Mit Giacomo Puccinis chinoisen Opern-Blockbuster „Turandot“ kann man szenisch eigentlich nur scheitern. Auf mehr oder weniger hohem Niveau. Regisseur Christof Loy natürlich a priori auf hohem Niveau. Im Detail stimmt es bei ihm ja immer. Und eine Nachdenkaufgabe fürs Publikum, ob es denn so geht, wie er es sich im Programmheft gedacht und auf der Bühne umgesetzt hat oder eben doch nicht, ist ja auch nicht das Schlechteste, was man von einer Inszenierung sagen kann.
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Turandot am Theater Basel 2025. Foto: © Ingo Höhn
Liebestod in der Wüste – Christof Loy inszeniert „Turandot“ in Basel
Selbst wenn man die Geschichte von der eiskalten Prinzessin, die die Bewerber um ihre Hand reihenweise köpfen lässt, wenn sie nicht drei Rätsel lösen, als pures Märchen nimmt, bleiben viele logische Schwachstellen. Schon die Frage, wieso sich der Kaiser von China, aber auch die anderen Herrscher diese perverse Mordlust einer Prinzessin mit einem schweren psychischen Schaden eigentlich gefallen lassen, die ihre Söhne den Kopf kostet. Der Strausssche Opernkönig Herodes war da mit seiner Stieftochter Salome nicht so zögerlich – „Man töte dieses Weib“ ist sein Befehl. Was immer auf der Bühne passiert – das Orchester führt den in jedem Falle aus.
Turandot aber, die nicht nur einen Gefangenen, sondern allein im laufenden Jahr gleich ein Dutzend Thronanwärter aus der Nachbarschaft köpfen ließ, könnte davon kommen. Und sogar noch bejubelt werden. Abgesehen davon, dass auch ein Märchen eines gewissen Maßes an Binnenlogik bedarf, fragt man sich immer, wieso eigentlich der Name von Calàf nicht bekannt ist, wo doch nur blaublütige Bewerber das Recht haben, sich überhaupt auf dieses Alles-oder-Nichts (sprich: Kaisernachfolger oder Leiche) einzulassen. Und auch, ob es bei der Flut von Fragen nicht auch ein Hintertürchen gibt, um an die Lösungen zu kommen. Selbst wenn man das alles so stehen lässt, ist „Turandot“ eine Oper, bei der man mit chinesischen Folklorebrimborium jedem Ausstattungsbudget den Garaus machen könnte.
Das Hauptproblem bleiben aber die zentralen Protagonisten. Vor allem die schwer gestörte Titelheldin, der beim Ausleben ihrer perversen feministischen Gewaltfantasien niemand Einhalt zu gebieten vermag. Spätestens, wenn sie nach Calàfs Antwort-Volltreffern, von den Regeln nichts mehr wissen will, als sie sich gegen sie wenden. Hier wird ein #MeToo-verkehrt ins Extrem getrieben, dass es einem graust. Hätte Puccini hier vor seinem Tod eine Art Happyend zustande gebracht, bei dem sie überlebt und mit Calàf glücklich wird, wer hätte das glauben sollen? Eheglück auf einem Berg von Leichen kann keins werden. Hier hat der Tod Puccini unfreiwillig vor einer Klemme bewahrt, die peinlich hätte werden können. Noch dazu bei all dem zelebrierten Pathos, dem er in seiner letzten Oper ja besonders großformatig (oder sollte man es großspurig nennen?) folgt.
Loy entscheidet sich für gemäßigte Abrüstung beim Ausstattungs-Großformat, den konzentrierten Blick auf die Befindlichkeit der Titelheldin und für eine recht eigenwillige Komplettierung des Opernfragments, die keine Hilfestellung von Franco Alfano oder von Luciano Berio in Anspruch nimmt,sondern Puccini selbst bemüht. Mit dem Stück „Crisantemi“ für Streichorchester und dem 4. Akt von „Manon Lescaut“ lässt er den Komponisten selbst einerseits für eine Art Ouvertüre und einen Schluss sorgen. Das ist kühn gedacht und beim einstimmenden Vorspiel an der Familientafel im großformatigen Salon auch recht einleuchtend. Ausstatter Herbert Murauer hat ihn dafür mit opulenten mit Tapeten im Chinalook ausgestattet und auch das sich hier hineindrängende Volk von Peking (Chorleitung: Michael Clark) mit üppigen chinesischen Kostümen versehen. Eine große Schiebetür ist hier die Verbindung nach draußen. Über diesem recht konkreten Raum befindet sich ein abstrakte, weiße Ebene. Ein Nichtraum, der Lius selbstloser Liebe zugeordnet ist. Am Ende verdrängt dieser Raum den der blutigen Vorgeschichte und beherrscht die Bühne komplett. Dabei geht es natürlich nicht um einen realen, sondern einen imaginären Raum. Denn jetzt sind Selbstreflexionen und Liebestod angesagt. Gutwillig interpretiert könnte man sagen, dass Loy das vorführt, womit uns Puccini bei all seiner Affinität zum Pathos der Verklärung verschont hat: eine Art Happyend in einer anderen Dimension.
Was Turandot-Fans und Puccini-Melomanen entgegenkommen mag, kann freilich die Vorbehalte, die der Skeptiker besonders gegenüber diesem Opernmonstrum hat, nicht erschüttern. Mit der Flucht in eine andere Welt bzw. Oper wird Nichts von dem Davor wirklich besser.
Musikalisch ist die am Ende ja doch immer wieder packende Musik bei José Miguel Pérez-Sierra und dem Sinfonieorchester Basel gut aufgehoben. Er hält auch dann alles zusammen, wenn Teile des Chors in den Rängen verteilt sind (meistens jedenfalls). Dank Miren Urbieta-Vega und Rodrigo Porras Garulo sind auch Turandot und Calàf in konditionsstarken Kehlen und überzeugen mit ihrer Eindringlichkeit. Wobei man die im Programmheftinterview von Loy konstatierte Traumatisierung Turandots durch das Schicksal ihrer Ahnin durch das Vorspiel überzeugend vorgeführt bekommt. Eine ähnliche Traumatisierung Calàfs durch den Machtverlust seines Vaters erahnt nur, wenn man es vorher gelesen hat. Vokal ist aber nicht nur das Spitzenduo beeindruckend. Die Darstellung sehr verschiedener Seiten ihres Charakters gelingen vor allem David Oller (Ping), Ronan Caillet (Pang) und Lucas van Lierop (Pong). Durch die unaufgeregt ruhige Präsentation der Szene, werden etwa auch die erotischen Konnotationen ihrer Träumereien von einer friedlichen Zukunft für sich selbst, deutlicher als sonst, wenn sie zu Karikaturen überzeichnet werden. Das gilt auch für die stille Präsenz von Rolf Romei als Vater und Hausherr zwischen Sorge und Verzweiflung über seine Tochter. Sam Carl als kraftvoll auftrumpfender greisenhafter Timur und Mané Galoyan als Liù werden von außen in diese Welt der Gewalt hineingezogen, von der Calàf so fasziniert ist.
Das Premierenpublikum in Basel jedenfalls war von diese Turandot-Variante begeistert.
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