Bei der Naziausstellung „Entartete Kunst“ wurde die Karikatur des schwarzen Saxophonspielers Bobby aus Emmerich Kálmáns „Herzogin von Chicago“ zum unrühmlichen Logo. Außer der Jazzmusik und dem Personal der Handlung stießen sich die NS-Machthaber an der ungarisch-jüdischen Herkunft des Komponisten und an den erfolgreichen jüdischen Librettisten Julius Brammer und Alfred Grünwald.
Inhaltlich geht es in dem 1928 in Wien uraufgeführten Zeitstück mit seiner wirkungsvollen Mischung aus Wiener Operette, Csárdás, Jazz und Charleston, um die Geld- und Liebesverbindung des bankrotten Erbprinzen von Sylvarien mit der kurzum zur Herzogin von Chicago ernannten Miss Mary Lloyd.
Dieses Bühnenwerk verbreitete sich rasch an den Theatern, wenn auch weniger erfolgreich als die vorangegangenen, konventionelleren Operetten „Czardasfürstin“, „Gräfin Mariza“ und „Zirkusprinzessin“. In der Sowjetunion gab es ein Aufführungsverbot, und auch Amerika sah sich im Sujet nicht positiv genug gezeichnet. Nicht nur mit dem farbigen Musiker, sondern auch textlich nehmen die Autoren Bezug auf die ein Jahr zuvor herausgekommene Erfolgsoper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek. Während jedoch in Kreneks Zeitstück der Jazz weltumspannend siegt, plädiert Kálmán für eine Versöhnung der divergierenden Kulturen. Der Erbprinz von Sylvarien, Sandor Boris, fasst dies in die Worte, „so ein Charleston ist doch gar nix anderes als amerikanischer Csárdás“.
Kurioserweise entspricht der Aufbau dieser Operette mit (szenischem) Vorspiel, zwei Akten und Nachspiel dem von Hans Pfitzners „Die Rose vom Liebesgarten“; allerdings bringt das Nachspiel der „Herzogin von Chicago“ nur noch eine breit angelegte Eifersuchts-Komplikation durch einen neuen potenziellen Liebhaber der Millionärin vor dem Happ-End, das bei der Uraufführung dem Publikum auch in Lettern von den Zylindern der tanzenden Dollar-Mädchen entgegenblinkte. Im ersten Akt greifen die Autoren mit dem besungenen Weg der Garde durch die Stadt dramaturgisch den Überbrettl-Topos von Oscar Straus’ „Die Musik kommt“ auf .
Die Uraufführung dieser Operette am Theater an der Wien soll über fünf Stunden gedauert haben. Dagegen kommt die CD-Einspielung in der Decca-Reihe „Entartete Musik“ (eine Berliner Koproduktion von Deutschlandradio und ROC, mit Solisten der Deutschen Oper Berlin) mit knapp zweieinhalb Stunden aus. Barrie Koskie verkürzt die Operette an der Komischen Oper Berlin auf pausenlose, gut eineinhalb Stunden.
Doch der Hausherr verneigte sich beim Applaus ebenso wenig, wie seine Assistenten Anna Borchers und Thomas Ribitzki, die Barrie Koskies „szenische Einrichtung“ der als „konzertant“ angekündigten Aufführung umgesetzt haben.
Sie ist weniger „halbszenisch“ als die in dieser Reihe vorangegangene Kálmán-Operette „Die Bajadere“: Die Solisten, in Kostümen von Katrin Keth, singen hinter ihren Pulten, vor dem auf der Bühne platzierten Orchester. Sie agieren kaum, bewegen sich aber für Tanzschritte bis an die Kante der Vorbühne. Schon vor Auftritt von Orchester und Chor sitzen zwei Polizisten auf der Bühne, um später den kulturell missliebigen (an der Komischen Oper Berlin aber nicht farbigen) Saxophonisten abzuführen.
