Im vorigen Jahr war es Hans-Werner Henze, dem die Alte Oper in Frankfurt beim Auftkat das Komponistenportrait widmete; diesmal galt es Wolfgang Rihm. Die Veranstaltungen anlässlich seines 50. Geburtstages kulminierten am zweiten September-Wochenende in einem von zahlreichen Aufführungen umringten Symposion.
Im vorigen Jahr war es Hans-Werner Henze, dem die Alte Oper in Frankfurt beim Auftkat das Komponistenportrait widmete; diesmal galt es Wolfgang Rihm. Die Veranstaltungen anlässlich seines 50. Geburtstages kulminierten am zweiten September-Wochenende in einem von zahlreichen Aufführungen umringten Symposion. Anders als der 75-Jährige Henze im Vorjahr, der die ihn diskutierenden Musikwissenschaftler, -praktiker und -publizisten mitsamt Publikum ihren Einsichten, Ansichten und Spekulationen überließ, beehrte Rihm den Hindemith-Saal durch beharrliche Anwesenheit. Am ersten Tag bescheiden in der zweiten Reihe, lauschte er den Vorträgen und ergriff nur dann das Wort, wenn man ihn direkt ansprach oder schließlich zum Gespräch aufs Podium holte: dann freilich präzise, wortgewandt und ehrlich, aber stets freundlich.„Rihm ist trotz seiner Berühmtheit ein Mensch geblieben“, sagte Claus-Steffen Mahnkopf zu Beginn seines pointierten Vortrags „Rihm – ein Gesamtkunstwerk“. In der freundschaftlich-kritischen Auseinandersetzung mit Werk und Person des Geehrten entwickelte der Freiburger Komponist und Musiktheoretiker nicht nur für sich eine Art Standortbestimmung, sondern darüber hinaus ein faszinierendes Portrait des Geehrten. Manch ein Satz blieb da beim Hörer hängen. „Ein Komponist kommt an, weil er mehr ist als ein Komponist.“ Mahnkopf wusste da einiges zu nennen: Rihms enzyklopädische Bildung, sein Einfühlungsvermögen, seine Kontaktfähigkeit und Kollegialität, seine Fähigkeit „sich auf die Welt einzulassen, wie sie ist“.
Er sei „ein fanatischer Präsenz-Ästhetiker“, „weder antimodern, modern, noch postmodern“. Am Ende stand – im Blick auf die Versuchung, Rihm als repräsentativen Großkomponisten zu vereinnahmen – der Wunsch: „Ich wünsche ihn mir weiter als Mensch und nicht als Werbeträger.“
„Wir glauben an die genuine Sprachfähigkeit von Musik“, benannte Mahnkopf eine für ihn wesentliche Gemeinsamkeit mit dem Geehrten. Was aber, wenn diese Musik nicht ohne weiteres verstanden wird? „Kunst wird durch Vollzug erklärt – und nicht durch Blabla“, sagt Rihm in Felix Schmidts und Holger Preußes einfühlsamen Filmportrait „Neue Töne in Berlin“ aus dem Jahr 1999. Dass man über Kunst sehr wohl mit Gewinn reden kann, war im Werkstattkonzert zu erfahren. Der Pianist und Musikwissenschaftler Siegfried Mauser präsentierte eine kleine, aber reizvolle Palette von Rihms Klavierstücken – angefangen mit der Uraufführung des ersten der drei frühen Klavierstücke aus den Jahren 1967 bis 1969, das der Komponist selbst noch nie vorgetragen gehört hatte. Wie Rihm und Mauser ins Gespräch über die Musik kamen, war auch für das Publikum ein Genuss.
Von den Beiträgen auf dem Symposion konnte man dies nicht durchweg behaupten. Bisweilen machte sich akademischer Leerlauf breit, bisweilen spielte sich auch das theatralische Moment derartiger Veranstaltungen, auf das FAZ-Redakteur Gerhard R. Koch zu Beginn seines Vortrags („Wolfgang Rihm oder Der Wahnsinn des Theaters“) hinwies, stark in den Vordergrund. Wer aus dem Publikum die einmalige Chance nutzen wollte, sich aus den Vorträgen und Gesprächen der Experten einen Zugang zu Wolfgang Rihm zu verschaffen, musste oft genug erfahren, dass er von den Vortragenden als Hörer gar nicht ins Kalkül gezogen war. Vielleicht war es nicht ohne Hintersinn, wenn Rihm am Ende der Veranstaltung selbst einen von seinem Freund Peter Sloterdijk verlesenen Text zitierte: Wenn die Menschen , wie der Karlsruher Philosoph darlegte, sich seit alters her klanglich ihrer Gruppenzugehörigkeit vergewissern, so kommt es in erster Linie darauf an, dass geredet wird – viel weniger darauf, was geredet wird. Eine derart hermetisch agierende Musikwissenschaft und -publizistik wird allerdings über kurz oder lang in Legitimationsschwierigkeiten kommen. Eines muss man freilich zugeben: Schwer ist es, eine halbe Stunde lang über eine Musik zu reden, die sich vorgeformten Vorstellungen von logischer Stringenz und klar disponierter Architektur verweigert, sondern immer wieder augenblicklichen Impulsen folgt und sich als permanente Folge von „Fassen und Lösen“ (Rihm im Filmportrait) begreift. Das spontan Empfundene bewusst nachzuempfinden und nachzubilden und dadurch nachvollziehbar zu machen, ist die große Herausforderung, vor der Rihms Interpretationen stehen – am Noten- wie am Vortragspult.
