Im digitalen Zeitalter muss es heißen: „Sie sind wieder online, in ihrer vertrauten domain.“ Wie es sich für die heimliche Musikhauptstadt gehört: gleich mit zwei Gala-Abenden wird nach fünf Jahren Sanierung Münchens „andere Oper“ oder „Opéra comique“ wiedereröffnet – denn nach vielen Fehlplanungen wollen sich die zahllosen „A-dabei-s“ in den Räumen, auf dem Podium, im Bayerischen Fernsehen und im Rundfunk selbst feiern.
Zwei Aussagen charakterisieren das Gärtnerplatztheater: „Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen“ – und: „Es ist ein Dach, wo unter dem Aspekt von Freiheit, Toleranz und Selbstverständlichkeit der Künste alles, was das musikalische Genre aufbieten kann, vereint wird“ – zwischen beiden Sätzen liegen 150 Jahre Theatergeschichte: dem Sinnspruch zur Eröffnung am 4.November 1865 und der kleinen Jubiläumsrede von Intendant Joseph Köpplinger am Abend des 4.November 2015. Es musste gleichsam „obdachlos durch Generalrenovierung“ gefeiert werden, denn der tiefere Untergrund aus Isarschwemmland, Asbest aus dem Wiederaufbau nach dem Krieg und langwierige Zukaufsverhandlungen für die jetzige Erweiterung machten eine Fertigstellung zum 150.Jubiläum unmöglich.
Doch nun hat das mit Theaterbauten enorm erfahrene Architektur-Atelier Achatz ein bisschen „gezaubert“: In die schwierig verschachtelten Treppenhäuser sind Aufzüge für barrierefreien Zugang eingebaut; Dekor-Zutaten bis ins nun offen wirkende Foyer wurden entfernt; Sitze (Stuhl-Patenschaften sind weiterhin erwünscht - sie finanzieren das Jugendprogramm!) und Belüftung wurden erneuert; Künstlergarderoben, Werkstätten und Büros bis hin zum neuen Intendanten-Zimmer sind auf aktuelles Niveau verbessert; LKWs mit Kulissen können ins Hintergebäude einfahren; der Chor freut sich auf seinen neuen Probensaal – noch mehr das Orchester, denn nicht nur, dass es erstmals Stimmzimmer gibt, der aufs Dach hinter dem Bühnenhaus aufgesetzte neue Orchesterprobensaal wirkt nicht nur durch seine geradezu futuristische Glas-Stahl-Konstruktion wie ein „Stück aus dem Himmel der Musik“ gefallen, er kann durch Dachsegel auf Händel-Mozart-Léhar-Musical-Klang eingestellt werden während im Untergeschoß auf einer bühnengroßen Probebühne szenisch gearbeitet wird; beneidenswert die Probe-Pausen: auch die neue Kantine liegt auf dem Dach, bietet Ausblick und einen Bummel auf der Dachterrasse…
Blick zurück
Auch der Blick zurück lohnt: Der meist einseitig auf seine rückwärtsgewandten Schlossbauten reduzierte König Ludwig II. rettete nicht nur den völlig ruinierten Richard Wagner und bewahrte später die Festspiele Bayreuth vor dem Scheitern, er bewilligte als eine seiner ersten Amtshandlungen einem Konsortium angesehener, voran jüdischer Bürger den Bau eines zweiten musikalischen Theaters neben dem großen Hof- und Nationaltheater: „Meiner Hauptstadt darf der Besitz eines würdigen Volkstheaters nicht länger vorenthalten bleiben“ verfügte Ludwig II. am 10.Mai 1864. An seinem Geburtstag am 25.August erfolgte die Grundsteinlegung – und kaum ein Jahr später wurde das neue Bürgertheater am Gärtnerplatz feierlich eröffnet.
Die inhaltliche Ausrichtung lautete 1865: von der Vorstadt-Posse über das Volksstück mit Gesang hin zur damals heftig kritisierten „jungen Gattung“ Operette. Der Eröffnungsandrang war groß, doch dann funktionierte die Geschäftsidee der bürgerlichen Aktiengesellschaft nicht kontinuierlich - Folge: ein erster Bankrott 1868. Das weitere vielfältige Auf und Ab des Hauses samt Pleiten, Neuverpachtung und Teil-Übernahme in Staatsbesitz erzählt und bebildert ein von Stefan Frey und dem Deutschen Theatermuseum München herausgegebenes Buch höchst opulent.
