Diese Vorstellung an der MuKo umwehte der Hauch des Besonderen. Dafür war die Tochter des Komponisten Emmerich Kálmán, Yvonne (81), höchstselbst angereist. Berührend, wie sie den euphorischen Schlussapplaus von der Bühne aus mit ihrem herzlich aufmunternden Gruß, der auch schon im Programmheft stand, veredelte und wie sie für die schöne Illusion sorgte, mit dem Beifall für sie auch ihrem Vater Reverenz zu erweisen. Sie gehört zu den Erbinnen, denen man getrost Applaus spenden kann. Die muntere alte Dame gehört zu den Erbinnen, die nicht verhindern, sondern mit Vehemenz auch ausgefallenere Erbepflege, als die in Leipzig, zulassen. Ihr Vater, der Ungar Emmerich Kálmán (1882-1953), steht (neben Franz Lehár) für die Silberne Operettenära. Auch wer kein Fan davon ist, kann weder der Csárdásfürstin (1915) noch seiner Gräfin Mariza (1924) und ihren Ohrwürmern entgehen.
Er war einer der letzten Großen des Genres, musste als Jude vor dem Rassenwahn der Nazis in die USA emigrieren. Davon freilich ahnte er 1928 als seine „Herzogin von Chicago“ herauskam noch nichts. Mit diesem Zweiakter, nebst Vor- und Nachspiel, probt er einen (heute verblüffend modern anmutenden) Clash der Kulturen. Zwischen der Neuen und der Alten Welt, bei dem Foxtrott, Jazz und Charleston gegen Walzer, Csárdás und Wiener Lied antreten. Aber: The Winner is: Kálmán. Und die Operette. Allerdings zunächst nur bis die Nazis an die Macht kamen. Auf deren Abschussliste standen die Juden und der Jazz.
Der Story ist so schlicht wie ihr (Happy)Ende unausweichlich: Amerikanische Milliardärs-Tochter auf Shopping-Tour in Alt-Europa trifft auf verarmten balkanischen Operetten-Erbprinzen. Die Win-Win Situation, falls die beiden ein Paar werden, liegt auf der Hand. Zumal sie daheim eine Wette mit ihrem Ladys Club laufen hat, wer wohl das originellste Mitbringsel aus Europa präsentieren kann. Ein Schloss samt Prinz und Königreich würde natürlich alles toppen.
Dass die, die zueinander wollen, das aus Gründen der Staatsraison auf der einen und des unternehmerischen Kalküls auf der anderen Seite auch sollen, verzögert das Ende nur, hält es aber nicht auf. Ein falscher Brief in den falschen Händen zur falschen Zeit ist schnell aus der Welt geschafft. Das transatlantische Liebes-, Geschäfts- und Staatenbündnis unausweichlich. Im Grunde haben Kálmáns Textdichter Julius Brammer und Alfred Grünwald also Thomas Manns Novelle „Königliche Hoheit“ auf Operette gebürstet. Dazu hat Kálmán eine gepfefferte Musik komponiert. Mit der er sich als ein souveräner Meister seines Fachs erweist. Und die ist in der MuKo in genau den richtigen Händen und Kehlen. Dirigent Tobias Engeli hat sie sogar so sehr im Blut, dass er sich beim durchchoreographierten Rausschmeisser am Ende ziemlich perfekt in die tanzende Truppe einreiht. Dass man am Ende als Zuschauer nicht genug davon hat, mag auch daran liegen, dass die Operette auf drei Stunden inklusive Pause gestrafft ist. Vor allem aber an dem Esprit, mit dem hier gespielt, getanzt und gesungen wird.
Regisseur Ulrich Wiggers hat den kleinen Witz, den großen Bogen, vor allem aber das Tempo voll im Griff. Wenn eine Figur 1928 schon James Bondy heißt, dann ist natürlich klar, dass er sich stets so vorstellt, als wäre er der nachgeborene Superspion Ihrer Majestät. Mit aktuellen Anspielungen auf das Amerika von heute hält sich die Regie zurück. Die stellen sich von selbst ein. Wenn Milko Milev als Bilderbuch-Milliardärspapa Benjamin Lloyd seiner Tochter Mary die Ehe als guten oder schlechten Vertrag erklärt, hört man das good-deal und bad-deal Gerede des gegenwärtigen amerikanischen Präsidenten von selbst mit. Im Grunde aber bleibt die Inszenierung in dem Operettenland, das Ausstatter Leif-Erik Heine in einem faszinierend geschmackvollen Art déco Ambiente mit ausgesucht schicken Kostümen imaginiert. Die kleine Prise Militarismus mit aufmarschierenden Kinderrekruten geht durch, weil keiner der Operettenstaaten je wirklich einen Krieg geführt hat.
Zwei Treppen und eine Art Empore als ein übergroßer Thron – dieser Raum ist zuerst der Budapester Nobelschuppen, in dem sich Erbprinz und Erbin das erste Mal begegnen und die in die Vergangenheit gerichtete Walzer- und Csárdás-Romantik und der in die Moderne zielenden Jazz- und Charleston-Rhythmus aufeinander treffen. Mit ein paar leichten Änderungen ist es aber zugleich das Innere des Schlosses in Sylvarien.
Als Prinz Sándor ist Adam Sanchez eine vokale und optische Idealbesetzung. So kernig höhensicher und wohltuend geschmeidig wie fesch und charmant. Lilli Wünscher als Mary darf als verwöhnte Tochter starten und dann spürbar reifen, was auch für ihren Gesang gilt, auch wenn der nicht immer voll verständlich ist. Ebenso sympathisch wird das zweite transatlantische Paar, Prinzessin Rosemarie und James Bondy, von Laura Scherwitzl und Jeffery Krueger verkörpert. Auch Justus Seeger als Nachtclub-Besitzer Tihanyi und Ansgar Schäfer als Finanzminister Graf Bojazowitsch und alle übrigen kleineren Rollen sind bestens besetzt. Das von Kati Heidebrecht choreographierte Ballett, der Chor und die Jungs vom Kinderchor der Oper sind famos und sorgen für pures Vergnügen. So mitreißend kann gut gemachte Operette gehen!