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Mitte: Svitlana Slyvia (Storgè), Robert Sellier (Jephtha), Chor und Extrachor der Oper Halle. © Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Tobias Kruse
Mitte: Svitlana Slyvia (Storgè), Robert Sellier (Jephtha), Chor und Extrachor der Oper Halle. © Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Tobias Kruse
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Leben und Glauben am Rande des Abgrunds – Händelfestspiele in der Oper Halle mit „Jephta“

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„Jephta“ ist in Händels Lebenswerk so etwas ähnliches wie der „Parsifal“ in dem von Wagner. Es ist das letzte neu komponierte und 1752 im Royal Theater Covent Garden uraufgeführte Oratorium. Ein Alterswerk, bei dem ihm all sein Können zu Gebote steht. Eins, in dem es obendrein um Gott und die Welt und um Leben und Tod geht. Auch um das eigene Leben und dessen Ende. Dass Händel während der Arbeit an seinem „Jephta“ erblindete, meint man zu hören.

Bei Regisseurin Tatjana Gürbaca sieht man es auch. Obwohl alle Akteure des Abends im Alltagszivil kommen. Inklusive der Unterwäsche (Kostüme: Silke Willrett). Was man nicht nur heutig, sondern auch beliebig finden könnte. Das spielt aber nicht wirklich eine Rolle. Im Zentrum steht etwas ganz anderes. Gürbaca hat das exemplarisch Überzeitliche in der biblischen Geschichte gesucht und zu einem packenden, ergreifenden Stück Musiktheater werden lassen.

Bei dem auf archaisch leerer Bühne von Stefan Heyne auf, um und über der angekippten Scheibe dennoch im faszinierend durchchoreografierten Zusammenspiel von Protagonisten und Chor wirkungsmächtige Bilder entstehen, die auch der Vorstellungskraft der Zuschauer noch Raum lassen.

Wenn sich die Massen in einem Spiegel doppeln, dann verweist das auf die Frage, ob Gott die Menschen oder die Menschen Gott geschaffen haben und evoziert eine Opulenz der besonderen Art. Auch die Himmelsleiter aus Neonröhren beim Zwiegespräch von Jephta mit seinem Gott gehört dazu.

Die Schrecksekunde schlechthin

In dieser kargen assoziationsoffenen Welt entfaltet sich die existenzielle Wucht, die der verhängnisvolle Schwur des Kriegsherrn Jephta entfaltet. Er will das erste Wesen, das ihm nach einem Sieg in der Schlacht über die Ammoniter begegnet, dem Gott zu opfern, der ihn siegen lässt. Es ist es – wie bei Agamenon oder Idomeneo – das eigene Kind. Ein Effekt, der noch jeden Mythos auf der Bühne zur Tragödie werden lässt. Für den (gerade bei Händel naheliegenden) Weg vom Oratorium zum Musiktheater ist das die Schrecksekunde schlechthin, in der die Handlung kippt. Es ist genau der Schritt zu viel auf den Abgrund zu.

In Halle stockt spätestens da dem Zuschauer (falls er sich dem ordnungsgemäß übertitelten Geschehen nicht verweigert) der Atem, wenn ein ausgelassener Brautzug und die Heimkehrer aus dem Krieg zusammentreffen: Die Mädchen und Frauen mit Jephtas Tochter Iphis als Braut. Außer Rand und Band. Was hier bedeutet – aus unserer Mitte, über Rang und Zuschauerraum, im Stile der Junggesell(inn)enabschiede, vor denen man besser in Deckung geht. Hände schüttelnd und Kondome verteilend. Sie hatte sich gemeinsam mit ihrem Liebsten Hamor vor dem Krieg die gemeinsame Zukunft ausgemalt. Bei Ines Lex und dem Counter Leandro Marziotte als neckend zärtliche Annäherung zwischen Begehren und Schüchternheit. Auf der anderen Seite des Grabens, aus der Tiefe des Bühnenraumes, kommen die Krieger. Hamor blutverschmiert. Alle irgendwo zwischen Trauma und Siegestaumel. Der gefeierte Sieger Jephta verwechselt sich hier selbst mit dem Gott, dem er ja den unseligen Pakt mit dem Menschenopfer aufgenötigt hat. Er spielt in seiner Hybris sogar russisches Roulette mit einem seiner Soldaten, der das erst über sich ergehen lässt, dann aber doch versucht, vor diesem Irrsinn zu entfliehen.

