Die beste aller möglichen Versionen? In Regensburg wird Leonard Bernsteins „Comic Operetta“ nach Voltaire mit Loriots Texten erzählt und live mit Bildern „untermalt“. Oder läuft das mit der Untermalung eher umgekehrt?
Schon während sich der Zuschauerraum füllt, kommuniziert das Illustratoren-Team mit dem Publikum. „Sie sind aber spät dran!“ steht da zum Beispiel auf einem vorbereiten Zettelchen. Passgenau wird es zur Erheiterung der Pünktlichen auf den Zeichentisch gelegt, dessen großflächige Projektion den Bühnenaufbau beherrscht. Dort ist hinten, halb sichtbar, das Orchester postiert, während auf dem abgedeckten Orchestergraben der Chor und die Zeichner ihren Platz finden.
Gespielt wird in Regensburg jene revidierte Konzertfassung des „Candide“, die sich – nach dem Flop der szenischen Urfassung von 1956 und weiteren Versionen – ab 1988 weitgehend durchsetzte. Die Zwischentexte stammen von Loriot, der kurzfristig eingesprungene Meinhard Zanger erzählt die haarsträubende, von Land zu Land, von Katastrophe zu Katastrophe springende Handlung mit dem passenden nonchalant-ironischen Tonfall, ohne freilich das unnachahmliche Timing des Autors zu erreichen. Die Sänger agieren in Konzertkleidung mit sparsamen Aktionen und Requisiten.
Der Clou dieser vom Regensburger Dramaturgen Ronny Scholz als Regisseur verantworteten Produktion, die vor gut einem Jahr schon in Münster zu sehen war, ist aber die Live-Bebilderung durch Robert Nippoldt (assistiert von Florian Toperngpong). Wie er mit verschiedenen Mal- und Zeichentechniken ad hoc oder mit vorbereiteten Elementen die Solonummern und Ensembles illustriert und kommentiert, sprüht vor Witz und Imaginationskraft. Zu Dr. Pangloss’ Unterricht in Sachen „beste aller möglichen Welten“ wird mit Kreide gemalt, zum Einfall der Bulgaren ins westfälische Schloss werden Scherenschnittfiguren gemeuchelt, die divergierenden Lebensentwürfe von Candide und seiner angebeteten Kunigunde spiegeln sich in einer aneinander vorbeilaufenden Emoji-Konversation wider.
Dass die Aufführung weit mehr ist als ein Recycling aus Münster, zeigen die vielen, zum Teil durchaus bösen Anspielungen auf Regensburger Verhältnisse, nicht zuletzt in Form einer köstlichen Sonderausgabe 1759 der örtlichen Tageszeitung, die zusammen mit der musikalisch außergewöhnlich ergiebigen Werkeinführung des Regisseurs verteilt wird.
Die Regensburger Theaterleitung lässt sich sogar selbst auf die Schippe nehmen: „Lust auf B-Ware?“ heißt es da im Tinder-Profil des Intendanten Sebastian Ritschel in Anspielung auf den Vorwurf, es würden in seiner ersten Spielzeit allzu viele bereits anderswo gezeigte Produktionen aufgewärmt. Entsprechend links weggewischt wird er dann auch von Kunigunde, die sich am Ende der berühmten Arie „Glitter and Be Gay“ für ein Rendezvous mit dem französischen Präsidenten Macron entscheidet.
So viel Herrliches passiert in Sachen Live-Illustration, dass nicht nur bei diesem Koloratur-Bravourstück (das Kirsten Labonte gut meistert) die Musik beinahe in den Hintergrund gerät. Ein wenig liegt diese tendenzielle Umkehrung des Begriffs „Untermalung“ aber auch daran, dass das Ensemble zwar sehr gut, aber eben nicht überragend ist. Carlos Moreno Pelizari liefert seine melancholischen „Meditationen“ schön ab, Svitlana Slyvia gibt eine stimmgewaltige, assimilierungsfreudige „Alte Dame“, wandlungsfähig zeigt sich Michael Daub in seinen vielen Rollen (Maximilian u.a.). Am überzeugendsten, mit der besten englischen Diktion meistert Benedikt Eder als Dr. Pangloss den von Bernstein so raffiniert zwischen Operette und Musical changierenden Stilmix.
Spritzig und reaktionsschnell präsentierten sich am Premierenabend der Opernchor (Einstudierung Alistair Lilley) und das Philharmonische Orchester unter der Leitung von Tom Woods. Völlig zu Recht heimsten am Ende aber die Bildgestalter Nippoldt und Toperngpong den größten Jubel ein. Sehenswert!