Am Staatstheater Mainz gibt es in der neuen Inszenierung von Richard Strauss’ „Salome“ durch Alexander Nerlich gleich dreifach, zum Glück für die Inszenierung singt Daniela Köhler.
Mit dem Einakter „Salome“ erzielte Richard Strauss zum Beginn des vorigen Jahrhunderts seinen Durchbruch. Er hatte mit einem Seitenblick auf das Skandalisierungspotenzial der Stoffauswahl gut kalkuliert, um seinen musiktheatralischen Geniestreich in den Opernorbit zu katapultieren, wo der – mehrere Zeitenwenden und ästhetische Umbrüche später – immer noch seine Bahn zieht. Und als ein genialer Nachtrag zur und mit der Opulenz des Fin de siècle in das Jahrhundert der Moderne hineinleuchtet. Dem vom Körper getrennten Haupt des Propheten als Objekt der Begierde zum Trotz. Oder deswegen? Ein Quantum Schauer hat dem Erfolg einer Oper noch nie wirklich geschadet, ganz gleich welche Triumphe die politische Korrektheit inzwischen feiert.
Weil Salome sich aber tatsächlich als Geniestreich erwiesen und bewährt hat, halten Herodes und sein Hofstaat, einschließlich der Juden, der gefangene Prophet und natürlich Salome selbst die unterschiedlichsten Lichtspotts einer Interpretation mit bemerkenswerter Resistenz aus. Ein Extrembeispiel lieferte Barrie Kosky (kürzlich in Frankfurt) mit seiner wortwörtlichen Reduktion auf die Person der Salome, die er auf völlig leerer Bühne in einen Lichtspott bannte, um ihr als einzigen sichtbaren Gegenpart, das Haupt des Jochanaan zuzubilligen.
In Mainz versuchten sich Alexander Nerlich (Regie), Wolfgang Menardi (Bühne) und Jana Bosnjak (Kostüme) jetzt an einem ebenso radikalen Gegenmodell. Das setzt freilich nur scheinbar auf Realismus. Denn das märchenhafte Gespensterhaus (holzvertäfelt, mit vielen Fenstern und Gauben), dessen Fassade die Zuschauer bei schon geöffnetem Vorhang begrüßt, ist auch nur Teil eines imaginären Ortes. Als Palastersatz wäre es weder ernst zu nehmen, noch ernst gemeint. Eher als metaphorischer Fingerzeig in Richtung der Analyse einer schrecklich netten Familie der exemplarischen Art. Eine junge Frau als agierende, alle Grenzen überschreitende Heldin, die liebt und verachtet, töten lässt und am Ende getötet wird – ist das eine. Dass sie selbst in weitgehendem Maß auch ein Opfer ist und sich mit den falschen Mitteln erwehrt, um zu sich zu finden, ist das andere. Natürlich ist Salome eine Projektion von Herodes und damit der Männer, die so patriarchalisch ticken wie er. Gewiss ist ihre Mutter Herodias nicht viel besser. An dem, was ihr der Prophet hasserfüllt an Vorwürfen über deren Lebenswandel entgegenschleudert ist mehr als nur ein Fünkchen Wahrheit dran.
Dass das Anfangsbild nur die metaphorische Fassade eines imaginären Raumes ist, wird deutlich, wenn Jochanaan wie in einer hell erleuchteten Paternoster-Kabine aus der Tiefe nach oben, die Fassade in den Hintergrund und ein Zwischenvorhang aus dem Schnürboden herniederfahren, wenn Salome mit dem Propheten zu reden und ihn zu erkunden versucht.