Dem Schwur Jephtas entsprechend, wird auch das Opfermesser wie eine Monstranz mitgeführt. Aber es springt kein Feind, kein Widder oder Opferlamm aus dem (nicht vorhandenen) Busch. Es ist die eigene Tochter, die Jephta sieht. Die Zeit friert für Momente ein, ihn haut es zu Boden und der Absturz beginnt. Iphes rettet sich in Schicksalsergebenheit. „Alles was ist, ist auch richtig“ so der Chor mit einer Wucht, die ins Herz schneidet. Als Mutter Storgè revoltiert Svitlana Slyvia mit ihrem dramatischen Mezzo und mit vollem Körpereinsatz, um ihr Kind vor dem Opfertod zu bewahren. Das geht bei ihr so weit, andere auszuwählen. Sogar den Priester Zebul, den Ki-Hyun Park im korrekten Anzug mit sicher profundem Bass als kühl pragmatischen Manager der Macht gibt. Während sich das Volk am liebsten wieder der Normalität einer Nachkriegsordnung zuwenden würde, schafft es Storgè aber, gleichsam eine Revolte gegen den neuen einen Gott anzustiften. Sie holt die alten Götzenbilder wieder hervor, die zu Beginn offenbar eben doch nicht alle verbrannt und entsorgt worden waren.

Bevor das alles eskaliert, tritt gleich einem Deus ex machina, ein Engel unter die verzweifelten Menschen. Blutverschmiert und verängstigt wehrt er alle ab, die versuchen, ihn anzufassen. Er wendet das Menschenopfer ab. Der elfjährige Tad-Young Hyuni macht das mit so überwältigender Sicherheit und darstellerischer Authentizität, dass dies zu Recht einen Szenenapplaus provoziert!

Doch ein glückliches Ende wird es dennoch nicht. Vor allem nicht für die, die in den Abgrund gesehen haben. Alle sind tief traumatisiert. Auch die gerettete, „nur“ zur Jungfräulichkeit verdonnerte Iphis, die dafür sogar dem Engel eine Ohrfeige verpasst. Vom siegreichen König ist am Ende nur ein völlig gebrochener Lear übriggeblieben. Robert Sellier mag manchmal das letzte Fünkchen heroisch dramatischer Durchschlagskraft fehlen, aber die geschmeidige Eloquenz seines Tenors und sein darstellerisches Charisma weisen ihn auch diesmal als einen der händelaffinen Ensemblemitglieder aus. Vor den grandios die Charaktere ihrer Rollen ausformenden Protagonisten muss diesmal freilich der von Rustam Samedov, einstudierte und durch einen Extrachor verstärkte hauseigene Opernchor genannt werden.

Chor ist der eigentliche Held des Abends

So wie sie diesmal mit Leidenschaft und hochprofessionell eine aus Individuen zusammengesetzte Masse spielen und dabei auch noch präzise singen, übertreffen sich diese Profis selbst! Der Chor ist der eigentliche Held des Abends. Die im Raum stehende Frage, ob Gott die Menschen geschaffen hat oder umgekehrt, mag man auch am Ende unterschiedlich beantworten. Dass aber der Chor ganz wesentlich diesen „Jephta“ geschaffen hat, das lässt sich eindeutig sagen. Bravo! (Was nebenbei beweist, dass Oper ohne einen hauseigenen Profichor nicht geht.)

Im hochgefahrenen Graben demonstriert natürlich auch das fabelhafte Händelfestspielorchester, der mit historischen Instrumenten ausgerüstete und vertraute Teil der Staatskapelle Halle, unter der Leitung des Barockspezialisten Christoph Spering seinen Stand unter den Spezialorchestern des Landes mit Leidenschaft, Sinn für dramatische Verve und Perfektion. Einheitlicher Jubel für ausnahmslos alle Beteiligten für einen gelungenen Auftakt der Händelfestspiele in Halle!

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