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Mio Chareteau. Foto: Rebecca Bowring
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Kooperation von Wissenschaft und Kunst

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Sonifikationen – klingende Datenströme: ein Festival der Berliner Gesellschaft für Neue Musik in der Villa Elisabeth
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Ist die Melone nun reif oder nicht? Draufklopfen – man hört es. So ähnlich hält man es auch im Bereich der Wissenschaften und spricht von „Sonifikation“ (wörtlich Verklanglichung), wenn Daten (Zahlen, Angaben, Vorgänge, gleich zu welchem Thema) in Schallereignisse übersetzt sind, um sie darzustellen oder aber besser verstehen zu können.

Sonifikation ist eine Angelegenheit aus der jüngeren Wissenschaftsgeschichte, als Begriff geläufig seit 1992, seit 25 Jahren nun mit rasanter Karriere unterwegs, digitalisierungsbedingt und der Zunahme von erhobenen Datenmengen geschuldet – aber auch der Erkenntnis, dass allein die Übertragung von Forschungsdaten auf einen unserer Sinne Erkenntnisgewinn abwirft. Man macht sich die Eigenschaft des Hörsinns zunutze, mehrere Dinge gleichzeitig wahrzunehmen. Organisiert zum Beispiel über musikalische Parameter in Kombination mit Zeitverdichtung und Zeitdehnung können, statistisch ausgedrückt, alle Variablen aus einer Datenerhebung gleichzeitig gehört und somit auch leichter die strukturellen Muster einer Datenmenge erkannt werden als über das Studium ihrer schriftlichen Niederlegung. Hinzu kommt, dass in ihrer sinnlichen und direkten Erfahrbarkeit Sonifikation auch einem Laien-Publikum den Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen bietet (was nicht heißen soll, dass diese auch voraussetzungslos verstanden werden).

In die Bereiche artifizieller Musik und verwandter medialer Formen zog die Sonifikation mit Verzögerung ein, auch wenn es historische Beispiele gibt, die im Nachhinein diesen Techniken zugeordnet werden können, dazu gehört zum Beispiel John Cage’s „Atlas Eclipticalis“ von 1962 (Übertragung von Sternenkarten in Kombination mit Zufalls-Verfahren). Oder das berührungslos, nur mit Armbewegungen und Gesten, gespielte elektronische Musikinstrument Theremin von 1920 als ein Beispiel für eine frühe materialisierte Sonifikation.

Die eigentliche Zeit der von musikalischen Interessen geleiteten Sonifikations-Kompositionen beginnt nach dem Jahr 2000. Seitdem verweist auch eine nennenswerte Zahl an Kompositionen (32 sind im Forum Sonifyer.org für Sonifikationsforschung genannt) auf das künstlerische Potential dieser speziellen Art „experimentelle Medienpraxis“ (Jan Thoben).

Genau dieses Potential beackerte das Festival „Sonifikationen – klingende Datenströme“. Dazu hat sich die Veranstalterin Berliner Gesellschaft für Neue Musik kompetente Kooperationspartner geholt: das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe (ZKM) mit seinen Erfahrungen zur künstlerischen Sonifikation aus dem letztjährigen Symposium „Strömungen“ sowie die Rundfunkreihe „Sonarisationen“ im Deutschlandfunk Kultur. Mitbeteiligt waren aus der Hochschule der Künste Bern die Betreiber des Sonifikationsportals www.­sonifyer.org. Über drei Tage hinweg wurden, kuratiert und geleitet von Jutta Ravenna, Klanginstallationen, Diskussionsrunden, drei Abend-Konzerte und eine mehrfach wiederholte Tanz-Performance präsentiert: Eine ausführliche Bestandsaufnahme aus den verschiedensten Feldern der Sonifikation und ihren Schnittmengen mit den Bereichen der rein funktionalen Sounds auf der einen und den Bereichen der artifiziellen Musik beziehungsweise Medienkunst auf der anderen.

Zur Orientierung unverzichtbar, zumindest für den Berichterstatter, waren zwei der Festival-Angebote. Zum einen die mittels Kopfhörer zu nutzende Soundbar, eine Sammlung aller auf dem Festival gespielten Stücke in Ausschnitten und mit Kommentaren, ergänzt durch relevante Sonifikations-Beispiele aus historischen und aktuellen Produktionen, durch Absätze aus einschlägigen Interviews und, vor allem, mit der Veranschaulichung der drei grundlegenden Ansätze „Audifikation“, „Parameter Mapping“ und „Modell-basierte Sonifikation“. Die wenigen Soundbar-Plätze waren immer belegt, ein sicheres Anzeichen für die didaktische Wirksamkeit eines im Kern einfach gestrickten Mediums inmitten einer komplexen Gemengelage von elektrotechnischen Realisierungen, kompositorischen Strukturen und den sonifizierten Themen wie Datensicherheit oder Klima et cetera.

