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v.l. Johannes Wedeking, Liudmila Lokaichuk, KS Romelia Lichtenstein, Robert Sellier, Vanessa Waldhart.  Foto: © Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Falk Wenzel
v.l. Johannes Wedeking, Liudmila Lokaichuk, KS Romelia Lichtenstein, Robert Sellier, Vanessa Waldhart. Foto: © Theater-, Oper und Orchester GmbH Halle, Foto: Falk Wenzel
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Mehr Entwurf, als Wurf – Nina Kupczyk inszeniert „Don Giovanni“ in Halle

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Nina Kupczyk musste, oder durfte (?), einen „Don Giovanni“ zu Ende inszenieren, der eigentlich mit dem Team um den Noch-Hausherren Florian Lutz in Bühne und Kostümen entstand, weil dieser unterdessen seine erste Spielzeit in Kassel vorbereitet. Keine guten Voraussetzungen, meint unser Kritiker Joachim Lange.

In Mozarts und Da Pontes „Don Giovanni“ hat eine rein formale Zeit- und Alltagslogik schlechte Karten. Am Anfang des Stückes gibt es einen Mord und wenige Stunden später wird schon das Grabmahl des Ermordeten zum sprechenden Rächer seiner selbst. Und aller vom Mörder verführten Frauen. Von denen, die wir kennenlernen – Donna Anna, Donna Elvira und Zerlina – wissen wir allerdings, dass Don Giovanni wohl auch ein Objekt ihrer Begierde war. Dass Donna Anna Giovanni angeblich mit ihrem Verlobten „verwechselt“ habe, als der in ihrem Schlafzimmer auftauchte, ist schon ziemlich starker Tobak. Und Zerlina lässt sich sogar am Tag ihrer Hochzeit noch auf einen Flirt mit ihm ein. Die einzige, die wirklich etwas mit ihm hatte, warnt alle, bewirkt aber damit das genaue Gegenteil.  

In der letzten Nacht des sprichwörtlichen Verführers, an deren Beginn Leporello dessen Affären in ganz Europa auflistet, landet der vermeintlich so Unwiderstehliche aber trotz mehrerer Anläufe keinen „Erfolg“ mehr und fährt am Ende in Kumpanei mit einer imaginären herrschenden Moral zur Hölle! Lässt man die mal – gut säkular hedonistisch – beiseite, dann verlieren alle, die ihn kannten mit ihm die Würze und eine Projektion ihres Lebens. Andererseits geht es im „Don Giovanni“ ziemlich konkret durch diese eine Nacht. Aber, dass das ganze auch ein Flirt des Libertins mit dem Tod ist, scheint immer wieder durch. 

Eine Inszenierung mit Vorgabe

In der jetzigen Neuinszenierung, die der dafür eigentlich vorgesehene Hausherr Florian Lutz samt der schon fertigen Bühne von Martin Kukulies und den Kostümen von Mechthild Feuerstein an die Regisseurin Nina Kupczyk weiter reichte, um in Kassel seine erste Spielzeit vorzubereiten, blitzt das in einer Szene deutlich auf. Wenn Don Giovanni mit seiner Kanzone eine vermeintliche Schöne am Fenster ansingt, dann öffnet sich der Vorhang und eine splitternackte Frau mit Totenmaske trägt einen Kindersarg auf ihn zu. Das ganze Leben und die Liebe also nur ein Vorspiel zum Tod? 

Es gibt einige Momente in dieser Inszenierung, die eine Behauptung aufstellen, über die man gerne nachdenkt. Die schwarze Messe zur Ouvertüre behauptet gleich zu Beginn eine Perspektive, die das Geschehen wie von der Hölle aus betrachtet, in der Don Giovanni am Ende landet. Vor dem Gewölbe-Unort der Erinnerung im Hintergrund wuselt oder besser schiebt sich der sichtlich gealterte Chor mit Rollator, Rollstuhl oder Stock ganz so wie in einem Altenheim hin und her. (Der von Johannes Köhler einstudierte Chor hat diesmal jede Menge zu spielen!) Sieht so die Hölle aus? Darüber ließe sich trefflich streiten. Auch darüber, ob die Frauen (vier davon nackt), die zur Register-Arie Leporellos wie bei einer Massenimpfung eine Injektion verpasst bekommen, irgendwie traumatisierte „Opfer“ sind. Beziehungsweise, ob das Trauma daher rührt, Don Giovanni in die Hände gefallen zu sein oder eben nicht diese Erfahrung gemacht zu haben. Der Verweis auf eine Gesellschaft von Alten, die sich beim Fest (in ihren Erinnerungen?) verjüngen, bleibt ein grunddeprimierendes optisches Hintergrundrauschen. Eine Art Opulenz der Finsternis.

