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Konventioneller Bärendienst an das Publikum

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Uraufführung von Mark-Anthony Turnages Oper „The Silver Tassie“ in London
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Es hatte den Anschein, denn auch die beiden 1997 folgenden Einakter „The Country of the Blind“ und „Twice Through the Heart“ sorgten für erfrischenden Wind. Inzwischen hatte sich Turnage mehrfach gegen den herkömmlichen Opernbetrieb ausgesprochen und distanzierte sich in der Jubiläumsausgabe zum 50. Geburtstag der Fachzeitschrift Opera nachhaltig vom erzählenden Operngenre. Unter diesen Voraussetzungen erlebte im Februar an Londons English National Opera ein bereits 1989 von ihr gemeinsam mit der Dallas Opera an Turnage vergebener Auftrag für eine große Oper seine Uraufführung. Turnages Wahl war auf das pazifistische Schauspiel „The Silver Tassie“ (Der Preispokal) des Iren Sean O‘Casey gefallen, das George Bernard Shaw „als ein verdammt gutes Stück“ bezeichnete, das alle anderen modernen Kriegsdichtungen in den Schatten stelle. Es handelt von dem Fußballmatador Harry Heegan, der auf Heimaturlaub das Siegestor für seinen Verein schießt und ihm damit den begehrten Preispokal „The Silver Tassie“ einbringt. Doch man schreibt das Jahr 1916 und der erste Weltkrieg nimmt unweigerlich seinen Verlauf. Auch an der Front wird trotz kollektiver Niedergeschlagenheit ein Fußball zum Symbol von Aufbegehren und Überlebenswille. Der Athlet Harry kehrt als querschnittsgelähmter Krüppel nach Hause zurück, von seinen einstigen Bewunderern ebenso verlassen wie von seiner Freundin. Noch einmal bäumt er sich gegen sein Schicksal auf, um endlich zu resignieren. Gemeinsam mit seinem Nachbar, der im Krieg beide Augen verlor, räumen der Blinde und der Lahme zwei Beckettgestalten ähnlich das Feld, während die Lebenden ihr Dasein feiern. Dieser Stoff besitzt dann extremes Opernpotenzial, löst man sich von dem expressiven, erzählenden Schauspiel und unterstellt die Thematik einer eigenständigen musikdramatischen Basis, wie dies etwa Aribert Reimann in „Lear“ mit Shakespeare gelang. Turnage scheute vor einem eigenen Libretto zurück und beauftragte damit Amanda Holden, die das Drama lediglich konzentrierte, im übrigen aber Sean O‘Casey folgte. Somit war der Weg für eine erzählende tragikomische Oper in vier Akten vorgezeichnet, die bei aller Sorgfalt im Detail und einer überzeugenden, brillant orchestrierten Klangsubstanz keinerlei Progressivität oder auch nur den Ansatz zu einer Opernumwälzung besaß. Sie blieb im besten Sinne konservativ. Der Fußballfan Turnage lieferte musikalische Vieldimensionalität, gepaart mit endlosen Anspielungen und den ihm eigenen Jazzelementen, die auch vor melodramatischer Sentimentalität und versteckter irischer Folklore nicht zurückschreckte. Doch blieb es letztlich bei handwerklich faszinierend durchdachter und brillant realisierter musikalischer Überhöhung, deren allzu direkte Zugänglichkeit keinerlei Gänsehaut auslöste, sondern lediglich spannende Unterhaltung bot. Schade, auch wenn man damit Mark-Anthony Turnage nicht abschreiben sollte. Er hat dem konventionellen Opernhaus mit seinem konventionellen Publikum einen konventionellen Bärendienst erwiesen, der in diesem Rahmen zurecht breiten Anklang fand. Jetzt gilt es für Turnage, Neuland zu erobern und die Erfahrungen gemäß seiner ungestümen, wenngleich bodenständigen Mentalität wieder in aggressive, zukunftsorientierte Kreativität umzusetzen. Noch hat er seine letzte Oper nicht geschrieben, auch wenn er dafür mit Sicherheit ein anderes Umfeld wählen dürfte. Neben Turnage feierte das Publikum zurecht den Bariton Gerald Finley in der Mammutpartie des Harry Heegan und Musikdirektor Paul Daniel, dessen Autorität entscheidend zum Erfolg des zweieinhalbstündigen Abends beitrugen.