Ebenfalls starke Orientierungshilfe bot das von Julia H. Schröder herausgegebene Programmbuch mit ausführlichen Werkkommentaren und mit einer Reihe grundlegender Essays zur Sonifikation; die bemerkenswert differenzierte und anschauliche Publikation zum Thema ist unter „Transfer ins Musikalische“ im Wolke Verlag erhältlich.

Bei einer Schnittmenge mit wissenschaftlichen Bereichen liegt es auf der Hand, dass diese Art von Musik thematisch sehr weit gefasst ist: Was in Datenform erfasst ist, kann auch in Klang übersetzt werden. So waren unter den Klanginstallationen verklanglicht: die seismischen Wellen im Pazifik, erfasst in den fünf pazifischen Erdbebenstationen des Ozeans (alle Programmangaben unter http://www.bgnm.de/index.php/termine_einzelbeitraege/items/sonification…); oder die neuronalen Aktivitäten von vernetzten, mit Neurofeedbacks trainierten Spielern, oder die WLAN-Daten von in eine interaktive Klangskulptur eingewählten Festivalbesuchern, die zudem über oben genannte Tanzperformance gesteuert wurde. Eine weitere Klanginstallation mit drei sich drehenden, auf dem Boden schnarrenden Stühlen am, wie es im Werkkommentar heißt: „Platz der Tisch Gesellschaft“, fußte auf dem jährlichen Datensatz zu sozio-ökonomischen Fragen, und hieraus speziell zum Thema „Angst“. Die Installation „Lungs: Slave Labour“ thematisierte die Zwangsarbeit zur Zeit des Zweiten Weltkriegs in Karlsruhe im Bild des letzten Atemzugs aus der errechneten Lungenkapazität aller in dieser Stadt internierten Gefangenen. Die weitere Klanginstallationen realisierte „eine Art hörbare Geografie der Struktur“ der Berliner Mauer vor dem Mauerfall.

An der Ausschreibung der Festivalveranstalter für Konzertliteratur lässt sich vielleicht erkennen, dass die Präsentation des „Was klingt wie“ in Gestalt abgeschlossener Werke und live aufgeführt noch nicht den Entwicklungstand der Klanginstallationen erreicht hat, unabhängig vom Gewicht und der Bedeutung des jeweiligen Themas, dessen Daten sonifiziert sind. Ausgeschrieben waren also Kompositionen für Percussion oder Streichquartett, wahlweise mit Live-Elektronik, eine Auswahl davon wurde in den drei Konzerten uraufgeführt.

Hans Tammen, der im ersten Konzert mit Live-Elektronik seine eigenen DNA-Daten sonifizierte, formulierte, eher ungewollt, ein grundlegendes Problem der Beiträge seiner Kolleg/-innen dieses ersten Abends: „Projekte, in denen Daten in Klang oder Bilder übertragen werden, kranken oft an dem Wunsch des Künstlers, inhärent in der Datenstruktur etwas zu finden, das seine ästhetischen Entscheidungen mitbestimmt.“ Tammen selbst hat sich – gelungenermaßen – auf ästhetische Vorgänge gestürzt und den Anlass, seine DNA, vergessen lassen. Andere Beiträge blieben an ihren Themen, gewissermaßen als „hörbare Wissenschaft“ kleben: so ging es um heimliche Überwachungs- und Steuerungsmechanismen oder die globalen Verteilungen von Einkommen und Trinkwasser oder die globale Erderwärmung und Klima oder Börsencharts.

Dagegen weiteten die beiden folgenden Konzerte spürbar den eigentlichen musikalischen Horizont sonifizierter Musik, was zum einen an den großartigen Instrumentalist/-innen lag, dem Kairos Quartett sowie Roland Dahinden (Posaune), Hildegard Kleeb (Klavier) und Alexandre Babel (Schlagzeug), zum anderen an der klugen Programmierung aus facettenreichen Uraufführungen, maßstabsetzenden Werken der Sonifikation, kombiniert mit nicht sonifizierten Werken sowie Improvisationen oder der Einbindung von Mehrkanal-Elektrokompositionen. 

Angetreten ist das Festival „Sonifikationen – klingende Datenströme“ unter, im Kern vielleicht zwei grundlegenden Fragen, nämlich: „Ab welchem Punkt wird künstlerisch-wissenschaftliche Forschung zu Kunst?“ Und: „Wie kann den Künsten der nächste folgerichtige Schritt gelingen, über physikalische Erfahrungen mit Daten für den Hörer einen neuen Wirklichkeitsbezug herzustellen?“ In der Gegenüberstellung der beiden Präsentationsformate Klanginstallation und Konzertaufführung war das anhaltende Ringen um tatsächliche genuin ästhetische Positionen, und nicht entlehnte, fast greifbar. In der zweiten Frage schwingt implizit eine kritische, aufklärerische, Position zum Phänomen „Daten als der eigentlichen Wirklichkeit?“ mit. Wie es scheint, ist Paul Watzlawicks Frage „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“ nach wie vor offen. Viel Futter also für das Wachstum neuer musikalischer künstlerischer Formen, dem wir hier beiwohnen.

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