Bevor der erste Ton zur dritten Vorstellung des neuen Leipziger „Don Giovanni“ erklingt, eine gute Nachricht: Das Haus ist so gut wie ausverkauft. Und man sieht erstaunlich viele junge Gesichter im Publikum. Zumindest bei Mozart und seiner Oper der Opern ist nichts von postpandemischer Publikumsverweigerung zu spüren.
Die Leipziger bieten diesmal aber auch einen opulent ausgestatteten Ort des Geschehens, der die komplette Bühne füllt. Nichts Historisches, sondern ein ziemlich desolates Miethaus. Der altmodische Lift (wie sie in Wien zuhauf zuverlässig hinauf und hinab klappern) funktioniert noch. Der Strom auch – im ersten Finale muss Don Giovanni schon eine Sektflasche mit voller Wucht in die Sicherungen gleich neben der Toreinfahrt schleudern, um einen ihn und Leporello rettenden Stromausfall herbeizuführen. Sie haben sogar noch eine alte Hausmeisterin, die dann die Sache wieder in Ordnung bringt. Punktgenau, wenn sich der vermeintliche Don Giovanni seinen Verfolgern als Leporello zu erkennen gibt. Dass Masetto ihm ansonsten mit einem Baseballschläger den Schädel zertrümmert hätte, sieht man auch nicht immer so deutlich. Dieses Haus gehört Don Giovanni. Hier hat er eine Dachwohnung für sich. In das reichlich (und sichtbar) genutzte Schlafzimmer, lassen sich etliche Damen – definitiv nicht gegen ihren Willen – abschleppen. Auch Leporello darf hier mal seinen Boss bei Donna Elvira mit vollem Körpereinsatz vertreten. Was Etienne Pluss gebaut hat, ist eine Lust fürs Auge!
Das gilt auch für Irina Bartels Kostüme. Dezent aber noch erkennbar nach Stand (oder besser Einkommen) differenziert. Leporello als Pizzafahrer – Donna Anna, ihr Vater und Don Ottavio eher als noble Restgrößen aus besseren Zeiten. Masetto, Zerlina und deren Hochzeitsgäste tauchen samt Umzugskartons als Kurzzeitmieter bis zur Sanierung auf. Die glauben schon nicht mehr, dass der Lift funktioniert und schleppen alles die Treppen hoch. Hier laufen sich alle über den Weg. Donna Elvira kommt als die taffe und elegante Besucherin, die Don Giovanni zur Rede stellen will dazu. Es ist ein recht ungemütlicher, aber für die Binnenlogik der Bühnenerzählung inklusive der Lichtverhältnisse maßgeschneiderter Ort.
Allerdings staunt man manchmal über die Zurückhaltung, mit der die Regisseurin Katharina Thoma die großen Ensembleszenen eher auseinander sortiert und ausbremst, statt sie eskalieren zu lassen. Das obliegt mehr dem Gewandhausorchester und seinem Dirigenten Jonathan Darlington, die durchweg nach dem Motto überzeugen, wir können nicht nur Wagner, sondern auch Mozart!
Dass Donna Anna am Anfang die Leiche ihres Vaters ansingt, obwohl die längst von Don Giovanni und Leporello „entsorgt“ wurde und dass der Comtur (Sebastian Pilgrim) am Ende wieder da ist, sich Don Giovanni schnappt und mit ihm im Lift wahrscheinlich geradewegs in die Hölle fährt, geht auf das Konto des nunmal wiederauferstehenden Rächers. Dass die Zurückgebliebenen auch nichts mehr zu lachen haben, wird klar, als die Maklerin und der neue Eigentümer (resp. Investor) allen eine Kündigung in die Hand drücken und mit ihren Security-Leuten für den unverzüglichen Vollzug sorgen.
Die musikalische Seite dieser Produktion gehört ohne Abstrich zu den guten Nachrichten. Jonathan Michie und Sejong Chang sind als Don Giovanni und Leporello ein vitales Duo infernale, das bei der Jagd nach den Frauen vom erarbeiteten Ruf lebt. Bei der Canzone jedenfalls gehen gleich mehrere Frauen ans Fenster. Olga Jelínková ist eine betörend empfindungsstarke Donna Anna. Für Barbara Senator wirkt die resolut attraktive Donna Elvira wie maßgeschneidert und dass die Zerlina von Samantha Gaul es nicht nur bei ihrem Masetto (Peter Dolinšek) faustdick hinter den Ohren hat, ist schnell klar. Wie zur Belohnung, weil er mal vom Image des Softies verschont bleibt, darf Josh Lovell als Don Ottavio sowohl mit seinem „Il mio tesoro“ als auch mit dem „Dalla sua Pace“ glänzen. Und wo bleibt die schlechte Nachricht? Die gibts diesmal nicht.