Anlässlich der ersten Münchener Biennale 1988 sorgte der junge britische Komponist Mark-Anthony Turnage mit seiner aggressiven Oper „Greek“ für Furore. Sollte hier endlich ein Newcomer gegen das herkömmliche und altersmüde Opernsujet aufbegehren und über frische Impulse hinaus dieser Kunstgattung neue Wege weisen? Es hatte den Anschein, denn auch die beiden 1997 folgenden Einakter „The Country of the Blind“ und „Twice Through the Heart“ sorgten für erfrischenden Wind. Inzwischen hatte sich Turnage mehrfach gegen den herkömmlichen Opernbetrieb ausgesprochen und distanzierte sich in der Jubiläumsausgabe zum 50. Geburtstag der Fachzeitschrift Opera nachhaltig vom erzählenden Operngenre. Unter diesen Voraussetzungen erlebte im Februar an Londons English National Opera ein bereits 1989 von ihr gemeinsam mit der Dallas Opera an Turnage vergebener Auftrag für eine große Oper seine Uraufführung. Turnages Wahl war auf das pazifistische Schauspiel „The Silver Tassie“ (Der Preispokal) des Iren Sean O‘Casey gefallen, das George Bernard Shaw „als ein verdammt gutes Stück“ bezeichnete, das alle anderen modernen Kriegsdichtungen in den Schatten stelle. Es handelt von dem Fußballmatador Harry Heegan, der auf Heimaturlaub das Siegestor für seinen Verein schießt und ihm damit den begehrten Preispokal „The Silver Tassie“ einbringt. Doch man schreibt das Jahr 1916 und der erste Weltkrieg nimmt unweigerlich seinen Verlauf. Auch an der Front wird trotz kollektiver Niedergeschlagenheit ein Fußball zum Symbol von Aufbegehren und Überlebenswille. Der Athlet Harry kehrt als querschnittsgelähmter Krüppel nach Hause zurück, von seinen einstigen Bewunderern ebenso verlassen wie von seiner Freundin. Noch einmal bäumt er sich gegen sein Schicksal auf, um endlich zu resignieren. Gemeinsam mit seinem Nachbar, der im Krieg beide Augen verlor, räumen der Blinde und der Lahme zwei Beckettgestalten ähnlich das Feld, während die Lebenden ihr Dasein feiern. Dieser Stoff besitzt dann extremes Opernpotenzial, löst man sich von dem expressiven, erzählenden Schauspiel und unterstellt die Thematik einer eigenständigen musikdramatischen Basis, wie dies etwa Aribert Reimann in „Lear“ mit Shakespeare gelang. Turnage scheute vor einem eigenen Libretto zurück und beauftragte damit Amanda Holden, die das Drama lediglich konzentrierte, im übrigen aber Sean O‘Casey folgte. Somit war der Weg für eine erzählende tragikomische Oper in vier Akten vorgezeichnet, die bei aller Sorgfalt im Detail und einer überzeugenden, brillant orchestrierten Klangsubstanz keinerlei Progressivität oder auch nur den Ansatz zu einer Opernumwälzung besaß. Sie blieb im besten Sinne konservativ. Der Fußballfan Turnage lieferte musikalische Vieldimensionalität, gepaart mit endlosen Anspielungen und den ihm eigenen Jazzelementen, die auch vor melodramatischer Sentimentalität und versteckter irischer Folklore nicht zurückschreckte. Doch blieb es letztlich bei handwerklich faszinierend durchdachter und brillant realisierter musikalischer Überhöhung, deren allzu direkte Zugänglichkeit keinerlei Gänsehaut auslöste, sondern lediglich spannende Unterhaltung bot. Schade, auch wenn man damit Mark-Anthony Turnage nicht abschreiben sollte. Er hat dem konventionellen Opernhaus mit seinem konventionellen Publikum einen konventionellen Bärendienst erwiesen, der in diesem Rahmen zurecht breiten Anklang fand. Jetzt gilt es für Turnage, Neuland zu erobern und die Erfahrungen gemäß seiner ungestümen, wenngleich bodenständigen Mentalität wieder in aggressive, zukunftsorientierte Kreativität umzusetzen. Noch hat er seine letzte Oper nicht geschrieben, auch wenn er dafür mit Sicherheit ein anderes Umfeld wählen dürfte. Neben Turnage feierte das Publikum zurecht den Bariton Gerald Finley in der Mammutpartie des Harry Heegan und Musikdirektor Paul Daniel, dessen Autorität entscheidend zum Erfolg des zweieinhalbstündigen Abends beitrugen.

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