Aller guten Dinge sind Drei, im Norden jedenfalls, denn alle Opernhäuser bedienten dort fast zeitgleich ihr Publikum mit dem buffonesken Genre. Kiel tat es vor drei Wochen mit Prokofjews „Liebe zu den drei Orangen“, märchenhaft und eher grotesk vermummt. Schwerin folgte vor zwei Wochen mit Ligetis weltumfassendem „Le Grand Macabre“ und wollte deftig und abstrus schocken. Die Lübecker Komikvariante mit Gaetano Donizettis „Viva la Mamma!“ beschloss nun den Reigen (9. Oktober 2021), leicht serviert und mit Lust zum Schrägen.
Das Schräge lag bei Donizettis Belcanto-Opus nahe, zu dem er nicht nur die Musik schuf, bei dem er auch am Libretto einen großen Anteil hatte – und sicher Spaß. Gleichen Aufwand mit Text und Musik trieben seine späteren Kollegen, nur dass Donizettti den Vorteil hatte, dass er für sein Sujet nicht einmal aus dem Theater treten musste. Er wollte schlicht das Einerlei zeigen, das einen Bühnentag prägt.
Alltag
Dass so etwas überzeichnet wirkt, konnte er nicht verhindern, wollte er bei der Wahrheit bleiben. Denn genug Stoff fand er drinnen im hektischen Betrieb mit all dem Unwägbaren, das Allüren und Eitelkeiten brachten. Er sah alle damit belastet, angefangen bei der Führungselite aus Impresario, Komponist und Librettist, die sich ebenso uneins waren wie die Diven und Sänger mit ihren Dünkeln oder Schwächen.
Alles getoppt sah Donizetti 1831 schon, als seine Oper uraufgeführt wurde, durch das immer leidige Geldproblem. Alle wollten verdienen, Komponist und Texter, das weitläufige Personal und die Musiker, vor allem jedoch die Sänger, gestaffelt nach Eitelkeit, nach Protegés und Können, wobei die Reihenfolge bei dieser Aufzählung nicht geändert werden sollte. Über allem aber stand der Impresario, heute als Intendant bekannt. Er betreibt das Institut im Vergleich zu seinen Kollegen damals mit kalkulierbaren Subventionen.
Travestie und Belcanto
Der originale Titel „Le convenienze ed inconvenienze teatrali“, verdeutscht als „Sitten und Unsitten der Leute vom Theater“, ist leider zu lang. „Viva la Mamma!“ ist kürzer, so geheimnisvoll wie banal, doch mit dem Vorteil, dass wenigstens die Hauptperson erwähnt ist. Sie erinnert daran, dass noch ein Element die genannten drei Werke verbindet: alle nutzen die Travestie als Komikelement. Ein Unterschied besteht allerdings. Während in Kiel ein Bass eine Köchin singt und spielt und in Schwerin zwei Sopranistinnen als Clitoria und Spermando heftig miteinander zu gurren haben, ist beides nicht abendfüllend, nur episodenhaft. Die Mamma Donizettis, Agata geheißen und geschrieben wie die Kartoffelsorte, ist dagegen die zentrale Figur, nicht zu übersehen und zu überhören. In Lübeck hat in dieser Partie Steffen Kubach seine mitreißend komödiantischen und feinsinnig durchgefeilten Auftritte. Bei schon eindrucksvoller Körpergröße hilft Kostümbildnerin Ilona Holdorf-Schimanke noch mit hochhackigen Stiefeln und einer üppigen Haarpracht nach. Das macht ihn endgültig unübersehbar, unüberhörbar macht er sich selbst.
Für seine Auftritte und vor allem für die der Primadonna Corilla Sartinecchi, gesungen von der im Buffo-Fach versierten, zugleich koloraturensicheren Andrea Stadel, hat Stefan Heinrichs ein imposantes Bühnenkonstrukt geschaffen. Schräg ragt es mit üppig rotem Vorhang von vorn nach hinten. Davor füllen mehrere Stuhlreihen mit ebenso roten Polstersitzen die Bühne. Links stehen riesige Spiegel, die den Raum verdoppeln. Sie half die beiden Ebenen, Opern- und Spielhandlung, optisch zu verdeutlichen. Dennoch wirkt alles eher zwielichtig, wie das schräge Podest auf der Bühne, auf dem die Primadonna mit endlosen Tontiraden und seelenloser Technik ihre Vormachtstellung zu behaupten sucht. Sie singt zudem auf dem Podest vor einer goldenen Toilette, die Bürste als Mikrofon in der Hand.
Ob das eine gelungene Anspielung auf Maurizio Cattelans Kunst- oder Donald Trumps Gebrauchswerk ist, sei dahingestellt. Anderes in Effi Méndez‘ Regie verleitet mehr zum Schmunzeln. Dazu gehören die Schimpfwortergüsse in der Streitszene Corillas mit Mamma Agata oder deren Duett mit dem Impresario. Voll kalter Ironie auch die anderen Auftritte der anderen Sänger. Herrlich eitel und überzeichnet stellt Yoonki Baek die Kehlenkunst des Tenors heraus, der natürlich Guglielmo heißen muss, italienisch für Wilhelm, ein Eroberer der Herzen. Sehens- wie hörenswert ist auch Erwin Belakowitsch, der als Stefano seiner Bühnenfrau Corilla für alles den roten Teppich ausrollt, während Johan H. Choi als stimmgewaltiger Regisseur und Komponist Vincenzo Biscroma zu retten sucht, was nur irgendwie zu retten ist. Darum bemüht sich auch sein Kollege, der Librettist Orazio Prospero (quirlig Beomseok Choi). Beide sind sehr begehrte Männer, weil sie ständig Änderungswünsche der Diven erfüllen müssen. Über allem sollt der Impresario schweben, der aber selbst zu erdenschwer ist. Gerard Quinn rettet ihm Würde und Autorität.
Von der Regie unter Wert verkauft werden Evmorfia Metaxaki und Wioletta Hebrowska, die eine als Luigia Boschi, Tochter der alles beherrschenden Agata, die andere als Dorotea Caccini, die der Tradition folgend den Helden spielen muss. Kastraten gab es nicht mehr. Um den hellen Stimmklang zu retten, steckte man eine Altistin in eine Hose. Beider Rollen wurde viel im Hintergrund gehalten. Schade um ihre schönen Stimmen.
Donizettis Belcanto-Oper ist in vielem zeitbedingt. Ihre Musik ist zeitlos zu genießen, vor allem, wenn sich wie hier Sänger und Orchester sensibel verbinden. Takahiro Nagasaki führt geschickt dahin, wird sogar verbal und optisch in die Szene eingebunden. Im Libretto sind allerdings manche von Donizettis feinsinnigen Anspielungen nicht zu verstehen. Wer kennt noch unter Sängern bekannte Namen wie Boschi oder Caccini oder musikalische Begriffe wie Biscroma. Dafür hat die Regie andere Zusammenhänge gefunden, die aktualisieren. So tauchen frühere oder der jetzige GMD auf, auch mit Spitznamen. Ein großer Spaß ist, wenn plötzlich ein alter Nonsens-Schlager eingebaut ist. „Mein Gorilla hat 'ne Villa im Zoo“ sang einst Hans Albers. Jetzt spielte das Affentier, nur am Initial verändert, auf Corilla an, die Diva.
Fazit
Man spürt der Inszenierung an, dass sie vor allem ein heutiges Publikum erreichen will. Das ist gut so, weil sie nach kulturellen Entbehrungen wieder befreiend genießen und lachen lässt.