Am Vorabend des Symposions gab es vom Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt unter Hugh Wolff die zwei Jahre alte Neufassung des Stücks „Vers une symphonie fleuve IV“, einen Tag später brachten Christoph Eschenbach und das NDR-Sinfonieorchester die Uraufführung der erst im August abgeschlossenen „Verwandlung“, am Sonntag schließlich spielte die Junge Deutsche Philharmonie „In-Schrift“. (zu diesem Konzert ein gesonderter Bericht unten)
Immer wieder wurde hörbar: Komponieren ist für Wolfgang Rihm kein geradliniger Prozess entlang festgelegter Stationen, sondern ein immer wieder neu zu suchender Pfad über schwankenden Boden, ein permanentes Wagnis, keine Reproduktion bekannter und bewährter Schemata, ein Sich-Aussetzen, kein Voraussetzen.
Mit musikalischer Architektur hat das wenig zu tun. Rihm schwebt eine „symphonie fleuve“ („ein Sinfonie-Strom“) vor, ein Ideal, das den repräsentativen Anspruch der Gattung mit permanenter Beweglichkeit zugleich erfüllt und unterläuft. Ein realistisches Ziel ist das wohl kaum, eher einen produktive Vision, die Rihm zu immer neuen Anläufen „Vers une symphonie fleuve“ treibt. Das vierte Stück dieser „sinfonischen Annäherungen“ entstand 1996/97; und es erscheint bezeichnend , dass Rihm es 2000 noch einmal überarbeitet hat.
Und so wie das Komponieren zum Abenteuer wird, so muss auch das Hören dieser Musik zum Abenteuer werden. Hugh Wolff und dem RSO Frankfurt gelang dies hervorragend: Aus den wogenden Streicherbewegungen des Anfangs schälten sich verschiedene musikalische Charaktere heraus: In einem spannenden Verlauf mischten sich wilde Motorik, nervöse Expressivität, lyrische Zartheit und erhabene Feierlichkeit, ohne je zu festen musikalischen Zuständen zu gerinnen; und mit leichter Ironie klang der Anfang am Ende noch einmal leise an.
Auch Rihms neues Stück „Verwandlung“ lebt von der Idee der permanenten Transformation; doch wo „Vers une symphonie fleuve“ deutliche Konturen zeigt und gewaltsame Eruptionen nicht scheut, entwickelt sich die Musik hier eher in kleinzelligen Überblendungen und verleugnet nie einen Grundton von Zartheit. Auch hier war die musikalische Realisation durch Christoph Eschenbach und das NDR-Sinfonieorchester eindrucksvoll. Es war eine eigenartige Hörerfahrung, dass die Keimzelle des Anfangs, das helle, hohe g, auch dann noch als eine Art Fixstern am Horizont erhalten blieb, als die musikalische Entwicklung es längst verlassen hatte, das Stück endet mit einem trockenen, lakonischen cis der Klarinette, weit weg vom Beginn. Ausgesprochen spannend wurde es dann wieder, als der italienische Komponist Luca Lombardi seinen Vortrag über „Fortschritt und Wiederkehr“ mit einer Kaskade von Adjektiven begann, mit denen er nicht nur Rihms Musik beschrieb, sondern auf witzige Weise auch deren alogisches, assoziatives Fortschreiten nachzeichnete.
Bisweilen unterbrochen von weiteren einfallsreichen Reihungen dieser Art kombinierte Lombardi seine skeptische, erfahrungsgesättigte Auseinandersetzung mit der Idee eines gesellschaftlichen und künstlerischen Fortschritts mit einer einfühlsamen Laudatio auf Wolfgang Rihm, deren Krönung die Überreichung eines dem Jubilar gewidmeten Klavierstückes war. (Leider sei es zu schwer, musste Lombardi bedauern, als dass er es selbst in wenigen Tagen hätte einstudieren können; Rihm stimmte ihm nach einem Blick auf die Noten sofort zu.)