Die Wunden des Balkankrieges sind zwar noch nicht völlig verheilt, aber in Kroatien bemüht man sich vehement um Frieden stiftende Kulturveranstaltungen. Mit hoffnungsvollem Blick auf eine europäische Integration entwickelt sich Zagreb zu einer Megalopolis der Musik.
„Für mich war immer klar, dass die Wurzeln meiner Heimatstadt Zagreb mit denen der westeuropäischen Kultur verwachsen sind, und dass etwas zu tun sei, um Zagreb als ein Zentrum für Neue Musik zu etablieren“, erinnert sich Milko Kelemen. Als er 1961 die Biennale Zagreb mitten im Kalten Krieg gründete, konnte er nicht voraussehen, dass dieses Festival sich nach nun 46 Jahren zu einem der renommiertesten Musikschauplätze in Europa entwickeln würde. Im Jahr 2005 konnte die Gesellschaft kroatischer Komponisten und die International Society for Contemporary Music (ISCM) das bisher umfangreichste Programm präsentieren, auch weil zwei Festivals – die Biennale und die Weltmusiktage – vom künstlerischen Direktor Berislav Šipuš zusammen gelegt worden waren. Von 79 Komponisten aus 37 Ländern hat eine internationale Jury unter dem Vorsitz des kroatischen Seniorkomponisten Stanko Horvath 103 Werke ausgewählt:
„Wir haben versucht, so viele Länder und so viele stilistische Richtungen wie möglich zu berücksichtigen, um eine internationale Polyphonie zu bekommen. Das ist die Funktion eines solchen Festivals. Wir wollten weniger Dogma und mehr Vielfalt. Das ist heilsam für die Musikszene“, erklärte Frank Corcoran aus Irland, der mit Giampaolo Coral aus Italien, Zygmunt Krauze aus Polen, Arne Norheit aus Norwegen und Berislav Šipuš aus Kroatien in der Jury gearbeitet hatte. Zu den Tendenzen der kroatischen Musik der Gegenwart gehören Reflektionen über die Bewegung der Zeit, die Vjekoslav Njezic als Szene aus dem alttestamentarischen Traum von der „Jakobsleiter“ für Saxophon-Quartett gestaltet hat.
Repräsentativ für aktuelle Interessen der jungen Komponistengeneration ist die Erforschung von Klangfarben. Von deren Magie hat Srdan Dedic sich in seiner Erinnerung an Freunde aus Nordeuropa leiten lassen: „In ‚Ich vergesse dich nicht’ für 14 Instrumentalisten habe ich intuitive, abstrakte und visuelle Ideen mit tonalen und rhythmischen Strukturen kombiniert.“
In seinem Konzert für Alt-Saxophon und Orchester hat Perttu Haapanen aus Finnland die Rede eines imaginären Charakters dargestellt. Er bezieht sich auf die expressiven Monologe des Hynkel aus Charlie Chaplins Film „Der Große Diktator“ und versucht, die Überzeugungskraft bedeutungsloser Rhetorik in die Musik zu übertragen. Dabei hat er auch Spieltechniken des modernen Jazz verwendet.
Auch Raminta Šerkšnyte aus Litauen hat sich vom Film inspirieren lassen, nämlich „Oriental Elegy“ des russischen Regisseurs Alexander Sukurov. Die mysteriöse Welt der Natur, nicht die Klänge des Orients, bestimmen ihr Streichquartett. Ur- und Erstaufführungen von Opern wie „Diotime e Euridice“ von Nicola Sana aus Italien oder „Mariuo and The Magician“ (nach Thomas Mann) von János Vajda aus Ungarn präsentierten das enorme Spektrum der Musik.
Das Rekordprogramm der Musikbiennale Zagreb 2005 wurde auch von einem Besucherrekord und großer Begeisterung in jeder Hinsicht positiv bestätigt. Zagreb bot bei schönstem Wetter ein Festival mit kosmopolitischer Atmosphäre. Für den Generaldirektor Ivo Josipovic ist es wie die „Farbpalette im großen Garten von Epikur“.