„Le nozze di Figaro“ im Jahrhundertblick – die Regie von Johannes Erath und das Dirigat von Omer Meir Wellber ergänzen sich auch da, wo sie sich widersprechen. Warum soll es in der Oper nicht auch mal Theater geben?
Eigentlich geht es in Mozarts Opera buffa „Le nozze di Figaro“ ja nur um einen einzigen, freilich um den tollsten Tag im Leben des Kammerdieners im Hause von Graf Almaviva. Zeitig am Morgen misst der Bräutigam das Zimmer aus, in dem er und seine Braut Susanna fortan leben wollen. Direkt zwischen den Gemächern von Graf und Gräfin! Was reichlich praktisch ist, wie Figaro ganz töricht meint. Susanna erkennt darin gräfliche Begehrlichkeiten und wähnt sich dem direkten Zugriff ausgesetzt. Die folgenden Stunden sollen ihre Sorge nur allzu begründen. Am Abend sind die beiden trotzdem ein Paar – und um viele Erfahrungen reicher. Das haben sie mit sämtlichen Figuren in diesem wunderbaren Stück Musiktheater gemein.
In der letzten Spielzeitpremiere an der Dresdner Semperoper vergehen zwischen erstem Duett und glücklichem Finale ganze Jahrhunderte. Und das, obwohl Gastdirigent Omer Meir Wellber ein so flottes Tempo anlegt, dass die sächsische Gemächlichkeitspolizei später zu Buhrufen ansetzt. Auch lässt Regisseur Johannes Erath mitsamt seiner Bühnenbildnerin Katrin Connan und der Kostümbildnerin Birgit Wentsch Mozarts Rasanz freien Lauf, wählt dafür aber den Jahrhundertblick. Für den ersten Akt gehen sie auf die Commedia dell'arte zurück, verlegen den zweiten und dritten ungefähr in die Entstehungszeit des perückenhohen Rokoko, um zum Schluss in einem ungefähren Heute angekommen zu sein. Was wohl nur so zu deuten ist, dass die zwischenmenschliche Triebsteuerung im Grunde bis jetzt nicht anders funktioniert als immer schon. Wahlverwandtschaften? Schlag nach bei Goethe!
Die Theater-Deutung nimmt die einzelnen Szenen ganz bewusst auseinander, erklärt sich von innen heraus. Als Harlekin und Columbine steigen Figaro und Susanna sehr lustbetont ins Stück ein und werden von Marcellina und Bartolo sowie auch im ersten Auftritt des Chors dupliziert noch und noch. Der Herr Graf erscheint zunächst ebenso im Pierrot-Kostüm wie sein ewiger Widersacher Cherubino – was der Herrscher aus Machtanspruch für sich begehrt, will der ihn stets dabei störende Knabe aus purer Lendenlust. Unterm Strich kommt dasselbe bei raus: Nichts Weibliches soll ihnen fremd bleiben.
Der Ursprung dieser Oper liegt bei Beaumarchais, und der wusste schon um die Selbstbehauptung der Frau. In recht unterschiedlichen Charakteren tritt dies zutage: La Contessa duldet lange still, will sich aber weder vorführen lassen noch ihrerseits untreu werden. Susanna ist schon einen Schritt weiter und entscheidet möglichst selbst. Bleibt noch ihre Rivalin Marcellina, die urplötzlich zur Schwiegermutter mutiert. Ein Frauenbild aus anderer Zeit, das lebenslang unter einem vermeintlichen Fehltritt zu leiden hat. Und trotzdem nicht ohne Begierden ist. Was für ein Glück, dass sich dies alles in Figaros und Susannas Sinn auflöst.
Die Wandlungen der Zeitebenen und Spielweisen erfolgen meist auf offener Bühne und oft recht fließend Da wird schon mal eine Perücke abgenommen, um die Wiederkehr im frischen Kostüm des nächsten Aktes anzudeuten. Wunderbar spielerisch geht auch eine Handvoll vermeintlicher Bühnenarbeiter zu Werke, die Umbauten und Dekorationen vornehmen. In Wahrheit sind das natürlich bestens geführte Tänzerinnen und Tänzer. Der Staatsopernchor darf hier mal ganz absichtsvoll statuarisch auftreten und in wechselnden Outfits die Szenerie schmücken. Mit Christoph Pohl gibt es einen zur Wut neigenden Grafen fast ohne Noblesse, der nur die Röcke im Blick hat und das, was er sich darunter erhofft. Christina Bock als schlanker Cherubino ist da wesentlich zielorientierter, was des Grafen Wut nur umso mehr anstachelt. Seine Gattin wird von Sarah-Jane Brandon weniger gewitzt denn aus der bitteren Einsicht heraus gegeben, dass schlicht und einfach die Lebenszeit gegen sie spricht. Die Feldmarschallin des „Rosenkavalier“ bringt das später ganz herb auf den Punkt.
Für Susanna und Figaro allerdings scheint noch alles offen zu sein, die Welt liegt ihnen zu Füßen, so bleibt der quirligen Emily Dorn und dem sympathisch-tapsigen Zachary Nelson genügend Zeit, zwischen eindeutigen Liebesbeweisen auch heftig zu streiten. Bei Marcellina und Bartolo sind die Zeiger schon fortgeschritten, Karin Lovelius und Matthias Henneberg fügen sich nach einem letzten Versuch des Aufbegehrens in ihr Geschick. Man wird ja nicht alle Tage Mutter und Vater eines verdrängt-vergessenen Fehltritts.
Wie es scheint, hat die lustvolle Atmosphäre von Oper und szenischer Umsetzung das gesamte Ensemble – zu dem auch eine quicklebendige Tuuli Takala als Barbarina und Alexander Hajek als deren mürrischer Vater Antonio sowie Aaron Pegram und Gerald Hupach als die gestandenen Herren Don Basilio und Don Curzio gehören – spielfreudig mitgerissen und zu sängerischen Höchstleistungen angesteckt. Nicht immer jedoch im perfekten Gleichklang mit dem Orchester, wobei am meisten überrascht, dass selbst manche der rundesten Phrasen keine taktgenauen Einsätze fanden. Dabei sollten sich szenische und musikalische Umsetzung bestens gut ergänzen, indem die Moderne auf der Bühne mit frisch extemporierten Rezitativbegleitungen (zum Schluss gab's auch nur das gesprochene Wort) aus dem Graben verknüpft worden ist. Der Dirigent war an Cembalo und Hammerklavier stark beschäftigt und nahm sich obendrein noch das Akkordeon zu Hand, um Edith Piafs „La vie en rose“ anklingen zu lassen. Hat nicht gestört, war sogar ganz nett, gibt aber Mozart-Puristen unnötig Futter, wenn darunter der Gesamteindruck leidet.
- Termine: 25. Juni, 2. und 4. Juli 2015