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Musica non grata | Alexander Zemlinsky: Kleider machen Leute. Foto: © Serghei Gherciu
Musica non grata | Alexander Zemlinsky: Kleider machen Leute. Foto: © Serghei Gherciu
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„Kleider machen Leute“? – Leute machen Kleider und werden für Grafen gehalten, obwohl sie Schneidergeselle sind

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Die Staatsoper Prag setzt ihre verdienstvolle Reihe „Musica non grata“ mit der Wiederentdeckung von Alexander Zemlinskys Gottfried-Keller-Adaption fort.  Musica non grata, unerwünschte Musik, kann es das überhaupt geben? Leider ja, in Despotien und Diktaturen kann es das geben. Bekanntlich auch in der deutschen Vergangenheit, als die Nazis von „entarteter Musik“ sprachen und jüdische Künstlerpersönlichkeiten erst vom Kunstleben ausschlossen, sie dann verfolgten und zuletzt ihrer Vernichtungsmaschinerie preisgaben.

Unter diesem Titel „Musica non grata" richtet das Nationaltheater Prag eine auf vier Jahre angelegte Veranstaltungsreihe mit Konzert, Oper und Operette sowie einem umfangreichen Begleitprogramm aus, um verfemte Komponistinnen und Komponisten zu rehabilitieren und deren Werke einem breiteren Publikum wieder vorzustellen. Mit finanzieller Unterstützung durch die deutsche Botschaft soll so insbesondere das Prager Musikleben zwischen 1918 und 1938 wieder ins Bewusstsein geholt werden. Am Staatstheater der tschechischen Hauptstadt hat die Oper „Kleider machen Leute“ von Alexander Zemlinsky diese höchst verdienstvolle Reihe nun fortgesetzt.

Wer bei diesem Titel zuerst einmal an Gottfried Keller denkt, beweist gute Schulbildung oder aber Belesenheit. Denn dessen Novelle aus dem 1874 erschienenen und noch heute bekannten Band „Die Leute von Seldwyla“ nahm sich Alexander Zemlinsky zur Vorlage für seine gleichnamige Oper. Ein Text, der mehrfach vertont und auch verfilmt worden ist. Zemlinsky hat sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts damit beschäftigt und zwei Versionen in Wien präsentiert, bevor er 1922 die heute noch gültige Prager Fassung schuf, uraufgeführt am damaligen Neuen Deutschen Theater, der heutigen Staatsoper. Die hätte ihre Neuproduktion nun sicherlich gern mit dem 100. Jubiläum verknüpft, doch die Corona-Pandemie machte der ganzen Reihe „Musica non grata“ erhebliche Probleme.

Dass Zemlinkskys Oper nun just am 24. Februar herausgekommen ist, genau ein Jahr nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, könnte auf den ersten Blick despektierlich wirken, denn wie eignet sich solch ein Datum für eine Musikalischen Komödie? Wenn man jedoch die ebenso tragischen wie verbrecherischen Umstände der „entarteten Musik“ berücksichtigt, scheint das Premierendatum geradezu evident. Schließlich wurde auch Alexander Zemlinsky, der Schönberg-Lehrer mit Engagements unter anderem in Berlin, Wien und eben als Musikdirektor in Prag, trotz seiner enormen Begabung vor den Nazis die Flucht ergreifen, um sein Leben zu retten. Er starb 1942 in den USA und wurde anschließend erst einmal weitgehend vergessen. Dieses Schicksal denkt man auch bei dieser wunderbaren Komödie automatisch mit, die freilich schon eine gewisse Renaissance an der Volksoper Wien sowie an kleineren Bühnen wie Eisenach, Osnabrück und Görlitz erleben durfte.

