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Plakat der 4. Internationalen Messiaen-Tage in Görlitz / Zgorzelec
Plakat der 4. Internationalen Messiaen-Tage in Görlitz / Zgorzelec
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Leuchtende Töne und klingende Farben – Die 4. Internationalen Messiaen-Tage in Görlitz / Zgorzelec

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Licht an einem einst düsteren Ort. Hoffnung an einer Stätte furchtbaren Leids. Die 4. Internationalen Messiaen-Tage haben in der deutsch-polnischen Doppelstadt Görlitz / Zgorzelec mit bedrückendem Erinnern ebenso wie mit glaubensvoller Zuversicht den Ton angegeben. Sie erinnerten einmal mehr an die Kriegsgefangenschaft des französischen Komponisten Olivier Messiaen im dortigen Lager Stalag VIII A, sind mit ihrer künstlerischen Botschaft inzwischen aber weit über das pure Gedenken hinausgegangen.

Der Anlass ist längst gemeinhin bekannt: Olivier Messiaen war etwa ein dreiviertel Jahr lang von Juni 1940 bis März 1941 im Kriegsgefangenenlager am Stadtrand von Görlitz (auf inzwischen polnischer Seite) inhaftiert und hatte dort – unter aus heutiger Sicht unvorstellbaren Umständen – die Möglichkeit, sein „Quartett für das Ende der Zeit“ (das „Quatuor pour la fin du temps“) zu vollenden. Am Abend des 15. Januar 1941 ist es da in der sogenannten Theaterbaracke uraufgeführt worden.

Einer der bekanntesten Komponisten und eines der bewegendsten Kammermusikwerke des 20. Jahrhunderts in solch einem Lager – das sind die Fakten. Aber sich in die Situation wirklich hineindenken kann man heute gar nicht mehr. Messiaen, damals natürlich noch nicht so bekannt wie in der Nachkriegszeit, saß mit Tausenden Häftlingen aus allen möglichen Ländern dort ein, nur durch Zufall und durch die Hilfe eines deutschen Offiziers kam er an Stifte und Notenpapier, um das Quartett zu Ende zu schreiben. Dessen Uraufführung soll in bitterer Kälte vor Hunderten Mitgefangenen und deutschem Wachpersonal stattgefunden haben.

Die Musik gilt heute geradezu als ein Mahnmal, das dem Leiden mit tönendem Licht, klingender Farbe, deutlicher Naturzugewandtheit und verzweifeltem Gottesglauben begegnet. Hoffnung, entstanden inmitten von Chaos?

Komponiert worden ist dieses Quartett für eine sehr originelle, bis dahin absolut unübliche Besetzung, für Klarinette, Violine, Violoncello und Klavier, Messiaen selbst hatte damals den Klavierpart übernommen. Die eigenwillige Formation ist schlicht darauf zurückzuführen, dass der Komponist vor Ort genau diese Instrumente bzw. drei Musiker mit diesen Instrumenten vorfand. Es müssen große Könner gewesen sein, um diese anspruchsvolle Musik umzusetzen.

Seit 2008 wird Olivier Messiaens „Quartett für das Ende der Zeit“ jedes Jahr am 15. Januar auf dem einstigen Lagergelände aufgeführt, selbstredend ebenfalls von großen Könnern und Instrumentalisten. Das ist das Verdienst von Albrecht Goetze (1942 – 2015), der von dieser Musik und den damit verbundenen Umständen so angetan war, dass er das alles überhaupt erst wieder ins öffentliche Bewusstsein gerufen und den Verein Meetingpoint Music Messiaen e.V. ins Leben gerufen hat. Seitdem hat sich viel getan, das einstige Lagergelände wurde zum Ort des Gedenkens umgestaltet, 2015 konnte dort das Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur Meetingpoint Music Messiaen eröffnet werden.

