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v.l. Thomas Kiechle (Rudolf von Niemeyer, Sänger), Sylvia Schramm-Heilfort (Herzogin Ernestine), Akiho Tsujii (Hilde von Niemeyer); hinten: Ensemble © Nasser Hashemi

v.l. Thomas Kiechle (Rudolf von Niemeyer, Sänger), Sylvia Schramm-Heilfort (Herzogin Ernestine), Akiho Tsujii (Hilde von Niemeyer); hinten: Ensemble © Nasser Hashemi

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Metoo im Frauenstaat – Eduard Künnekes Operette „Der Tenor der Herzogin“ in Chemnitz

Vorspann / Teaser

Den Plot dieser Operette aus dem Jahre 1930 kann man schon für einen Schmarren halten. Der Tenor, der sich an einem Hoftheater bewirbt und dabei verschweigt, dass er verheiratet ist und ein Kind hat, weil er so mehr Chancen hat, die begehrte Stelle zu bekommen, geht noch. Dass die sittenstrenge Prüderie in diesem Zwergstaat mit lebendigen Menschen so nicht funktionieren kann, kann man sich als Aufhänger für eine Operette auch gerade noch vorstellen. Dass diese Operette von Eduard Künneke (1885-1953) nicht so bekannt ist wie sein „Vetter aus Dingsda“ oder vielleicht noch „Lady Hamilton“ mag auch daran liegen.

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Dass die junge Regisseurin Anna Weber, Mitbegründerin des „Kollektivs für zeitgenössische Oper*ette tutti d*amore“ ist, das die Ambition verfolgt, Musiktheater, und da insbesondere die Operette, in urbane Räume und an ein jüngeres und diverseres Publikum zu bringen (wie in der Programmheftbiografie zu lesen ist), glaubt man wiederum angesichts der jüngsten Chemnitzer Operetten-Gaudi aufs Wort. Inklusive eines entschärfenden Augenzwinkerns, das jede Gender-Überdosis gleichsam gratis mitliefert. 

Gäbe es sie wirklich, dann wäre die Landkarte mit europäischen Operetten-Kleinstaaten jetzt jedenfalls um ein Herzoginnentum reicher. Dorthin verlegt nämlich das Frauentrio, zu dem neben der Regisseurin, Stella Lennert (Bühne) und Christina Geiger (Kostüme) gehören, das Hoftheater der fiktiven deutschen Residenzstadt Liebenstein aus dem Libretto. Oder auch nicht. Denn die Bühne, auf der das Ganze als Castingshow mit jeder Menge Drum und Dran zelebriert wird, bezieht nicht nur das Foyer der Oper (vor Vorstellungsbeginn und in der Pause) kurzerhand mit ein, sondern macht aus der Bühne einen weit aufgerissenen Mund. Barocke Prospekte im Rachenschleimhaut-Look. Mit Zäpfchen, Stimmbändern und Zunge. Mit Zähnen als Sitzgelegenheit für die Herzogin. Aber auch mit Lungenflügeln als Kabinen für die zwei Kandidaten des Finales. Zu den barocken Bühnenversatzstücken bietet die Optik einen ordentlichen Schuss von früher Science-Fiction-Ästhetik. 

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In diesem Metawelt-Utopia ist die patriarchalische Weltordnung wie wir sie kennen auf den Kopf gestellt. Sie spiegelt sich in einem Matriarchat, bei dem die Frauen (in langen blauen Gewändern mit Saumwulst) Ihre „Tenörchen“, Blas- und Streichmännchen (hübsch, bein- und schulterfrei und rosa, auch mit Wulst) am Halsband mit sich führen. Und wo Männchen, wenn sie aus der Reihe tanzen, auch schon mal als Schweinefutter enden können. Zu den zündendsten Nummern des Abends zählt denn auch der Aufstand, den die unterdrückten Männchen (mit Beifallsunterstützung im Saal!) nach der Pause proben …

Das sieht tatsächlich so albern und vergeigelt aus wie es klingt. Wer bei diversen Dschungel- oder Bachelor-Shows nicht sofort weiter zappt, darf das, was er sieht, gerne auch für eine subtil subversive Form von Kritik halten und sich darüber amüsieren. Oder ohne Denkumweg direkt über die Show. Es ist schon urkomisch, wenn sich die Herren vom Chemnitzer Chor (den Stefan Bilz fabelhaft einstudiert hat) trippelnd und im wippenden Rosaröckchen am Halsband von ihren gestrengen Kolleginnen durchs Haus und über die Bühne führen lassen. 

Dass bei Regisseurin Anna Weber in ihrer gemeinsam mit Kapellmeister Jakob Brenner erarbeiteten Neufassung bzw. Bearbeitung von Text und Musik aus Prinz Bernhard eine Prinzessin Bernhardine (taff im barock verfremdeten Skinlook: Paula Meisinger), aus der Operettensoubrette Molly Bruck als Mitbewerber um den begehrten Titel „Tenor der Herzogin“, der Sänger Mollo Bruck (schön überdreht: Jakob Ewert) und aus dem Hofopernintendanten Prillwitz (mit komischem Charisma: Daniel Pastewski) ein menschliches Hündchen mit Perücke werden, ist der Verlegung ins Herzoginnentum der regierenden Ernestine geschuldet und so plausibel wie die dort übliche Anrede „Meine Damen und Damen“!

Am Ende kommt natürlich raus, dass besagter Tenor Rudolf Niemeyer (Thomas Kiechle mit Hingabe) ein Kind hat. Das wird ihm mit Expresspost zugeschickt, weil die Oma die Schnauze voll vom Hüten hat. Hier kreuzt es gleich im Halbdutzend auf – so wie bei Strauss im „Rosenkavalier“ die angeblichen Kinder des Ochs. Und natürlich kommt raus, dass Hilde Niemeyer (Akio Tsujii macht glaubhaft, dass sie nicht nur Verehrer für sich gewinnt) nicht die Schwester, sondern die Ehefrau des Tenorkandidaten ist. Dem Auftritt der Herzogin Ernestine verleiht Sylvia Schramm-Heilfort tatsächlich einen Hauch royalen Glanz.

Für die Hofrätin Wegebold (hochpräsent: Elisabeth Dopheide) ist das ganze Liebesgeplänkel, das auch die Bewohner des Herzoginnentums erfasst, zu viel. Es kommt zu einem Sündentribunal und den Eingriff der Regisseurin bzw. Göttin ex machina. Weil die Männer den Aufstand geprobt haben und alle irgendwie schuldig geworden sind, schwebt sie/er/es von oben (bzw. aus Künnekes Operette „Die große Sünderin“) ein und verordnet das Generalpardon und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Counter Etienne Walch bringt mit einer für alle verständlichen Standpauke Ordnung in den Laden. Sein Dresscode darf als zusätzliche Botschaft verstanden werden. Eine hautenge Ganzkörper-Kondom-Kreation samt Zusatzexemplar als Heiligenschein. Vermutlich aus dem Atelier „Amor“ oder „Venus“. 

Jacob Brenner und die Robert-Schumann-Philharmonie haben an dem reizvollen Künnekesound ihre Freude und übertragen die aufs Ensemble, den Chor und den Saal. Bei den Protagonisten versteht man die ausführlichen gesprochenen Passagen deutlicher als die Gesungenen. Aus der Kurve fliegt man trotzdem nicht. Der Chemnitzer Publikum hatte seinen Spaß und jubelte.

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