenputtel“ genannt, bis sie Ludwig Bechstein ein paar Jahrzehnte später in „Aschenbrödel“ umtauft. In England heißt sie Cinderella, Cendrillon in Frankreich, in Tschechien Popelce oder Popelku und in Italien eben Cenerentola, um nur ein paar ihrer europäischen Alter Egos zu nennen. Sie sind immer mit Varianten in der Handlung verbunden, auch in Kiel. 

Sarah Kohrs’ Inszenierung geht sehr frei von der Variante aus, die Jacopo Ferretti, Rossinis Librettist, geschaffen hat. Was die Übertitelung aber bietet, hat oft nichts mit Übersetzung des Gesungenen zu tun. Der Text ist erfrischend frei, hauptsächlich bei dem, was Dandini von sich gibt, der Coverboy des verliebten Prinzen Don Ramiro. Der Inszenierung gelingt es damit, die Rollen zu erweitern, da gleich auf ein paar andere Versionen angespielt wird. Immerhin trägt die Protagonistin ihren gängigen Namen Angelina. Aber sie verliert einen Schuh wie einst bei den Grimms, nur in einem anders begründeten Fluchtmoment und unwichtig für die Überführung der Verehrten. Er liegt lange auf der Bühne herum, bis er ohne Folgen weggeräumt wird. Ferretti dagegen hat ihr als Identitätsnachweis ein Armband zukommen lassen. Und ihre ballfähige Ausstattung wird ihr von Alidoro, dem übermächtigen Beschützer der von der Familie Erniedrigten, als Kern einer riesigen Nuss ausgehändigt. Das mag die verwirren, die sich alle Jahre wieder durch „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ in Feststimmung setzen lassen, nur die nicht, die bereit sind, in ihr die Glitzerkugel auf dem Plakat wiederzuerkennen. 

Dieser Alidoro (Junggeun Choi mit charaktervollem Bass), bei Ferretti Philosoph und Erzieher des Prinzen, wird in Kiel zu einem Spiritus Rector mit blauem Bart und rotem Hut. Er fuchtelt viel mit einem Zauberstab herum, der dem gleicht, mit dem zu Rossinis Zeiten dirigiert wurde. Gutwillig könnte man das als Verweis auf eines Dirigenten übersinnliche Tätigkeit verstehen, auf seine lenkende Kraft. Auch Alidoro besitzt sie, wenn er aus der seitlichen Kulisse oder sogar wie eine Taube (die Grimms grüßen!) von oben herabschwebend die Geschicke der Cenerentola lenkt. 

Was die Italiener um Ferretti und Rossini einst aufklärerisch versachlichen wollten, wird hier also wieder märchenhaft (v)erklärt. Selbst die Choristen sind kafkaesk zu Käferwesen mutiert, tragen Kappen auf dem Kopf und, Insekten gleich, Fühler darauf. Mit Geh- und anderen Röcken und mit Sternen besetzten Strümpfen kleidet sie Christine Hielscher mystisch angehaucht. Auch das weitere Personal bekommt andere Akzente. Auffällig ist das bei Don Magnifico, Angelinas Stiefvater. Matteo Maria Ferretti fühlt sich mit seinem lebhaften Bariton offensichtlich wohl in der schrillen und goldglänzenden Robe, die den Eindruck von Geldnot überzeichnet. Für äußeren Pseudoschick und viel Wein ist er bereit, seine beiden leiblichen Töchter (Clara Fréjacques als Tisbe und als Clorinda Xiaofang Zhao) zu verkuppeln. 

Das grotesk Komische, begünstigt durch den wenig pompösen Quasipalast mit Kellerräumen, wird auf der Drehbühne (Nina Sievers) zu glatt in Szene gesetzt, fördert dagegen die Kellermeisterszene, in der Don Magnifico als Dionysos auf einem Streitwagen wie ein Büttensänger auftritt. Auch Dandini, dem mit großem Geschick Samuel Chan seinen spielerisch leichten Bariton leiht, gelingt seine Rolle vortrefflich. Anderes, wie das Gezanke der beiden Stiefschwestern, hätte variabler geformt sein können. Dennoch wird für den, dem diese Oper neu ist, viel Anlass zum Applaudieren gegeben.

Wichtig für den Erfolg ist natürlich das Liebespaar, denn Rossini hat diesen Rollen bemerkenswerte Partien geschrieben. Dem Alt der Cenerentola mutet er, neben Charaktervollem, den Tonraum auslotende Koloraturen zu. Sie wachsen mit dem Selbstbewusstsein der Angelina, die Mara Gaudenzi mit großer Sicherheit meistert. Ihre warme Stimme ist die eigentliche Entdeckung des Abends. Obwohl auch er schön und sicher singt, fällt César Cortés als Ramiro etwas ab. Er hat sich gleich nach zwei Seiten durchzusetzen, als Prinz, der Dandini, seinem Double, die Stirn bieten muss, und als Liebhaber, der Angelina seine Integrität beweisen will. Nicht einfach, wenn die Inszenierung wenig hilft. 

Es ist primär das Musikalische, das diese Inszenierung auszeichnet. Gestützt durch das Kieler Orchester (Leitung Daniel Carlberg), das fein und durchsichtig aufspielt, ist es eine Lust, ihm zuzuhören. Das Orchester hat eine Reihe von guten Bläsern, die Klarinetten zum Beispiel, auch die Fagotte. Besonders schön aber ist der Einsatz der zwei Naturhörner, die vor allem den Bass schlank und beweglich machen und das italienische Leggero einbringen.

Auch wenn die Generalprobe aus terminlichen Gründen den Eindruck dieses Glückstraums einer sozial Entrechteten lieferte, hatte man in nur wenigen Momenten das Gefühl, dass zwei Tage vor der eigentlichen Premiere mit gebremster Kraft agiert wurde. Allenfalls bei grotesker Komik mochte das sein. 

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