Im Theater Augsburg sind aktuelle Parallelen zur romantisierten Künstlerproblematik in „Les Contes d’Hoffmann“ von Jacques Offenbach zu entdecken. Wolf-Dieter Peter war dabei.
Lucassens Grundentscheidung, in Hoffmann keinen Dichter, sondern einen zeitgenössisch „hippen“ Installationskünstler zu sehen, steht zwar zu etlichen Textstellen quer, liefert aber zu Hoffmanns extremen Liebesphantastereien den überzeugenden Unterbau: einer in der Nachfolge von Jackson Pollocks „action-painting“ über Kunst-Happenings hin zu den Aktionen zwischen „documenta“ und „Biennale“. So einer hechelt einem Gesangsstar wie Stella nach, die auf dem Werbe-Video im Hintergrund wie Helene Fischer aussieht (nur dass Sandra Schütt besser singen kann). So einer setzt sich eine Cyber-Brille auf und verklärt das Laufsteg-Püppchen Olympia zur Traumfrau, obwohl sie ein Produkt der Schönheitsklinik Spalanzani ist (was Cathrin Lange in stupender Kombination von Koloraturbrillanz und Model-Figur vorführte), das der um sein Honorar betrogene Top-Chirurg Coppelius wieder zerlegt. So einer verliebt sich in eine hochbegabte Sängerin, die zwischen Oper und Band pendelt und sich von ihrem berechnenden Impresario Mirakel samt seinen synthetischen Drogen in ein Amy-Winehouse-Ende treiben lässt (Andréana Kraschewski sang das glutvoll und ähnelte im popigen Glitzerkleidchen am Ende einer dieser selbstzerstörerischen Vorläuferinnen von Winehouse zu Whitney Houston und weiter zurück …).
Und so ein vergleichbar selbstzerstörerischer Künstlertyp wie Hoffmann landet im High-Class-Club, wo austauschbare Edelnutten wie Giulietta im Auftrag des Bosses Dapertutto träumerische Rigoristen um den Verstand bringen – so einer bleibt dann in der Schlussszene kaputt zurück und die grell weiße Hintergrundfläche zeigt sein leer gekokstes Hirn.
Die meisten dieser „Übersetzungen“ von Offenbachs romantisierten Figuren in moderne Mythen funktionierten – bis hin zu Antonias Sängerinnen-Mutter, deren Mischung aus Evita Peron, Judy Garland und Billie Holiday Kerstin Descher ebenso gelang wie das exakte Giulietta-Triple mit Cathrin Lange zusammen. Young Kwon begann als Lindorf gleichsam uneingesungen roh und rau, wechselte dann aber mit überzeugend wuchtigem Bassbariton durch die verführerischen Bösewichter. Sein asiatisches Äußeres brachte gegenüber dem agilen Hoffmann von Ji-Woon Kim auch noch die politisch aktuelle Komponente „Chinesische Kunst-Zensur gegen jungen Kunst-Rebellen“ ins Spiel.
Folgerichtig war die zwar auch fröhlich trinkende Muse von Christianne Bélanger nur eine hilflos schön singend bemühte „gute Freundin mit den besten Absichten“ – denn Ji-Woon Kim verstrahlte vom fast baritonalem Stimmfundament über kräftige Höhe bis in schöne Piano-Lyrismen die bedenkenlose Virilität eines Künstlers, der sich an und in der Realität ruinieren muss. Wenn Dirigent Lancelot Fuhry nach aller Premierenanspannung und kleinen Tempodivergenzen zwischen Orchester und Chor die schon hörbare Mischung aus französischen Esprit und emotionaler Operndramatik deutlicher gestalten kann, dann ist dieser Augsburger „Hoffmann“ in der überzeugend wechselnden Ausstattung von Marc Weeger und Silke Willrett ein Beweis, dass „der Künstler“ in fast jeder Zeit ein suchend Scheiternder ist.