Dieser imposante Neubau bietet nun alljährlich die Kulisse für das Quartett, das in diesem Jahr von der Geigerin Sarah Christian, dem Klarinettisten Sebastian Manz sowie von Martin Klett und Julian Steckel an Klavier und Cello aufgeführt worden ist. Ihnen ist eine ergreifende, technisch zwar präzise, vor allem aber hoch emotionale Interpretation gelungen. Doch die Internationalen Messiaen-Tagen sollen mehr sein als purer Rückblick auf den Winter 1941, sollen – neben dem humanistisch mahnenden Kerngedanken – den musikalischen Stellenwert von Olivier Messiaen ebenso bewusst machen wie die künstlerischen Inhalte seines Werkes. Und da spielen bekanntlich die Farben eine ebenso große Rolle wie die Vögel des bekennenden Ornithologen. Musik gewordene Vogellaute gibt es ja nicht nur im 3. Satz des Quartetts, bunt schillernde Abgründe und Visionen nicht nur in den kristallinen Strukturen dieser Komposition.

Es lag nahe, das diesjährige Festival mit einer Lichtinstallation von Jan Bilk zu eröffnen, um auf diese Besonderheiten der Musik von Messiaen aufmerksam zu machen. Von ähnlichen Assoziationen ist auch das weitere Programm in diesem Jahr ganz wesentlich geprägt gewesen.

Auf beiden Seiten der Neiße, also im polnischen Zgorzelec und im deutschen Görlitz, wurde Musik mit Licht und Farbe in Verbindung gebracht. Eindrucksvoll in der Görlitzer Peter-und-Paul-Kirche und einem Olivier Messiaen sowie György Ligeti mit Alter Musik in Bezug setzenden Konzert, das durch eine Lichtinstallation und die farbigen Glasfenster der Kirche ebenfalls zu einem Gesamtkunstwerk geriet.

Hintergründiger wurden diese Zusammenhänge in Workshops, Führungen auf dem Lagergelände sowie in Vorträgen zur Verbindung von Musik und Bildender Kunst betrachtet, wobei die schon zuvor im Raum stehende Frage, ob der Komponist nun ein Synästhet gewesen ist oder nicht, letztendlich offen blieb.

Den Anklang zur eigenwilligen Quartett-Besetzung setzten die vier Musiker des Ensembles Mirror Strings, in dem zwei Gitarren (Luisa Maria Darvish Ghane und Johann Jacob Nissen) sowie zwei Violoncelli (Samuel Selle und Phillip Wentrup) für einzigartige Klangfarben sorgten. Neben zwei eigens arrangierten Sätzen aus dem „Quartett für das Ende der Zeit“ erklangen Kompositionen von Edvard Grieg, Astor Piazzolla und von jungen zeitgenössischen Komponisten.

Und auch mit Arnold Schönberg und dessen „Pierrot Lunaire“, dem eine Uraufführung des 1988 geborenen Michele Foresi vorangestellt war, ging es um Bezüge von Ton und Bild, um den Aufbruch in eine neue Musiksprache. Diese Aufführung im Görlitzer Apollo-Theater führte das junge Ensemble Rubin mit der Künstlerischen Leiterin der Messiaen-Tage, Sarah Weinberg, und dem Bildenden Künstler Steffen Thiemann zusammen. Der schuf parallel zur Musik und den eindrucksvollen Wortinterpretationen des „Pierrot“ anspielungsreiche Bildassoziationen, die im Entstehungsprozess auf eine Leinwand projiziert wurden.

Erstaunlich, wie beinahe in jedem Jahr, waren der Besucherandrang und auch der Zuspruch des Publikums mitten im Januar. Für die Engagement der Veranstalter dürfte das wohltuend gewesen sein, schließlich ist ein solches Erinnern heute vielleicht wieder wichtiger denn je. Und nicht zuletzt dürfte der künstlerische Erfolg jetzt schon Mut für die 5. Internationalen Messiaen-Tage machen, da sich im kommenden Jahr die Uraufführung des Quartetts zum 80. Male jährt.

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