Graf wider Willen

Zemlinsky hat seinen frühen Wiener Dreiakter 1922 für Prag in zwei Akte mit Vorspiel komprimiert und das Ganze hübsch in der reichlich tümelnden Gesellschaft von Seldwyla belassen. Von der hat aber der Schneidergeselle Wenzel Strapinski die Nase gestrichen voll und sucht das Weite. Weil er aber einen schönen Mantel mit edler Zobelmütze trägt (seine Gesellenstücke) und zufällig von einer herrschaftlichen Kutsche mitgenommen worden ist, hält man ihn im nahen Goldach für einen Grafen, der flugs hofiert und beköstigt wird, weil man sich untertänigst auf diesen Besuch etwas einbildet. Nettchen, Tochter des dortigen Amtsrats verliebt sich gar in ihn – er sich ebenfalls in sie – und alles hätte ganz wunderschön enden können. Muss aber auffliegen, weil dieses Nettchen auch von einem anderen begehrt wird, vom biederen Melchior Böhni, der Wenzels wahre Identität aufdeckt …

Dabei hat der Ärmste sich ja nie als Graf ausgegeben! Eben darin liegt sein Dilemma. Er hat Gewissensbisse und will trotz seiner Liebe zu Nettchen schnellstmöglich verschwinden. Die aber, als sie die Wahrheit erfährt, will gar keine Gräfin werden, sondern gern auch die Gattin des Schneiders. Denn sie liebt ihren Wenzel tatsächlich und legt keinen Wert auf Adelspopanz und Titel.

Das alles ist in reichlich zwei Stunden flott erzählt und von Regisseurin Jetske Mijnssen im sehr funktionellen Bühnenbild von Herbert Murauer raffiniert umgesetzt worden. Das Zentrum der Bühne ist ein riesiger Zylinder, um den herum sich die ganze Handlung dreht. Wenzels Abschied von Seldwyla, die Ankunft in Goldach, das große Festmahl dort, die Intrigen sowie die Verlobung und eben das Happy End – alles sehr kurzweilig und humorvoll realisiert, zum Schluss sogar mit etwas Slapstick gewürzt – mehr kann man von dieser Komödie gar nicht verlangen. Zumal sie auch musikalisch absolut überzeugend reanimiert worden ist.

Expressive Moderne, Walzerseligkeit und Sentiment

Alexander Zemlinsky hat für die Prager Version von „Kleider machen Leute“ eine wunderbar vielfältige Handschrift entwickelt und die (nein: seine!) expressive Moderne des frühen 20. Jahrhunderts anspielungsreich mit Walzerseligkeit à la Johann Strauß und Richard Strauss sowie auch mal mit dem Sentiment eines Giacomo Puccini zu würzen gewusst. Das Orchester der Staatsoper Prag hat seinen Part unter der litauischen Dirigentin GiedrÄ— ŠlekytÄ— mit unglaublichen Klangfarben versehen und das Bühnengeschehen fantastisch begleitet. In den wuchtigen Zwischenspielen durfte es großartig aufblühen, zu den Gesangsparts nahm es sich wohltuend zurück – verbunden mit den durchweg starken Leistungen des Opernchores sowie sämtlicher Solistinnen und Solisten geriet dieser Abend zu einem Fest für Zemlinsky und seine Musik. Als Schneider Wenzel entwickelte der US-amerikanische Tenor Joseph Dennis mit großem Charme und schneidig schöner Stimme enorme Ausdruckskraft, sein eifersüchtiger Gegenspieler Melchior Böhni wurde von Markus Butter ebenso glaubhaft wie mit spielerisch-sängerischer Präsenz umgesetzt. Der absolute Star des Abends war jedoch – obwohl das gesamte Ensemble uneingeschränkt überzeugte – die Sopranistin Jana Sibera vom Ensemble des Hauses, die als verführerisch verliebtes Nettchen eine große Bandbreite mimischer, tänzerischer und vor allem vokaler Leistungen abspulen konnte. Gesungen wurde übrigens in deutscher Sprache, durchweg absolut textverständlich und bestens prononciert.

In summa also alles in allem eine ebenso sehens- wie hörenswerte Rarität, die an der Staatsoper Prag mit Alexander Zemlinkys „Kleider machen Leute“ wiederentdeckt worden ist.

  • Termine: 26.2., 3., 9. und 18. März 2023.

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