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Leonard Bernsteins „Mass“ in Wien

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Vor 50 Jahren – neue musikzeitung 1973/09
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[…] Yale kam, sah und siegte, überwältigte mit einer Aufführung, die den Enthusiasmus jugendlicher Amateure mit fast durchweg hochprofessionellem Qualitätsanspruch zu verbinden wußte und in ihrer typisch amerikanischen Mischung aus Naivität, Optimismus, Selbstbewußtsein und Perfektion den eingefleischten europäischen Hochmut, auch was das Werk selbst betrifft, beträchtlich ins Wanken brachte.

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Denn es sind unsere hergebrachten ästhetischen Kategorien, die vor diesem Werk versagen (und nicht etwa umgekehrt). Und während wir des Langen und Breiten darüber diskutieren, wie denn eine Musik aussehen müßte, die, der breiten Masse verständlich, dennoch nicht allzu viel an Qualität verlieren, den Graben zwischen Komponisten und Publikum zuschütten und womöglich auch die Gegensätze zwischen E- und U-Musik aufheben könnte, schreibt Bernstein seine „Mass“: Getrieben von tiefem, echtem, fast ein wenig rührendem Bedürfnis nach (persönlicher, nicht bloß technische-quantitativer) Kommunikation, gläubig, gottsucherisch (und hierin auf die grassierende Jesus-Welle keineswegs angewiesen). Aber freilich auch als Künstler und Showman, der sein Handwerk perfekt beherrscht, keinen Effekt scheut, stilistische Bedenken als Fremdwort betrachtet, hingegen die weiten Bereiche der U-Musik als vorzügliches Mittel jener Kommunikation schätzt. Denn gerade das, was man als hemmungslosen Eklektizismus ankreidet, scheint weit eher bewußt eingesetztes Stilmittel zu sein: Die Synthese aller (amerikanisch-)volkstümlichen Musizierformen von Kirchenchoral und Braßband über Blues und Gospelgesang bis Jazz, Rock und Pop. Erstaunlich nur, dass gerade diese Partien in sich höher organisiert, fesselnder, qualitätvoller sind als das Amalgam „seriöser“ symphonischer Abschnitte. Hier und nur hier liegen die Schwächen und Längen des Werkes, während die Chorbehandlung wieder ganz vorzüglich geraten ist.

 

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Vor 50 Jahren – neue musikzeitung 1973/09 - Leonard Bernsteins „Mass“ in Wien

Vor 50 Jahren – neue musikzeitung 1973/09 - Leonard Bernsteins „Mass“ in Wien.

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Daß bei all dem, läßt man ästhetische Vorurteile einmal entschlossen beiseite, die ethisch-religiöse „Botschaft“ Bernsteins so gut ankommt, ist das eigentlich Erstaunliche dieser „Mass“. Ganz so, wie es ihm und dem Mittexter Stephen Schwartz vorschwebt, signalisiert diese szenische Paraphrase eines katholischen Gottesdienstes mit den ihn überwuchernden Songs und Tänzen, mit ihrer fortschreitenden Entfremdung von Ritus und Kommentar bis zur großen Katastrophe und dem wider alle Hoffnung hoffnungsvollen Neubeginn die Glaubenskrise unserer Zeit. Bernsteins utopische Vision des „simple song“ als Gebet des einfachen, kindlichen Menschen zu einem einfachen Gott mag freilich nüchtern-kritischer Analyse nicht standhalten: Im Augenblick und aus dem Idealismus dieser spontan empfindenden jungen Menschen heraus vermochte sie zu überzeugen.

Von all den zahllosen Mitwirkenden nur ein Name: Der 28jährige Dirigent John Mauceri, dessen souveräne Lockerheit und Sicherheit unerhört beeindruckten.

G.K., Neue Musikzeitung, XXII. Jg., Nr. 4, August/September 1973

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