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Klassik im Eiskeller – Die Clinker Lounge wird zu Berlins Kammermusik-Hotspot

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Die Backfabrik, jene einstige Großbäckerei unweit vom Alexanderplatz, ist ein riesiger Komplex. Am Rand des fußballfeldgroßen Innenhofs führt eine unscheinbare Tür zu einer Wendeltreppe. Hinab geht es in unterirdische Gefilde, in die einstige Eishalle. Seit Mitte 2018 finden hier die „Clinker Lounge Concerts“ statt.

Klassische Musik im Club-Ambiente – das liegt seit Jahren im Trend. Allein in Berlin buhlen diverse Veranstalter um jene Klassikfreunde, die es zwanglos mögen: von der rbbKultur Klassik Lounge über den Piano Salon Christophori bis zu Blackmore‘s Musikzimmer.

Stets geht es darum, klassische Musik jenseits „steifer“ Aufführungstraditionen erleben, hautnah an den Musikern dran, in lässiger Atmosphäre, gern mit der Bierflasche in der Hand. Der Erlebniswert des Konzerts gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Da reihen sich die Clinker Lounge Concerts nahtlos ein. „Die Intimität, mit der die Zuschauer die Aufführungen erleben, ist ein zentraler Wert der Konzertreihe“, erzählt Judith de Haas, eine der beiden künstlerischen Leiterinnen. „Diese Nähe entsteht auch durch die offene Einrichtung des Raumes. Vor oder nach dem Konzert können die Besucher mit den Künstlern ins Gespräch kommen.“ Zwei Mal im Monat laden die Clinker Lounge Concerts ein. Kerzen sorgen dann für stimmungsvolles Licht. Das Publikum ist jung, weltläufig und überwiegend Englisch sprechend.

Mitte Dezember gastierte hier das Rothko String Quartet, das sich ein ambitioniertes Programm mit Musik aus vier Jahrhunderten, in verschiedenen Besetzungen erlaubte; von Solo bis Quartett. Im ersten Teil bildeten Bachs Goldberg-Variationen einen roten Faden. In einer Fassung für Streich-Trio, die das polyphone Geflecht besonders deutlich zum Vorschein bringt.

Zwischen die einzelnen Variationen wurden nahtlos neuere Stücke eingeschoben. Zunächst erklingen zwei Bagatellen von Anton Webern. György Kurtágs virtuos wimmerndes Geigensolo „Doloroso“ spielt William Overcash dann auf der Brüstung. Für Enno Poppes „Haare“ mit seinen sprechenden Gesten verzieht er sich in den Bar-Bereich und wird für das Publikum unsichtbar.

Die räumliche Situation der Clinker Lounge mit ihren zwei Ebenen und den raumteilenden Sockeln bietet viele Möglichkeiten. Die Programmmacherinnen koppeln Musik gern mit Lesungen, Tanz oder Performance. Sie organisieren Kinderkonzerte, die im nachwuchsreichen Prenzlauer Berg auf großen Anklang stoßen. Bei den regelmäßigen „Moon Sessions“ machen Musiker diverser Genres ihre Film- und Tonaufnahmen vor Publikum. Die weiß gekachelten Mauern des Eiskellers sorgen nicht nur für ein schickes Loft-Ambiente, sondern auch eine gute Akustik.

Mäzen dieses kleinen, feinen Veranstaltungsorts ist Hargen Bartels, der Inhaber der Backfabrik. Er wünschte sich klassische Kammermusik auf dem Gelände, stellt die Räumlichkeiten zur Verfügung und hat für die künstlerische Leitung zwei Teilzeitstellen eingerichtet.

„Was wir einnehmen, geht komplett an die Musiker“, meint Judith de Haas, die mit ihrer Mitstreiterin Lea Schwamm sämtliche anfallenden Arbeiten erledigt. Von Booking und PR bis zu Bestuhlung und Lichttechnik.

Die beiden sind eigentlich sind Geigerinnen; Judith de Haas hat auch ein Kulturmanagement-Studium absolviert und betreut die Kommunikation des Scharoun Ensembles der Berliner Philharmoniker. Lea Schwamm arbeitet auch im Vorstand des Kammerorchesters ensemble reflektor.

Die laufenden Kosten der Clinker Lounge Concerts dürfte Hargen Bartels aus der Portokasse bestreiten können, zahlen doch die über 35 Unternehmen, die sich in der Backfabrik einmieten stolze 30 Euro pro Quadratmeter. Der Standort in zentraler, traditionsreicher Lage hat seinen Preis.

Ende des 19. Jahrhunderts belieferten die Gebrüder Aschinger von hier aus ihre Eckkneipen mit Erbsensuppe. Nach dem Krieg wurde unter der Flagge „VEB Backwarenkombinat“ ganz Ost-Berlin mit Brot und Schrippen versorgt. In der Eishalle, der heutigen Clinker Lounge, entstand damals das beliebte, sündhaft fettreiche „Moskauer Sahneeis“. Nach der Wende wechselten die Nutzer in bunter Folge, bis Hargen Bartels im Jahr 2000 die Immobilie ersteigerte.

Den zweiten Teil des von uns besuchten Konzerts gestaltete das Rothko String Quartet als Auftakt zum Beethoven-Jahr. Vom Humor des Jubilars zeugt dessen „Duett mit zwei obligaten Augengläsern“. Für welche Wiener Brillenträger an Bratsche und Cello Beethoven das Duo schrieb, ist unbekannt. Vermutlich waren sie eher konservative Naturen, erinnert doch die Musik an die Mannheimer Schule.

Mit seinem ersten Quartettzyklus op. 18 hingegen schlug Beethoven neue Wege ein. Das Rothko String Quartet veranschaulicht das anhand des langsamen Satzes, mit dem der Komponist das pathetische, dramatische Adagio erfand. In diesem theatralischen Dialog für vier Instrumente reizten die Musiker die Spannbreite vom zartesten Pianissimo bis zum Fortissimo aus.

Stellvertretend für Beethovens Erbschaft im 20. Jahrhundert stand schließlich das „String Quartet“ auf dem Programm, das Earle Brown 1965 für Donaueschingen schrieb. Es bietet eine Fülle an pochenden, klopfenden Geräuschen und lässt den Musikern innerhalb der fixierten Form Freiräume zur Improvisation.

In der profitorientiert arbeitenden Sphäre der großen Konzertveranstalter hätten solche, mit Raritäten und neuen Klängen gespickten Programme kaum eine Chance. Sie gedeihen viel besser in liebevoll gehegten Nischen wie der Clinker Lounge.

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