Gustav Mahler und Franz Schubert – da gibt es wohl einige Querverbindungen: zum Beispiel im Genre des Liedes, dem sich beide Komponisten, wenn auch quantitativ in unterschiedlicher Intensität, widmeten und das für ihr Œuvre grundlegende Bedeutung einnimmt. Doch gibt es auch konkrete Gemeinsamkeiten?
Dies war das Thema des Mahler-Protokolls im Rahmen der diesjährigen Gustav Mahler Musikwochen im Südtiroler Ort Toblach. Iso Camartin, Philosoph und Literarturwissenschaftler aus der Schweiz, beleuchtete in seinem Vortrag „Einen Engel im Adagio singen hören“, wie sehr das musikalische Empfinden in der Romantik im Allgemeinen und bei Schubert im Besonderen neue Wege einschlug: Das Unbehauste, ein Schwanken zwischen Schmerz und Liebe, war eine der wichtigsten emotionalen Grundingredienzien von Schuberts Denken und Musik, und mit Mahler vereint ihn die „Sehnsucht für das dem Menschen nicht Erreichbare“.
Professor Günther Schnitzler aus Freiburg untersuchte Liedvertonungen Schuberts und Mahlers und kam zu dem Ergebnis, dass trotz vorhandener Gemeinsamkeiten in der Kompositionsweise bei Mahler indes keine konkreten Schubert-Zitate zu finden sind. Und nicht nur dies: Mahler stand Schubert durchaus kritisch gegenüber, sah in ihm, wie zu jener Zeit üblich, in erster Linie das „unfertige Genie“.
Zuvor gab es die „Toblacher Mahler-Gespräche“ mit dem Kernpunkt „Mah-ler im Prisma des Jazz“, und dort bewegte man sich, nicht von ungefähr, auf deutlich dünnerem Eis. Zwar spielte der Jazz in Toblach schon oft eine wichtige Rolle – man denke an die Konzerte von Uri Caine, Gianluigi Trovesi und Cornelius Claudio Kreusch –, doch stellte sich heraus, dass es weit weniger Verbindungslinien gibt als der Titel der Veranstaltung vermuten ließ. Auf Mahler konnte der Jazz naturgemäß keinen Einfluss nehmen, und eine Mahler-Rezeption im Jazz hat letztlich erst in den 90er-Jahren eingesetzt; man kann sie eigentlich fast auf den Namen Uri Caine reduzieren.
Also versuchten die Vortragenden, mit mehr oder weniger Erfolg, musikalische Gemeinsamkeiten zwischen Mahler und dem Jazz aufzuzeigen, und hier gelang es dem italienischen Musikwissenschaftler Luca Bragalini, zumindest auf ein „missing link“ aufmerksam zu machen: Die Tradition der jüdischen Musik, Synagogalgesang und Klezmer, die sowohl Mahler als auch frühe Jazz-Komponisten wie Irving Berlin zumindest beeinflusst hat. Einen rundum überzeugenden Schlusspunkt unter das Thema setzte der Auftritt des Jazz-Trios Minsarah: filigraner Kammerjazz, in dem einige Mahler-Themen wie von ferne grüßende Gäste auftauchten.
Natürlich wurde auch wieder der Schallplattenpreis Toblacher Komponierhäuschen vergeben, und hier gab es eine Überraschung: Auf einen Preis in der Kategorie Neuproduktionen wurde „schweren Herzens“, wie die Jury bekanntgab, verzichtet. Den Preis für die beste Wiederveröffentlichung erhielt eine Aufnahme der Ersten und Neunten Sinfonie von Mahler mit Paul Kletzki und dem Israel Philharmonic Orchestra, die seit langem nicht mehr erhältlich war; sie beeindruckt durch eine emotionale Intensität und ungezügelte Leidenschaft, wie sie heute auf dem Gebiet der Mahler-Interpretation kaum noch zu finden ist. Den Sonderpreis erhielt das Chicago Symphony Orchestra für seine lange und erfolgreiche Mahler-Tradition und seine auf dem vor kurzem gegründeten Eigenlabel CSO-Resound veröffentlichte Einspielung der Sinfonie Nr. 3 unter Bernard Haitink.
Internationaler Schallplattenpreis „Toblacher Komponierhäuschen“ – die preisgekrönten Aufnahmen:
1) Gustav Mahler: Sinfonien Nr. 1 und 9. Israel Philharmonic Orchestra (Aufnahmen von 1954). Doremi DHR 7850/51 (2 CD, mono)
2) Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 3. Michelle DeYoung (Mezzosopran), Chicago Symphony Orchestra and Chorus, Bernard Haitink. Chicago Resound CSOR 901 701