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Anne Mueller (Senta) und Goetz Schubert (Holländer) sowie das Ensemble.Foto: © David Baltzer
Anne Mueller (Senta) und Goetz Schubert (Holländer) sowie das Ensemble.Foto: © David Baltzer
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Klappe zu, Holländer tot? – Baumgarten hinterfragt am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg die Ballade vom Fliegenden Holländer

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Bei ambitionierten Regisseuren landet der intellektuelle Ertragsüberschuss der Einarbeitung in einen Stoff oft im Programmheft. Was dann schnell zu Studienheft für Modephilosophen wird. Sebastian Baumgarten (45) macht daraus jetzt im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg einen eigenen Theaterabend: „Die Ballade vom Fliegenden Holländer“. Die dazugehörige Wagner-Oper hatte er im vorigen Jahr als originelles Jahrmarkts- und Grusel-Theater in Bremen auf die Bühne gebracht. Von dem nun quasi nachgereichten Einhundertminuten-Abend lässt sich gar nicht genau sagen, was er eigentlich ist.

So wie sich dieser Regisseur überhaupt weder dem Schauspiel noch der Oper zuordnen lässt. Hinzu kommen eine ungebrochene Neugier auf Kontexte und die Lust an der Dialektik. Das ist eine Mischung, die Vorzüge hat, Risiken birgt und ein aufgeschlossenes Publikum braucht.

Sein gemeinsam mit dem Dramaturgen Jörg Bochow erarbeitetes Holländer-Stück ist eine Melange aus referierter Überlieferung, philosophischem Diskurs, düsterer Science-Fiction, Theater mit Laienspielcharme und einer hochprofessionellen Mephisto-Variation, einer anspielungsreich griffigen Video-Musik-Collage und einer Bühne von einem eigensinnigen bildenden Künstler. Als Wegweiser für diese Wanderung durch ein ganzes Hochgebirge von historischen und gesellschaftlichen Assoziationen und Bezügen zur Wirklichkeit und zum eigenen Werk, dienen das Personentableau und der Plot aus Wagners Oper, denen Motive der Holländer -Annäherungen von Filzball, Hauff, Heine, Hudtwalcker, Marryat u.a. gleichsam zugeordnet werden. Daland und der Holländer, Senta und Erik, Frau Mary und der Steuermann, alle sind da und alle (auf den zweiten Blick) auch wieder zu erkennen.

Ein historischer Schnelldurchlauf katapultiert uns per Videoclip aus der Vergangenheit bis in die düsteren 70er Jahre des 21. Jahrhunderts. Hier ist Daland (Aljoscha Stadelmann) der Anführer in einem sektenähnlichen, reinrassig weißen Zukunfts-Volksstaat am Kap. Eine Mischung aus Burenführer und Prophet, der Senta mit einem Elektroschocker ruhig stellt. Der Holländer (Götz Schubert) ist ein nihilistisches, latex-schwarzes Teufelswesen aus der Kiste. Während Erik (Paul Herwig) im Kreise seiner Jünger daherkommt wie Jesus in der Wüste und redet, als hätte er sich gerade sämtliche Modephilospophen von heute wie eine Droge eingeworfen, was ihm bei seiner Senta (Anne Müller) auf Selbsterfahrungs- und Holländererlösungstrip rein gar nichts nützt. Dass die Spinnstube bei alledem zu einem religiös geschlossenen System mutiert, das im wahrsten Wortsinn Käse produziert, und Frau Mary (Sasha Rau) wie von Orwell geborgt auftritt, ist da nur konsequent.

Ganz am Ende, wenn sie mit der Seilwinde die Bühnenkiste von Joep van Lieshout schließen und Dampf durch die Ritzen steigt, entschwinden Senta und der Holländer tatsächlich in den höllisch rot gefärbten Videohimmel. Und die originelle, sich an jede Aktion anschmiegende oder sie konternde, atmosphärische Assoziationen weckende oder sie konterkarierende, jede Lücke füllende und ihren eigenen disparaten Sound folgende Musik von Hauschka (Volker Bertelmann) und seinen zehn Musikanten, steuert einen dissonanten Schlusspunkt bei.

Wenn man diesen Abend mit Baumgartens Inszenierungen der letzten Jahre vergleicht, dann ist er keineswegs so rätselhaft wie es auf den ersten Blick scheint. Er hat offenbar Freude daran, seinen dialektischen Witz an Motiven und Fragestellungen mit ästhetischen Mittel zu schärfen, mit denen er auch schon Wagners „Tannhäuser“ oder dem „Don Giovanni“ zu Leibe gerückt ist und damit die Sichtweisen auf diese Stücke „ver-rückt“ hat. Das Entlarven von Utopien und Heilserwartungen, die tödliche Dynamik geschlossener Systeme und das Spiel mit allen Mitteln des Theaters gehören bei ihm dazu. Und fügen sich zu einem Theaterabend eigenen Rechts.

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