Wenn Leporello und Giovanni die Kleider tauschen, damit Leporello Elvira bezirzt, um Giovanni freie Bahn für die nächste Eroberung zu verschaffen, stehen die beiden in zwei überlebensgroßen Bilderrahmen. Und Elvira dazwischen. Offensichtlich kriegt sie den Rollentausch mit und lässt sich bewusst darauf ein. Das ist eine von den szenischen Behauptungen, die man gerne ausgeführt gesehen hätte.

Problematischer ist es, dass auch der Titelheld – ob nun als exemplarischer Bösewicht, faszinierender Libertin und Projektionsfläche des Begehrens oder auch einfach nur als Liebhaber, der nicht mehr zum Zuge kommt – blass bleibt. Einmal ist seine Faszination zu erahnen. Da gelingt es ihm, Zerlina wie in Trance dazu zu bringen, ihre Bluse auszuziehen und dem an den Rollstuhl gefesselten Masetto zu suggerieren, dass er (davon)laufen könnte. Auch von diesem Don Giovanni hätte man gerne mehr gesehen …

Man muss der Regisseurin zu Gute halten, dass sie sich auf das halsbrecherische Abenteuer, in einer vorgegebenen Ausstattung ihr eigenes Konzept einzupassen, überhaupt eingelassen hat. Und auch, dass sie darin etliche Ideen eingebracht hat. Zu einem in sich schlüssigen Ganzen wurde der Abend aber nicht.  

Rückzug an die Rampe 

Es gibt nämlich auch regelrechte szenische Aussetzer. Im Klartext: So viel Rampe vorm geschlossenen (gleichwohl unfreiwillig durchscheinenden) Zwischenvorhang war lange nicht auf der Hallenser Opernbühne. Ein stummer Star des Abends war eine Schildkröte. Ihren ersten Auftritt hatte sie hinter Don Ottavio und konkurrierte so mit dem sich redlich um dessen Schmelz bemühenden Robert Sellier. Und dann noch einmal, wenn  Ki-Hyun Park am Ende als Komtur losdonnert. Was die sollte? Sagen wir mal so: ihr Auftauchen ist genauso (sur)real wie ein sprechender steinerner Komtur. Aber es gibt sicher noch jede Menge andere Antworten. Als guter Einstieg in die Diskussion der offenen Fragen nach dem „Vorhang zu“ taugt sie jedenfalls.

Der Vorhang ging übrigens schon nach Don Giovannis ziemlich konventionellem Theatertod an der Rampe zu. Öffnete sich aber nach dem Schlussapplaus noch einmal für die Moral von der Geschicht‘, die alle Übriggebliebenen über die Rampe schmetterten. Womit diese ziemlich streitbare Inszenierung noch einmal ganz und gar bei sich und vor allem bei ihren szenischen Aussetzern war.

Musikalisch gab es die nicht. Im Gegenteil. Im Graben sorgte Michael Wendeberg (der dort schon oft überzeugte und den man sich durchaus an Stelle der der Staatskapelle wieder abhanden kommenden GMD Ariane Matiakh hätte vorstellen können) einen geschmeidigen, immer die Stimmen tragenden und anspornenden Orchesterklang, ohne dabei auf eine pointierte Nummernrevue zu schielen. Seine Lesart hatte deutlich mehr inneren Zusammenhang als die Szene. Außer dem profunden Johannes Wedeking als Masetto (dessen Maske beim Wettbewerb und die hässlichste den Vogel abschoß) war das hauseigene Ensemble am Start. Mit Romelia Lichtenstein als vor allem technisch perfekte Donna Elvira und Vanessa Waldhart als selbstbewusste Zerlina. Michael Zehe konnte als Leporello eine (angesagte) Erkältung mit Einsatz und Spielfreude überbrücken. Den Szenenapplaus für die Registerarie kriegt er sicher nachgeliefert, wenn er wieder ganz in Ordnung ist. Liudmila Lokaichuk ist auch als Donna Anna ein vokaler und mühelos dramatischer Hochgenuss. Dass Andrii Chakov über eine kraftvoll wohltimbrierte Stimme und Bühnenpräsenz verfügt, war bei seinem Don Giovanni Debüt unverkennbar. Es ist ein Vergnügen ihm zuzuhören. Und das Quantum Diabolik, das diesmal noch fehlte, wird dem (auch in dieser Rolle) sympathischen Sänger mit Sicherheit noch zuwachsen. 

Ein etwas überambitionierter Bravorufer (gegen etliche Buhs für die Regie) meinte, Halle könne froh sein, so etwas zu haben. Nun ja, szenisch ist man hier längst an Würfe und weniger an Entwürfe gewöhnt. 

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