Die Mozart-Da-Ponte-Trilogie, die Regisseur Vincent Huguet und Dirigent Daniel Barenboim gemeinsam entworfen haben, ist nun mit „Don Giovanni“ komplettiert worden. Der Regisseur und Chéreau-Schüler Huguet will die Mozart/Da-Ponte-Trilogie (so schreibt er im Programmheft) als Legende von der sexuellen Befreiung und ihren Folgen verstanden wissen. „Così fan tutte“ als 68er-Aufbruchsstück, als Initiation gleichsam, „Le nozze di Figaro“ als Ehekrisen-Actionkomödie, (Midlife Crisis). Das in der „Année érotique“ beginnende Triptychon soll mit „Don Giovanni“ als in der Gegenwart angesiedelte Altersbetrachtung enden.
Inspiriert worden sei er von Michel Foucaults dreibändiger Abhandlung „Sexualität und Wahrheit“, so ist zu lesen. Ob man unbedingt Foucault bemühen muss, um die Sprengkraft von Mozarts Da-Ponte-Opern zu begreifen, sei dahingestellt, zumal der Bezug ein Lippenbekenntnis des Regisseurs bleibt, das sich in seinen Inszenierungen nicht sonderlich realisiert. Dass Mozart und Da Ponte sich in ihrer Analyse der gesellschaftszersetzenden Kraft des Eros auf der Höhe eines de Sade bewegen, ist schon lange klar. Das ist nicht neu. Auch übrigens Inszenierungen der Da Ponte-Trilogie in den Sechzigjahren und darüber hinaus gab es schon zu Hauf.
Man denke nur an die witzige, grellbunte Da-Ponte-Trilogie von John Dew an der Leipziger Oper in den 1990er Jahren. In dieser Inszenierung war der schrille Zeitgeist-Look nur Anlass für ein Feuerwerk von intelligenten und frechen Regiegags. Etwas mehr Frechheit und Intelligenz wünschte man sich an der Staatsoper Unter den Linden auch.
Übrigen sei daran erinnert: In den Neunzigerjahren hat Barenboim die Trilogie bereits mit den Berliner Philharmonikern für Erato aufgenommen. 1999 brachte er die Trilogie erstmals unter seiner Stabführung an der Staatsoper heraus. Den Auftakt bildete eine dröge „Hochzeit des Figaros“ von Thomas Langhoff. Als Finale folgte eine dämliche hippie-stylishe „Così fan tutte“ der Operndebütantin Doris Dörrie, nachdem Langhoff einen ebenfalls enttäuschenden „Don Giovanni“ produziert hatte und abgesetzt wurde.
Was die jüngste „Don Giovanni“-Produktion betrifft: Schon bei der Ouvertüre, die Maestro Barenboim in beispielloser Langeweile, in breiten Tempi, dick und altmodisch falsch-romantisch nahm, schwante einem nichts Gutes. Es blieb den ganzen Abend über bei diesem fern aller historischen Informiertheit selbstgefällig belanglosen und langatmigen Dirigat, leider, denn die Sänger waren superb, waren durch die Bank erste Garnitur.
Den Don Giovanni singt souverän Michael Volle. Als Darsteller ist der inzwischen sehr gealterte, fettleibige Mann in Sneakers, faltigem blauem Hemd und Jeans unglaubwürdig (bei Mozart war der Titelheld ein etwas älterer Cherubino von Mitte Zwanzig). Er mutet an wie ein abstoßender, absolut unerotischer Clochard. Wesentlich erotischer waren da schon der sportive, sehr idiomatisch und virilsingend und agierende (man sieht seinen sportlichen Body sogar halbnackt) Leporello von Riccardo Fassi. Auch der Masetto des kroatischen Ensemblemitglieds (ein Glücksfall für das Haus) von David Oštrek besticht durch seien natürlich männlichen, bodenständigen Bariton und sein sympathisches, schnörkellos erotisches Spiel mit Zerlina, die von der spanischen Sopranistin Serena Sáenz entzückend und mit Liebreiz gesungen wurde. Die Sensation der Aufführung ist die Donna Anna der in Bratislava ausgebildete Sopranistin Slávka Zámečníková. Eine große, leuchtende, eindrucksvolle Stimme von perfekter Gesangskultur ebenso wie die virtuose, dramatische Stimme der französisch-dänische Sopranistin Elsa Dreisig. Zwei Ausnahmestimmen ohne Frage. Der ukrainische Tenor Bogdan Volkov hat als Don Ottavio (er darf seine beiden Arien singen und brilliert vor allem mit „Dalla sua pace…“) beispielhaft gezeigt, was ein guter Mozarttenor ist! Der Commendatore von Peter Rose ist sängerisch rollendeckend. Würde er nur nicht in der pietät- ja geschmacklosen Höllenfahrts-Szene derart desavouiert.
