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Lady in the dark in Mainz. Foto: Martina Pipprich
Lady in the dark in Mainz. Foto: Martina Pipprich
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Liebevoll und subtil inszeniert – Kurt Weills „Lady in the Dark“ in Mainz

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Mit einer spartenübergreifenden Produktion als seiner letzten Regiearbeit wollte der scheidenden Intendant Matthias Fontheim Abscheid nehmen vom Staatstheater Mainz. Dass er sich für Kurt Weills „Lady in the Dark“ entschied, war ein Glücksfall. Deutsche Aufführungen des Erfolgsmusical von 1941 lassen sich bisher an einer Hand abzählen, und die neue deutsche Fassung von Roman Hinze war überhaupt erst einmal, vor zweieinhalb Jahren, am Opernhaus in Hannover zu erleben.

Fontheim und sein Bühnenbildner Stefan Heyne rücken die psychologische Praxis von Dr. Alexander Brooks (Marcus Mislin) in den Vordergrund. Auf offener Bühne sieht man eine große Wand mit gediegener Holzvertäfelung, links einen Schreibtisch mit Telefon und ein paar Papieren, rechts eine schlichte Couch. Hierher begibt sich die „Lady in the Dark“ (Pascale Pfeuti): Liza Elliott, die erfolgreiche Herausgeberin einer Modezeitschrift, sucht Hilfe bei Dr. Brooks. Modern gesprochen, leidet sie unter einem für sie unerklärlichen Burn-Out. Sie habe das Gefühl, „in Stücke zu brechen“, erklärt sie dem Psychoanalytiker widerstrebend und nervös. Dr. Brooks, ruhig und klar, aber nicht ohne Humor, bestimmt sie zum Bleiben und beginnt gleich mit der Behandlung.

Fontheim inszeniert sehr nah am Text, aber dies so liebevoll und subtil, dass allein die Szenen in Dr. Brooks Praxis den Besuch der Vorstellung lohnen. Marcus Mislin und Pascale Pfeuti sind zwei großartige Darsteller und machen aus dem Stück tatsächlich das, was der US-amerikanische Autor Moss Hart von Anfang an vorhatte: Ein unterhaltsames Lehrstück über eine geglückte psychoanalytische Behandlung. Erst im Verlauf der Arbeit gewann Hart den Komponisten Weill hinzu, beide dann den Liedtexter Ira Gershwin. Und so wurde aus dem Stück ein Schauspiel, in dem die Musik-Einlagen eine zentrale Rolle spielen. Liza Elliott hat während der Behandlung drei wichtige Träume, die das Publikum direkt zu sehen bekommt.

Weill folgt damit letztlich der Musiktheater-Ästhetik seines Lehrers Ferruccio Busoni, der der Musik auf der Bühne eine besondere Plausibilität beim Einritt des Übernatürlichen in die Handlung zuschreibt. Nur wendet Weill das Metaphysische ins Psychologische. Die Musik steht für das Unbewusste, und wenn man ihr gut zuhört, auch für die gefährlichen, irrationalen Momente des Unbewussten.

Schlüssel für die Behandlung ist aber ein schlichtes Lied („My ship“), dessen Melodie der Klientin bruchstückhaft durch den Kopf geht und sie auf zunächst rätselhafte Weise in die Kindheit verweist.

Den Traumsequenzen kontrastierend gegenübergestellt ist Liza Elliotts Alltag in der Redaktion. Bühnentechnisch ist das interessant gelöst: Aus der Psychologen-Praxis wird das Zimmer der Chefredakteurin, und darüber tut sich eine zweite Ebene mit Fenstern auf, durch die man in belebte Redaktionsräume blickt. Man erlebt die Hektik vor Erscheinen des neuen Heftes,  eine witzige, manchmal skurrile Mannschaft – und eine Liza Elliott, die zunehmend die Nerven verliert. Drei Männer spielen dabei eine wichtige Rolle: Der Verleger Nesbitt (Gregor Trakis), mit dem sie seit Jahren ein Liebesverhältnis hat, der Filmstar Curtis (Stefan Walz), zu dem sie sich hingezogen fühlt, der Werbechef und Redaktionszyniker Johnson (Hendrik Richter), dem sie eher durch die gegenseitige Abneigung verbunden ist.

Faszinierend an diesem mit 3 ¼ Stunden recht langen Abend ist, wie die langsam beginnende Bühnenerzählung immer mehr Fahrt aufnimmt, wie Alltagsszenen und Kindheitserinnerungen in den Traumsequenzen sich zu skurrilen Bildfolgen verfremden und verschränken, die wiederum durch die Musik ihre besondere witzige oder bedrohliche Qualität bekommen. Von Liza nach der Bedeutung befragt, sagt Dr. Brooks mehrfach: „Ich weiß es nicht. Aber wir werden es erfahren.“ Und tatsächlich fügen sich die Teile des Puzzles allmählich zusammen, die destruktive Spannung weicht, und die Patientin, die offensichtlich darunter leidet, „sich nicht entscheiden zu können“, beginnt, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Wendepunkt ist die ironische „Saga of Jenny“ im „Zirkustraum“, in der Liza mit der Karikatur einer allzu entschlussfreudigen Femme fatale erstmals wieder zu einer eigenen Stimme findet. Die enorm wandlungsfähige Pascale Pfeuti, die die strenge Chefredakteurin ebenso verkörpert wie das verletzliche High-School-Mädchen, bewältigt auch diese Facette ihrer Rolle mit Bravour.

Das Ensemble mit an die 50 namentlich genannten Einzeldarstellern, Chor, Statisterie, Kinderstatisterie und Jugendclub ist mit sichtlichem und hörbaren Vergnügen bei der Sache; die sängerischen Leistungen (gerade aus dem Schauspielensemble) sind achtbar bis beachtlich, und das Philharmonische Staatsorchester unter Florian Czismadia spielt ebenso schwungvoll wie präzise. Dennoch hat die Aufführung eine spürbare Schlagseite hin zum Schauspiel. Die musikalisierten Traumsequenzen, laut Buch-Autor Moss Hart „veritable Traviatas“, finden hinter der braunvertäfelten Wand statt. Die aufgebaute Treppe mit den seitlichen Spiegeln ist symbolisch plausibel und bühnentechnisch effektiv, und die Personenführung folgt durchaus dem Duktus der Musik. Doch anders als in Matthias Davids' Hannoveraner Inszenierung bleibt das Chaos der Traumsequenzen in Mainz sorgsam eingehegt im Bühnenhintergrund, und das eindringlichste Bild bleibt dasjenige, in dem Dr. Brooks ruhig und zuversichtlich aus dem Gewühl und Geschiebe des Traums hinausschreitet. Stärker kann man – mit Freud – kaum ausdrücken: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Fontheims Mainzer Abschiedsinszenierung transportiert ganz deutlich den Optimismus, dass dies gelingen kann.

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