Das Jubiläums-Jahr haben auffällig viele wichtige Häuser dazu genutzt, sich an Verdis Alterswerk „Falstaff“ zu versuchen. Salzburg, New York, Stuttgart, Berlin und jetzt auch Mannheim. Das letzte Wort des fast Achtzigjährigen in Sachen Oper ist auf hintersinnige Weise heiter. Also besonders schwer zu machen. Zumal es sich nicht auf einen Arien- oder Chor-Nenner bringen lässt. Und daher beim Publikum einen vergleichsweise schweren Stand hat.
Dieses Spätwerk lebt vom Überreichen, des Selbstzitierens, des Andeutens, der lockeren Konversation, der Frechheit und Intrige, dem augenzwinkernd eigennützigen Rache-Ehrgeiz der lustigen Weiber von Windsor und dem gänzlich aus der Zeit gefallenen Charme eines Ritters, der sich etwas auf seinen fetten Bauch einbildet, den er wie ein Markenzeichen vor sich her trägt. Dieser so deftige wie melancholisch hintersinnige Komödie kommt man bei, wenn man der Komödie gibt, was der Komödie ist. Dank des auf Shakespeare basierenden Librettos von Arrigo Boito und der genauen musikalischen Vorgaben Verdis ist man mit dem Plot und der Musik dabei allemal auf der sicheren Seite. Man muss es „nur“ noch gut machen.
Eine im Verdi-Jahr mehrfach aufgegriffene Idee ist es, die Selbstsicherheit dieses schmarotzenden Sir John Falstaff als ein Spiel seiner Erinnerung aufzufassen und mit biographisch augenzwinkerndem Bezug auf den Komponisten in die Casa Verdi zu projizieren. Also in das vom Komponisten gestiftete, heute noch funktionierende Künstler-Altersheim im Mailand. Erzählt man die Geschichte aber ohne diese Folie, oder ein geniales Ausweichen ins Opulente oder Endspielhafte (wie Robert Carsen mit einem Fest der Sinne 1997 in Köln, oder Peter Konwitschny mit einer seiner besten Inszenierung 2001 in Graz), dann setzt man sich der Vorlage unmittelbar aus. Dann muss man in der Komödie das Endspiel mitliefern, um dem Lebens- und Welterklärungsfazit, das Verdi mit der Schlussfuge bereithält, den Boden zu bereiten.
Das ist eigentlich ein gefundenes Fressen für einen szenischen Analytiker wie Christoph Nel. Und beim ersten Blick auf den stilisiert geometrischen Kussmund mit rausgestreckter Zunge, mit dem Roland Aeschlimann die Bühne gefüllt hat, ist man auch noch auf einen starken szenischen Zugriff neugierig. Das Spiel beginnt mit einem Partiegelächter aus dem Off und dem aufmarschierenden Personal, das sich offenbar gerade dazu entschlossen hat, sich selbst und uns die Geschichte vom dicken Ritter auf Freiersfüßen, dem die Bürgerschaft von Windsor ein Bad und eine mitternächtliche Tracht Prügel verpasst, vorzuspielen. Unter ihnen ist ein eigentlich ganz seriöser Herr mittleren Alters, der sich erstmal einen Fettwanst aus lauter Sofakissen zulegt und so lange bei dieser Maskerade bleibt, bis er zu seinem Fazit ausholt und die anderen, die nur scheinbar die Oberhand behalten haben über ihre Mittelmäßigkeit belehrt.
Die Schauplätze sind nur knapp angedeutet, alles spielt hier meist auf der Schräge zur Rampe hin. Gesungen wird schon dadurch meist frontal ins Publikum. Kostümiert sind zumindest Alice und Meg in ausgesprochen schicker 50er Jahre Mode. Allesamt üben sich in der stets mehr oder weniger (Mrs. Quickly zum allseitigen Vergnügen eher mehr) ausgestellten komödiantischen Geste. Doch dass der Ritter in Nöten tatsächlich mal vom allgegenwärtigen Zusatzpersonal im Wäschekorb transportiert und dann ausgekippt wird, rückt ihm nicht wirklich auf die Pelle. Wie auch, wenn alle von Anfang an Bescheid wissen. So wird denn der wehende rote Vorhang, den die flinken Hilfsgeiser für den Bilderwechsel immer mal wieder über die paar Utensilien und Personen ausbreiten, zu einer Art Brecht-Gardine, hinter der es doch etwas staubt. Dass die Sache beim Publikum so gut ankommt, liegt wohl daran, dass auch die Komik des ersten Blickes des ja selten gespielten „Falstaff“ auf Anhieb zündet und sich Nel mit einem darüber hinausgehenden Deutungsfuror auffallend zurückhält.
Und es funktioniert, weil Dan Ettinger im Graben, am Pult des Orchester ein Feuerwerk entfesselt, das den Sängern gleichwohl nicht den Atem raubt, aber selbst auf all das Abgründige verweist, dass beim „Falstaff“ unter der komödiantischen Oberfläche eben auch immer mitschwingt. Karsten Mewes liefert mit souveräner Eloquenz als Sir John das Zentrum der Aufführung und Lars Møller steigert seinen Ford fast bis ins Jagoformat. Doch auch die drei Damen sind vokal und darstellerisch auf der Höhe. Astrid Kessler würzt ihre Alice mit selbstbewusster Eleganz, Ludovica Bello sekundiert ihr charmant als Meg Page und Evelyn Krahe lässt es sich nicht entgehen, ihre Mrs. Quickly nicht nur mit ausgestopften Brüsten aufzurüsten, sondern auch das Komödiantinnen-Potenzial auszukosten, das diese Rolle bereithält. Eine Entdeckung ist Tamara Banjesevic, die als Nanetta mit betörend ausdauernden Höhenflügen glänzt.
Der Mannheimer „Falstaff“ sieht zwar auf den ersten Blick ambitionierter aus, als er dann ist, aber die musikalische Qualität lässt keine Enttäuschung aufkommen.