Entscheidend für den Deutungs- bzw. Diagnoseehrgeiz der Regie, um das erotische Spiel mit einem abgetrennten Männerkopf zu erklären, ist die auf der Bühne sichtbare personifizierte Aufspaltung der Persönlichkeit Salomes. Neben der Sängerin im Zentrum dieser Trippelpersönlichkeit sind (in gleicher Gut-bürgerlicher-tochter-kostümierung) das Kind und das von der Leine gelassene Monster präsent, das keine irgendwie gearteten zivilisierenden Zügel für sein Begehren kennt oder akzeptiert. Hier leistest die von Jasmin Wretemark-Hauck choreografierte Tänzerin Danique de Bont Grandioses. Sie schleicht sich nicht nur an die Männer im Stück heran, sondern springt sie an, oder übernimmt die Führung in einem Tanz auf dem Vulkan der enthemmten Gefühle. Am Ende wird sie gar zum Ersatzkörper für den abgetrennten Kopf des Jochanaan. Das ist virtuose Tanzartistik mit Deutungsehrgeiz. Allerdings in einer Überdosis bis an die Grenze des nervend Störenden. Im Grunde liefert ja Strauss schon die Emotion, samt Subtext, die hier noch einmal explizit zelebriert wird. Für Nerlichs ambitionierte Interpretation des zwischen Exotik und Erotik changierenden Tanzes der sieben Schleier ist die Persönlichkeitsvervielfältigung der Salome allerdings die Voraussetzung. Hier muss nicht nur Daniela Köhler den lasziven Becken- oder Hüftschwung üben, hier werden eine Geschichte des Missbrauchs (des Kindes im Kinderzimmer zwischen den Plüschtieren) und die Gewalt des Herodes gegen seine Frau in die Projektion des Herodes von der Verführung seiner Nichte bzw. Stieftochter eingeflochten. Dadurch wird klar, warum auch Herodias dem abgetrennten Kopf des Jochanaan einen Kuss aufdrückt. Auch sie will wissen, ob die Liebe bitter schmeckt.
Das ist nachvollziehbar klug gedacht, wenn auch mit überschießendem Aktionismus szenisch umgesetzt. Das Problem der Inszenierung liegt aber eher im Musikalischen. Zum Glück hat Mainz mit Daniela Köhler (die mit ihrer überzeugenden Brünnhilde im neuen Ring der Bayreuther Festspiele im Gedächtnis geblieben ist) eine vokal standfeste, charismatisch auftrumpfend und überzeugend spielende Salome im Mittelpunkt eines Ensembles, das allerdings nur bedingt auf diesem Niveau mithalten kann. Dem Jochanaan Derrick Ballard mangelt es nicht an donnernder Durchschlagskraft, an einschmeichelnden Tönen und einer sicheren Intonation aber schon. Bei Alexander Spemanns Herodes ist sein Touchieren der Grenzen zum Sprechgesang oder Rufen nicht immer schlüssig legitimiert. Bei Niina Keitel ist auch hinter der verdeckenden Orchesterwucht, eine tatsächlich gesungene Herodias erkennbar. Während man es sehr bedauert, dass Verena Tönjes und Myungin Lee ihre Auftritte als Page und Narraboth so schnell hinter sich haben. Hermann Bäumer entfesselt mit dem Philharmonisches Staatsorchester im Graben den suggestiven Klangrausch in einer Wucht, die es den Protagonisten nicht immer leicht macht, zu gleich aber auch darauf aus ist, manch auf die Moderne Vorausweisendes zu betonen, was für sich genommen auch seinen Reiz hat.
Das Mainzer Premierenpublikum steht gleichwohl zu seinem Ensemble und applaudierte unisono allen Beteiligten. Besonders natürlich und gut nachvollziehbar seiner Salome.
In einer früheren Version dieses Textes stand fälschlicherweise, dass Daniela Köhler bei den Bayreuther Festspielen die Sieglinde gesungen hätte. Tatsächlich sang beziehungsweise singt sie die Brünnhilde in Bayreuth. Als Sieglinde war sie in der Vergangenheit in Zürich zu sehen und ist für diese Partie dort auch 2024 wieder eingeplant.
Wir bitten vielmals um Entschuldigung,
Ihre nmz Online-Redaktion