Es war nur eine Stippvisite bei dieser Ausgabe des Abschlussevents von Maerzmusik 2019. Die Musik musste selbst zum Diskurs werden, Installationen tonlos tönen. Keine Zeit, die Welt zu erklären. Alles im Flow im Kraftwerk Berlin. Martin Hufner (Text) und Petra Basche (Fotos) mit Eindrücken.
Nun schon zum vierten Mal unter der künstlerischen Leitung von Berno Odo Polzer beschloss ein „langes Jetzt“ die Maerzmusik, jenes Festival, das im Untertitel sich als „Festival für Zeitfragen“ verstehen will. Fragen sind schließlich die neuen Antworten. Und wie jedes Jahr gibt es ein Hinhörer und ein Hingucker in diesem 29-stündigen Musikfenster im fensterlosen Raum des alten Kraftwerks.
Nix fällt
Der Hinhörer, neben den ganzen Live-Elektronikerinnen und DJanes sollte Mazen Kerbajs „Walls Will Fall: The Trumpets Of Jericho“ for very large trumpet ensemble (2019) werden. Dafür standen auf der Bühne sechs Trompeterinnen und unter dem Dach weitere ca. zwei Dutzend Musikerinnen mit diesem Instrument. Diese spielten sich in unvorhersehbarer Folge den immergleichen Ton einer Länge von ca. vier Sekunden (+ Nachhallzeit) zu, während der Rest verhältnismäßig leise durch manuelle Geräusche am Instrument sich zu schaffen machte. Ein Klackergeräuschmeer war die Folge. Es wurde teilweise verstärkt, sonst wäre es wahrscheinlich im von den Besucherinnen erzeugten Gemurmel untergegangen. Zum Schluss sammelten sich die Musikerinnen allesamt mit dem jetzt andauernden, an- und abschwellenden Ton auf der Bühne, wo sich der Ton ausdünnte und schließlich verstummte. Das lief über einen Zeitraum von ziemlich präzise 30 Minuten. Das Publikum vor Ort folgte dem ganzen Stück teils gutmütig, teils auch wohl etwas gelangweilt. Und in der Tat, so unvorhersehbar die Details der Komposition waren, so vorhersehbar war es im Ganzen. Unter- und Überforderungen hielten sich die Waage, jedoch erzeugten die fehlenden Überraschungsmomente, diesen langweilenden Ernst, der zugleich mit dem Titel (Walls Will Fall) des Stücks anderes versprach. Die Mauern blieben stehen, die Trompeterinnen müssen und dürfen es am nächsten noch einmal probieren.
Repetition
Zu inneren Mauern können im Zweifel auch die zahlreichen Musikerinnen an Turntables oder Computern beitragen, wenn sie im Repetitiven verbleibend kreisen, das Medium führt die Wiederholung als technisch zu bewerkstelligendes Vehikel fast immer mit sich: Da wird geloopt was das Zeug hält. Aber im Gegensatz zum Stück von Mazen Kerbaj, mit klugen und überraschenden Einwürfen, die einem „ambienten“ Ambiente immer wieder Schillerndes abzuhören in der Lage wären. Das gelang Shiva Feshareki an den Plattenspielern und ihrem Mischpult zusammen mit einem wenig stereotypen Lichtspiel eindrücklich. Die einstündige Performance entwickelte dabei ganz schnell strudelhaften Charakter; sie formte mit Klängen Zeit und riss einen hinein – wenn man wollte, so dass man sich mittreiben lassen konnte, jederzeit aufmerksam bleibend. Etwas, was im doch wesentlich monotoneren Fluss später bei Jonny Nash an den Live Electronics (sprich Computer) weniger gut gelang, da zündeten dann nicht einmal ganz tiefen, auf die Bauchgegend zielenden Wummerbrummer. Doch der Abend war noch jung und der folgende Tag wird lang. Es gab noch einige Platten- und Computerkünstler, die wir aber nicht mehr gehört haben.
Bei Stine Janvins „Sound Of Sounds Between Sounds” für Stimme (Stine Janvin) und Licht (Morton Joh) war dies ähnlich und doch ganz anders. Es handelte sich um ein virtuoses Gesangsstück, effektvoll elektronisch selbst moduliert und mit Kunstnebel und Lichteffekten nicht geizend. Ein akustisches und optisches Spiel im Raum des Kraftwerks. Der Titel wirkt dabei etwas elaboriert und ist fürs Hören nicht wirklich hilfreich. Das Paradox, das er beschreibt, blieb unerfüllt.
Festival für Eiszeitfragen
Auch dieses Jahr wurde an anderen Plätzen Raum für Diskurs eröffnet: Es gab so etwas wie musiktheaterartige Performances in der Schalterhalle, die den Raum nur wenig tangierten, im Erdgeschoss und im Mittelgeschoss flimmerten Videos derer zusehendes Publikum sich offenbar denkbar konzentriert annahm. Und es gab wie letztes Jahr schmelzende Eisblöcke, den Hingucker. Letztes Jahr waren diese mit farbigen Flüssigkeiten gefüllt, in diesem Jahr hingen die Eisblöcke an langen Seilen, deren Enden in den Blöcken eingefroren waren und mit Licht bestrahlt wurden. Eine „skulpturale Installation“ mit dem Titel „Materiel Matano“ von Huang Tim, ebenso so simpel wie faszinierend. Die leichten Bewegungen der Blöcke produzierten immer neue Lichtreflexionssituationen, das durch das schmelzende Eis auf der Oberfläche so glatt wirkende Material geriet so in Fluss. Viele Besucherinnen standen dicht vor diesen Eisklötzen, teils nach Berührung suchend, teils einfach hingerissen: Zeit beim Vergehen zuzusehen.
„The Long Now“ schien allerdings in diesem Jahr weniger Besucherinnen zu ziehen oder aber das jetzige Publikum war einfach nur entspannter und höflicher als noch im letzten Jahr – kein Empfinden von Betonkäfighaltung. Die Stimmung, die man ja immer nur temporär und extrem individuell einzuschätzen sich in der Lage fühlt, war gemäßigt freundlich und von Aufmerksamkeit gegenüber den Künstlerinnen gekennzeichnet. Für die Zukunft wird man sich aber etwas über den zur Gewohnheit geronnenen Event einfallen lassen müssen, damit dem „Langen Jetzt“ nicht irgendwann das Gefühl „jetzt langt‘s“ folgt.