Das Verstehen von Geschichte hängt von der geschichtlichen Situation des Verstehenden ab. Die Vergangenheit vermag die Gegenwart nur zu erhellen, wenn umgekehrt auch die Gegenwart die Vergangenheit beleuchtet. In seinen geschichtsphilosophischen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ (1940) konstatierte Walter Benjamin, dass Historie nur dann aktuell bleibt, wenn sie für die Gegenwart „mit Jetztzeit geladen“ ist, also bereits etwas von jener Zukunft in sich barg, die nun Gegenwart geworden ist.
Dagegen wird Geschichte bedeutungslos, wenn sich in ihr die Gegenwart nicht mehr als gemeint erkennt. Beide Zeithorizonte sind aufeinander verwiesen wie kommunizierende Röhren. Wird die Verbindungsader zerschnitten, so bleibt die ausschließliche Beschäftigung mit Vergangenem ohne Bezug zur Gegenwart bloß museal, historistisch, irrelevant, sprachlos, tot. Und geschichtsvergessene Gegenwartsversessenheit ohne historischen Horizont wird entwicklungslos, statisch, betriebsblind. Im Gedenkjahr 2018 ist der dreißigjährige Krieg 1618–1648 womöglich von ungeahnter Aktualität angesichts der vielen gegenwärtigen Kriege und wachsenden weltpolitischen Spannungen – selbst wenn wir das noch nicht wahrhaben sollten. Dagegen scheint die studentische Revolte von 1968 mit ihren emanzipatorischen Protesten gegen Establishment, Autoritäten, überkommene Geschlechter-, Rollen-, Moral- und Wertevorstellungen mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten angesichts des heutigen Vormarschs nationaler, identitärer, neokonservativer Ideologien sowie autokratischer Denk- und Herrschaftsstrukturen.
Unter dem Motto „Echoes of ʼ68“ fragt das Forum neuer Musik des Deutschlandfunks Köln vom 12. bis 15. April nach Folgewirkungen der damaligen „Versuche der Entfaltung lebendiger Demokratie“. Neben Vorträgen und Gesprächsrunden gibt es sieben Konzerte mit Uraufführungen vor allem junger Komponistinnen und Komponisten: Saskia Bladt, Lea Letzel, Julia Mihály, Farzia Fallah, Samir Odeh-Tamimi, Damian Scholl, Younghi Pagh-Paan, Georg Katzer, Lisa Streich, Daniel Cueto, Atli Ingólfsson und Nikola Lutz. Eine umfangreiche Rückschau auf das Schaffen des vor hundert Jahren geborenen Bernd Alois Zimmermann verbindet das Kölner Festival Acht Brücken mit einer Rundschau des aktuellen Musikschaffens. Das Motto „Metamorphosen“ verdankt sich einem Werktitel Zimmermanns und der für sein Schaffen charakteristischen Anverwandlung verschiedener Genres, Medien, Zitate und Stile. Vom 28. April bis 11. Mai gibt es insgesamt 17 Uraufführungen, im April solche von Julian Siffert, Francisco C. Goldschmidt und Antonio de Luca. Die Wittener Tage für neue Kammermusik präsentieren vom 27. bis 29. April dagegen ohne historischen Bezugspunkt und programmatische Setzung einfach möglichst viele Novitäten: von Residenz-Komponist Mark Andre sowie von Vito Žuraj, Agata Zubel, Yann Robin, Marco Momi, Georg Friedrich Haas, Katharina Rosenberger, Vykintas Baltakas, Johannes Maria Staud, Ricardo Eizirik, Ashley Fure, Franck Bedrossian, Liza Lim, Gordon Kampe, Elena Mendoza, Chelsea Leventhal und Uli Fussenegger.
Weitere Uraufführungen
- 5./6.04.: Hannes Seidl/Daniel Kötter, Caspar Johannes Walter, Ernesto Molinari, neue Werke, Frühjahrstagung des INMM Darmstadt
- 9.4.: Philipp Maintz: para descubrir. fünf stücke für großes orchester, Osnabrück
- 13.4.: Michael Quell, energeia aphanés, Blaue Fabrik Dresden, Rudolf Kelterborn, Duo für Oboe und Englisch-Horn, Lugano
- 20.4.: Hector Parra, Avant la fin… Vers où ? für großes Orchester, Ensemble und Elektronik, Paris
- 21.4. : Karl Gottfried Brunotte, incurvatio in lucis adiëcto für großen offenen Konzertflügel, Haus der Chöre Frankfurt/Main
- 27.4.: José M. Sánchez-Verdú, Argo, Musiktheater, Schwetzinger Festspiele