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I MASNADIERI: Diana Damrau (Amalia), Charles Castronovo (Carlo), Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl.
I MASNADIERI: Diana Damrau (Amalia), Charles Castronovo (Carlo), Statisterie der Bayerischen Staatsoper. Foto: Wilfried Hösl.
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Konzept als fasriges Korsett – Verdis Schiller-Oper „I Masnadieri“ erstmals an der Bayerischen Staatsoper

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„Der frühe Verdi“ ist ein besonderes Problemfeld des Opernrepertoires. Immer wieder werden Versuche unternommen, den Verdi-Klassikern auch einmal etwas selten oder nie Gespieltes an die Seite zu stellen. Zurecht wird dann auf eine exzellente Solistenbesetzung geachtet – und auch szenisch soll die Aufführung etwas Besonderes werden. Beim enormen Aufwand der „Räuber“-Neuinszenierung im Nationaltheater fragte sich unser Kritiker Wolf-Dieter Peter, welches Stück eigentlich gezeigt werden sollte.

„Ja, ja, ja“ rief der auch enthusiastisch klatschende, grauhaarige Fan auf dem Nebensitz, als „seine“ Diana Damrau zum Einzelapplaus auf die Bühne kam: das Münchner Premierenpublikum will seine Stars – ohne zu fragen, ob für das „Männeropfer“ Amalia nicht eine jugendlich-süße, schlanke-ranke Koloratursopranistin überzeugender gewirkt hätte. Der feuerköpfig vom Studenten zum Räuberhauptmann mutierende Carlo wurde vom agilen Italo-Amerikaner Charles Castronovo blendend gesungen und gespielt. Mit dem russischen Bariton Igor Golovatenko stand ein bulliger Bösewicht Francesco als Gegenspieler im dunklen Schloss-Ambiente – und bei ihm war insbesondere in seiner großen Finalauseinandersetzung mit Pfarrer Moser – Callum Thorpes fülligem Bass – Verdis erstmalig beeindruckende Mischung der dunklen Stimmlagen zu bestaunen: parallel zu Macbeth-Banquo, Vorahnung von Rigoletto-Monterone-Sparafucile, Boccanegra-Paolo-Fiesco, Posa-Philipp und weiter bis Falstaff-Ford … Der Familienvater Massimiliano war mit Mika Kares, der zum vielfach dienenden Butler aufgewertete Arminio mit Kevin Conners und der Mit-Räuber Rolla mit Dean Power bestens besetzt. Der von Stellario Fagone einstudierte Chor donnerte als Räuber-Horde bedrohlich und wackelte nur einmal. Dirigent Michele Mariotti machte nach dem schönen Cello-Solo von Emanuel Graf im Vorspiel dann ordentlich „Betrieb“ im Bayerischen Staatsorchester. Da erklang viel vom Feuer des 33jährigen Verdi. Stil-Freunde konnten zu Recht fragen, ob in der Großbesetzung nicht auch vieles zu romantisch füllig klang, nicht trockener, kantiger und mehrfach noch fetzig schneller und damit besser wirken würde.

Da wirkte aber schon vieler- und allerlei – am abstrusesten: die gewaltnahe Bedrängens- und Verführungsszene Francescos gegenüber Amalia, in der er sich bis auf Strumpfhalter, Unterhose und Unterhemd ausziehen muss. Regisseur Johannes Erath hatte aber auch viele weitere Ideen: Von Ausstatter Kaspar Glarner hatte er sich einen nach vorne aufschwingenden, düster heruntergekommenen Schloss-Saal als Einheitsraum bauen lassen; durch die aufschwingenden Seitenwände fuhren mehrfach auf einem Drehstreifen adelige Diner-Tafeln herein und heraus; an ihm saßen alle Beteiligten – außer der Mutter, deren Brautkleid den leeren Stuhl schmückte und später Amalia aufgezwungen wurde; automatenhaft stakte Butler Arminio umher und fuhr mit einem zweiten Drehrund ins schwarze Abseits; dann stand der vermeintliche Sarg des Vaters auf einer hereinfahrenden Tafel; später tobte Carlo darauf seinen Welten-Hass aus; dann stürmte die schwarze Räuber-Horde eine vergrößert hereinfahrende Tafel; Wald und Natur wurden durch sechs Thujen-Bäumchen beschworen; am Ende kamen auch drei Hirsche und zwei weiße Rehe hereingefahren.

Doch Regisseur Eraths Konzept erzählte von einem Ibsenschen Familien-Drama und hatte deswegen alle singenden Hauptfiguren durch stumme graue lemurenartige Jugendliche gedoubelt, die deren Leiden und emotionales Elend spielten – die ganze Aufführung hindurch, aber ohne Nennung im Programmheft. Mal steigerte Erath das Drama um die fehlende Mutter mit einem mehrfach umhergetragenen Trauerfoto; diese Mutter muss Cello gespielt haben, denn Amalia nutzt den Sporn des hinten stehenden Instruments schließlich als Waffe gegen Francesco… und so ein bisschen Revolutionsahnung sollte schon auch sein: schließlich hatte Schiller 1782 das Aufbegehren von 1789 angerissen, Verdi, den Anhänger von 1848 und des Risorgimento, damit angesprochen – also wurden die Silhouetten der Räuberchöre durch Frontlicht und Hintergrundprojektionen(?) ins Bedrohliche vergrößert.

Da sollte das zum Korsett gewordene Konzept „Familiendrama“ im Stil eines verquasten phantastischen Realismus aufgebrochen werden – und zerfaserte… Formung zu und Führung in hochexpressiver Personenführung? Ansatz eines Politdrama, das Individuen zerreibt? Beides Fehlanzeige. Deutliches Buh für das Bühnenteam – und dann Jubel des Münchner Premierenpublikums für ihre Gesangsstars.

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