Märchen und Musik können sich anrührend und sinnlich und emotional durchdringen und steigern. Und bis ins utopisch Glück Verheißende bezaubern. Also machte sich der als überbordender Erzähler gehandelte Regisseur Axel Ranisch daran, zwei Kompositionen und teils märchenhafte Handlungen zu vermengen und in knapp zwei Stunden neu vorzuführen. Wolf-Dieter Peter mit seinem Bericht.
Für diese Neuproduktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper wurde mit der russischen Dirigentin Alevtina Ioffe eine junge Fachfrau engagiert. Sie wählte Strawinskys Einakter in der Fassung für Kammerensemble von Paul Philipps aus dem Jahr 2010, die den feinherben, mitunter trockenen und straffen Tonfall der Komposition von 1922 beibehält – und für Tschaikowskys schlägt ihr Herz… was heißt „schlägt“: es glutet und lodert und explodiert vulkanisch. All das leider nur im intimen Raum des Cuvilliéstheaters – also: erschlagend laut, locker fürs benachbarte Nationaltheater ausreichend. Selbst wenn man jugendliche Premierenbegeisterung zugutehält: hat da kein Assistent in den Endproben mal geraten, dass weniger mehr wäre? Aber ihr Temperament und Können, das Staatsorchester und ein auf der Bühne positioniertes Sextett, das als ergraute königliche Hofmusik mitmusizierte, und den auf der Drehbühne kreisenden Handlungsmix zusammenzuhalten, imponierten.
Imponierend
Mag sein, dass ihre musikdramatische Begeisterung dann auch die jungen Sänger über alle Premierenanspannung hinaus enthusiasmiert hat: erneut war Anna Russels unsterbliche Wagner-Bosheit „Anything you can sing – kann ich lauter“ zu erleben. An den an einer Hand abzuzählenden Piano-Stellen, aber auch im Forte bis Fortissimo war zu hören, dass fast durchweg gute bis sehr gute Stimmen im Opernstudio reifen - herausragend Boris Prýgl (Robert) und Markus Suihkonen (König): gute Bühnenerscheinungen und markante dunkle Töne; Long Long (Vaudemont) eine Tenorhoffnung; Natalia Kutateladze (Nachbarin und Laura) und vor allem Mirjam Mesak als Iolantha: schöner Mezzo und leuchtender Sopran.
Für sie alle hatte Regisseur Ranisch von Ausstatter Falko Herold ein drehbares Dornröschen-Schloss bauen lassen, in dem die blinde Prinzessin Iolantha vom königlichen Vater samt Erziehern weltenfern gehalten wird. Ihr erwachendes Frau-Sein lässt sie mit kleinen Puppen erste Liebeshandlungen à la „Mavra“ spielen – und die führt Ranisch mit Sängern als lebenden Puppen vor: die kecke Mavra tröstet die um ihre Küchenhilfe trauernde Mutter, in dem sie ihre Liebe, den Husaren Wassili, als Köchin verkleidet ins Haus holt; der fliegt beim Rasieren auf, muss fliehen und die Liebenden bleiben getrennt zurück. Doch der ins Schloss verbotenerweise eingedrungene Ritter Vaudemont erklärt Iolantha, dass Augen eben nicht nur für Tränen gemacht sind, sondern auch für farbige Blumen und strahlendes Licht und Freude an Gottes Schöpfung – aus den trockenen Rosen des Schlosses werden bunte Video-Tulpen und die Liebe erblüht dazu. Ein arabischer Medicus erkennt richtig, dass Iolantha selbst wollen muss zu sehen. Als sie das aus Liebe heraus natürlich will, um den verurteilten Eindringling Vaudemont zu retten, mündet alles in liebendes Erkennen und Verzeihen.
Was musikalisch von Tschaikowsky in seiner letzten Oper als grandios überhöhte Utopie einer Welt gestaltet ist, in der durch Liebe alles geheilt werden kann – daran meinte Regisseur Ranisch herumbasteln zu müssen. Seine Iolantha tut nur so, als ob sie sehe; als Vaudemont dies erkennt, sticht er sich auch die Augen aus; beide scheinen tot, doch da kommen Mavra und Wassili, setzen ihnen ihre Puppenköpfe auf – was Iolantha und Vaudemont lebendig und sehend macht; dass bei Strawinsky Mavra und Wassili am Ende eigentlich von ihrer heißen und unerfüllten Liebe singen, geht unter, denn sie haben gleich zu Beginn mal auf dem Küchentisch fröhlich kopuliert … egal, Tschaikowskys herrliche Gloriole auf göttliches Licht deckte fulminant tönend alles zu – auch Ranischs hinzuerfundene Patriarchin im elektrischen Rollstuhl, die sich aus dem Flachmann alkoholisch tröstet.
Wieder einmal wäre also der Stücktitel abzuändern und der kesse Neuerzähler Ranisch sollte sich als Regisseur deutlich mehr um differenzierte Personenzeichnung kümmern: da wurde in Zwiegesprächen und leider auch in Liebesduetten hauptsächlich frontal ins Publikum gesungen; Vaudemonts schmerzliche Erkenntnis von Iolanthas Blindheit könnte der agile Long Long sicher erzählend ausspielen, statt sie bewegungslos auszusitzen - undundund. Den erkennbar begabten Jung-Solisten wäre weniger Aktionismus, mehr konzentrierte Feinarbeit seitens des Regisseurs zu gönnen – auch wenn Tschaikowskys emotional überwältigende Musik dies alles zudeckte und in brausenden Beifall mündete.