- Stefan Frey/Deutsches Theatermuseum München (Hg.): Dem Volk zur Lust und zum Gedeihen – 150 Jahre Gärtnerplatztheater. 256 S., ca. 300 f+s/w Abb.. Henschel Verlag Berlin 2015. € 34,95. ISBN 978-3-89487-784-2
Schon nach 1900 war das Gärtnerplatztheater nicht nur Mittelpunkt eines neuen, höchst lebendigen Stadtviertels, sondern auch gleichwertige Auftrittsadresse zwischen Berlin und Wien: die Duse kam, auch Adele Sandrock; Karl Valentin trat auf, auch die „Geigenfeen“ Senkrah und Tua, eine japanische Theatertruppe oder die englische D’Oyly-Company mit Gilbert&Sullivans „Mikado“ auf Deutsch. Die ersten Münchner Aufführungen von Gerhart Hauptmann- und Hermann Sudermann-Werken fanden im Gärtnerplatztheater statt.
Sogar in den Jahren des 1.Weltkriegs und den extrem schwierigen Monaten nach Kriegsende – von der Monarchie über die Räterepublik zum Freistaat – gelang dem rührigen Direktor Hans Warnecke ein Spielbetrieb mit Premieren. Auch durch die Finanzierungsprobleme der Inflation 1921 hindurch führte Warnecke das Haus, wagte - gegen die neuen Unterhaltungsmedien Radio und Film - immer wieder Novitäten von Paul Abraham oder Ralph Benatzky, lud Stars wie Richard Tauber, Alfred Piccaver oder Leo Slezak samt Tochter Margarete ein.
Kurz vor dem europaweiten „Theatertod“ durch die Weltwirtschaftskrise wagte Direktor Warnecke 1928 die damals heftig umstrittene Jazz-Oper „Jonny spielt auf“ von Ernst Krenek: prompt gab es neben ersten NS-Protesten weiße Mäuse als Premiereneklat sowie weitere Störungen in den immerhin 14 folgenden Vorstellungen. Dem Konkurs 1931 folgte eine umstrittene Verurteilung Warneckes – womöglich der Grund für seinen freiwilligen Todessturz im Münchner Justizpalast. In Abwehr jüdischer Bewerber wurde 1932 ein „deutsches“ Direktoren-Duo bestellt, das dann früh meldete, dass das Theater in der „Hauptstadt der Bewegung“ schon ab dem 1.Mai 1932 „judenfrei“ geführt werde, gipfelnd in der Aufwertung zur „Staatsoperette“ durch die NS-Führung – die als „Musteraufführung“ eingestufte „Lustige Witwe“ mit dem jungen Johannes Heesters besuchte Hitler siebenmal… Brandbomben setzten 1945 dem braunen Spuk ein Ende.
„Münchens anderes Opernhaus“
Die Nachkriegsintendanten, voran Kurt Pscherer führten das wiederaufgebaute und mehrfach teil-renovierte Haus dann zum Titel „Münchens anderes Opernhaus“: mit bewusster und gekonnter Repertoireerweiterung von der Barockoper über das neue Musical und die Opéra Comique bis zu Uraufführungen. Er setzte auch die künstlerische Eigenständigkeit des Balletts unter eigenen Direktoren durch – Namen wie Heinz Rosen, Baur-Pantoulier, Ivan Sertic, Günter Pick, Philip Taylor, Hans Henning Paar und derzeit Karl Alfred Schreiner stehen für eine Vielfalt an Stilen und Werkformen. Wenn in Berlin Walter Felsenstein für seinen individuell geformten Chor den Begriff „Chor-Solisten“ einführte, so kann dies auch im Gärtnerplatz gelten: von der elegant walzenden Operetten-Ballgesellschaft im Frack über handfest tanzende Bauern in Hillers „Goggolori“, die Stalinisten in Schnebels „Majakowskis Tod“ bis zum vierfach geteilten Volk in Terterjans „Beben“ oder einer zeitgenössischen Jubelvolksmasse in „Aida“: ein höchst wandlungsfähiges Kollektiv von Individuen.
Waren anfangs Bayerns Könige für das Aufblühen der Künste Glücksfälle, so gelang Kunstminister Heubisch mit der Verpflichtung Joseph Köpplingers als Intendant und Regisseur 2012 ein vergleichbarer Coup. Ob „Anything goes“ im Theaterzelt, „Cabaret“ oder das „Bussi-Munical“ in der Reithalle, die „Zirkusprinzessin“ im Circus Krone-Bau, die Uraufführung von Cerhas „Onkel Präsident“ neben „Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng“ im Prinzregententheater: Köpplinger hat ein Gespür für andere Inszenierungsstile und dafür passende Teams, er selbst (siehe seine Aussagen im NMZ-online-Interview vom 12.10.2017) besitzt das Regie-Händchen und Tempogefühl für amüsant pulsierende Werke der sog. „leichten“, aber heutzutage enorm schwierigen Muse.
Bleibt zu hoffen, dass das Feuer und der Elan der fünf Wanderjahre nun auch von der Bühne im Haus herunterstrahlen und begeistern: in der Gala durch Appetithappen von John Williams, Stephen Sondheim, viele Operetten- und Opern-Klassiker zurück bis zu Mozart, mit nahezu allen Beteiligten unter Leitung von Anthony Bramell, Michael Brandstätter und Andreas Kowalewitz.