Gemeinsam mit Ulrich Lenz zeichnet die Entertainerin Gayle Tufts für die Texteinrichtung verantwortlich. Tufts wertet die Sprechrolle der Edith Rockfeller, als Mitglied im Young Ladies Excentric Club in New York enge Freundin der Hauptheldin, zur conferencierenden und auch mitsingenden Hauptpartie auf. In ihrem typischen „Denglisch“ (ihrer Mischung von Deutsch und vorwiegend Englisch) baut sie als Erzählerin diverse Witzchen ein, wie etwa Wowereits „arm aber sexy“. Sie evoziert ein kollektives „Ooh“ des Publikums, tanzt mit großem 6-Millionen-Scheck an der Rampe entlang oder holt dicke Dollarbündel aus ihrer Handtasche und positioniert sie auf dem Dirigentenpodium. Dass diese unkonventionelle Amerikanerin dem konventionellen ungarischen Prinzen das Komplott der Wette des Mädchenclubs verrät und so das Traumpaar auseinander bringt, reduziert Tufts auf den Kommentar „Alles im Arsch“.
Arg strapaziert erscheint die Idee der Verwechslung von Sylvarien mit Transsylvanien und der daraus gefolgerten Definition des Prinzen als einem Vampyr. Auf dem zweiten Vornamen von Jonny James Jaques Bondy, dem Privatsekretär des Millionärs Lloyd reitet die Fassung herum, um einen wenig tauglichen Bezug zum Krimihelden 007 zu schaffen.
Musikalisch fällt durch die Kurzfassung weniger dem Strich zum Opfer, als angesichts der radikal reduzierten Spieldauer zu befürchten. Stark gekürzt sind die Dialoge, die musikalische Entwicklung vor der Nr. 14, und das Ende des zweiten Finales entfällt vollständig. Das Schlussbild der Operette ist dann weitgehend reduziert auf ein Medley – ein Remake als die behauptete Verfilmung der eben erlebten Handlung, mit Gayle Tufts in der Rolle „me as myself“.
Zu den Höhepunkten der Aufführung gehört der Auftritt des Kinderchors der Komischen Oper im ersten Akt, als Verwandtschaft des Prinzen, auswendig singend und tänzerisch agierend (Einstudierung der Chöre: David Cavelius).
Die Positionierung der Solisten auf der Vorbühne führt dazu, dass die Textverständlichkeit deutlich geringer ausfällt als sonst an diesem Haus. Obendrein wurde die mehrsprachige Übertitelung diesmal eingespart, – angesichts der wirkungsvoll pointierten Texte des Librettos ein Mangel.
Vor dem groß besetzten Orchester wirken die Stimmen der Solisten – ohne die Gnade des Microports, die hier nur Gayle Tufts zuteil wird – schwach. Dies betrifft insbesondere Johanni van Oostrum in der Titelpartie. Der ungarische Tenor Zoltán Nyárim macht mit imposant trompetenhafter Tongebung als Prinz Sándor Boris eine gute Figur, insbesondere wenn er den interkulturellen Konflikt austanzt.
Annelie Sophie Müller als lispelnde Prinzessin Rosemarie von Morenien und Tom Erik Lie als Bondy überzeugen ebenfalls tänzerisch weitaus mehr denn stimmlich.
Eine positive Überraschung bietet Dirigent Florian Ziemen. Schmissig sorgt der Giessener Generalmusikdirektor für Pfeffer im verjazzten Beethoven, lässt die Bühnenmusiken von Zigeunerkapelle (mit Zimbal) und Jazzorchester aufeinander prallen und treibt das von Emmerich Kálmán mit vier Saxophonen, diversem Schlagwerk bis zu Autosignalen angereicherte Orchester zur Höchstform an.
Die schmissig-schwungvolle Präsentation löst beim Premierenpublikum heftige Emotionen aus: durch die musikalische Deutung erfolgte bei der Premiere sogar die von Brecht geforderte Spaltung des Publikums – in jene, denen dieser Ansatz zu aggressiv war und jene, die sich mitreißen ließen.
Seine im Vorjahr mit der „Bajadere“ begonnene Kálmán-Reihe wird Barrie Koskie in den kommenden Spielzeiten mit „Das Veilchen vom Montmartre“ und „Arizona Lady“ fortsetzen.
Weitere Vorstellung: 30.12.2013