Vincent Huguet lässt in einer Art Einsegnungshalle mit Grablichtern, Särgen und dem aufgebahrten Commendatore, der im ersten Akt von Don Giovanni getötet wird) das Bankett des Titelhelden vor dem aufgebahrten (und zuvor von Ärzten Obduzierten) anrichten. Respektlos gebiert sich Giovanni auf dem Sarg des Getöteten, säuft und lässt seine Sprüche los. Den Gipfel der Peinlichkeit gestattet sich der Regisseur, wenn er beim Auftritt es geladenen Toten (von wegen steinerner Gast) in der sich öffnenden Wand ein Gerichtstableau zeigt, in der Mitte der Commendatore. Er hält in Robe Gericht über den Frevler und verurteilt ihn zu Tode. Ärzte, Weißkittel befördern den auf eine Totenbahre Festgeschnallten per Giftspritze ins Jenseits. Dann wird der Leichnam Giovannis von der Bühne gefahren, um in der finalen Szene wiederaufzuerstehen und am Bühnenportal ungerührt und spöttisch lächelnd dem Schlusssextett zuzuhören: „Questo è il fin di chi fa mal – Dies ist das Ende dessen, der Böses tut!“.
Eine der vielen Ungereimtheiten der Inszenierung, in der Don Giovanni als Fotograf und Besitzer eines Fotostudios gezeigt wird. Donna Elvira ist als stylishe, vampartige Blondine bei ihm angestellt. Bei der Registerarie Leporello (der wie ein Fußballfan aussieht) werden im Schnelldurchgang die 1003 weiblichen Opfer Giovannis auf den nackten Waschbeton, der den ganzen Abend beherrscht, projiziert (Video: Robert Pflanz, Bühnenbild: Aurélie Maestre)).
Zu Beginn schon sieht an Angela Merkel im Kuss vereint mit einem anderen Politiker (ist es Sarkozy). Später sieht man ein gestyltes Foto des Titelhelden, betitelt „Giovanni Retrospektive – 40 Jahre Photographie“. Immer wieder Fotoshootings, Verführungsszenen auf dem Sofa das Studios, aber auch auf mediterran-maritimem Hafengelände (warum eigentlich). Und schon in der ersten Szene des ersten Aktes macht sich Don Giovanni eindeutig über Donna Anna her, er dürfte ihr also eigentlich nicht unbekannt sein. Das ganze folgende Anna-Drama der Handlung ist somit unglaubwürdig. So unglaubwürdig wie die ganze Inszenierung, die mit Fummeleien, Kopulationsszenen, szenischen Kalauern und Blödeleien nicht geizt. Bei seiner „Champagnerarie“ mischt Giovanni eine Champagnerbowle! Immer wieder Spiele mit Laptops und Handys, das Vamp Elvira raucht natürlich permanent. Masetto und Zerlina müssen Bier aus der Pulle trinken, just zu Ottavios „Il mio tesoro“.
Proletenhaftes, Neureiches, Alltägliches, Glamouröses, Verrücktes, Spießiges, eine Mischung wie man sie aus den Comedy-Shows des TV kennt. Auch wenn Mozart in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis den „Don Giovanni“ ausdrücklich als Opera Buffa (!) bezeichnet, so platt meinte er sie sicher nicht.
Trotz Mätzchen und gespielter Partylaune (mit bunten Kostümen von Clémence Pernoud langweilt der Abend. Von psychologischer Personenführung oder wenigstens regielich handwerklichem Metier kaum eine Spur. Und Mozarts Absicht, den Untergang der Herrschaft des Ancient Régimes (verkörpert durch Don Giovanni, dem nichts mehr gelingt) und die Heraufkunft einer bürgerlichen, humanen Gesellschaft (verkörpert durch Don Ottavio) zu verkünden, wird in dieser Produktion keinerlei Rechnung getragen! Eine große Enttäuschung!