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Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
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Minimalismus auf Drehscheibe – Schumann-Bearbeitung „Mondnacht“ an der Komischen Oper Berlin

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Es wurde Zeit, dass dem Chor der Komischen Oper, dessen dramatische Präsenz so viele Produktionen des Hauses an der Behrenstraße trägt, einmal ein eigener Abend dediziert wurde. Chorleiter und Dirigent David Cavelius schuf hierfür eine Bearbeitung von zwei Klavierlieder-Zyklen Robert Schumanns als orchestrierte Chorwerke.

Als im Jahre 1986 ein freies Musiktheater-Ensemble in München, in Berlin (SFB) und anschließend auch auf einer kleinen Hofbühne in Bayreuth Vorreiter war für die szenische Umsetzung von Liedern – lange bevor etwa Patricia Petibon 2009 bei den Salzburger Festspielen mit einem szenischen Liederabend reüssierte –, bezeichnete der Bayreuther Lokalkritiker diese Inszenierung als einen „Liederabend für Gehörlose“. So absurd erschien damals offenbar im Lager konservativer Musikfreund*innen die Idee, einen Liederabend (es handelte sich damals um sämtliche Lieder Siegfried Wagners in szenischer Darstellung durch eine Sopranistin) dramatisch zu versinnlichen. Die Zeiten haben sich seither drastisch geändert.

In der Zeit der Covid19-Beschränkungen inszenierte der Hausherr der Komischen Oper die Abfolge von zwei Liederzyklen Robert Schumanns mit dem viel gerühmten Chor dieses Hauses und einem im tief abgesenkten Orchestergraben aufspielenden Kammerorchester.

Schumanns einzige Oper „Genoveva“ hat es noch nicht an die Komische Oper geschafft, aber der „Liederkreis“ auf Gedichte von Joseph von Eichendorff und „Dichterliebe“ auf Lyrik von Heinrich Heine, beide im Jahre 1840 in der Flut seiner knapp 150 Lied-Kompositionen entstanden, erlebten nun in der Inszenierung von Barrie Kosky ihre szenische Erstaufführung. Das Heine-Lied „Mondnacht“ gab dem Abend den Titel.

Koskys Regie ist kaum mehr als eine Fingerübung. Hinter dem nachtschwarz ausgekleideten Portal rotiert die Drehscheibe auf der leeren Bühne im Minimaltempo. Hierauf sind im ersten Teil die Damen, im zweiten die Herren, jeweils mit 150 Zentimeter Abständen, positioniert. Die Chorist*innen bewegen sich dabei unmerklich um ihre eigene Achse, so dass sie stets nach vorne singen können.

Der mit „Son et Lumière“ untertitelte Abend ist auch eine Fingerübung für den Light Designer, hier Klaus Grünberg. Mit optischen Entsprechungen werden die beiden ungleich langen Teile als ein Ganzes behauptet: der Damenchor auf der sich im ersten Teil nach rechts, und dann der Herrenchor auf der sich im zweiten Teil nach links drehenden Bühnenfläche, werden nur partiell beleuchtet, mal sind die Künstler*innen Silhouetten vor der illuminierten Rückwand der leeren Bühne, ein andermal werden Gobo-Punkte auf die Darsteller*innen geworfen. Im ersten Teil fährt ein Bodenfluter einmal auf Schienen langsam vom rechten zum linken Proszenium, im zweiten Teil dann etwas schneller zurück. Ebenso senken sich in beiden Teilen 16 unbeleuchtete, einzelne Glühbirnen herab, die im nachfolgenden Lied langsam aufglimmen um danach wieder in den Schnürboden gezogen zu werden; aleatorisch sind nur die Wolkenbildungen einer sich in beiden Teilen einmal herabsenkenden und dann wieder entschwebenden Nebelmaschine.

Den in gedeckt farbiger Privatkleidung auftretenden Chorist*innen bleibt als einziger gestischer Ausdruck das bisweilige Strecken eines Arms nach oben und ein Winken ins Leere. „Der Rest ist Winken“, ist denn auch die Überschrift des Dramaturgen Simon Berger für seinen Hauptartikel im umfangreichen Programmheft.

Apropos Programmheft: Seltsam, welch eigene Konsequenzen die drei großen Berliner Opernhäuser derzeit aus dem Umgang mit der sommerlich inzidenzzahlmäßig überwundenen Pandemie geschöpft haben: die Deutsche Oper Berlin ist zu gewohnt ausführlichen Programmheften und Catering-Möglichkeiten zurückgekehrt, noch ausgiebigeres Catering in der Staatsoper, aber keine Printversionen der Programmhefte (aus Virus- oder aus Einsparungs-Gründen?), und die Komische Oper unter Verzicht auf jegliches Catering (aus Virus- oder aus Pächter-Gründen?), – mit Ausnahme der den Heimweg versüßenden, verpackten Pralinen-Give-Aways von Sawade – aber mit umfänglichen Programmheften. (Maskenpflicht während der Aufführungen gleichwohl an allen drei Häusern.)

Diesmal sind im Programmheft der Komischen Oper sogar sämtliche gesungenen Texte mit abgedruckt. Aber es ist zu dunkel, als dass das Publikum – das in diesem Haus sonst die Gesangstexte auf der Rückseite des jeweiligen Vordersitzes verfolgen kann – mitlesen könnte. Doch ist es auch nicht erforderlich, zumal diese Lieder – auch in anderen Vertonungen – hinlänglich bekannt sein dürften und die Textaussprache der Chorsolisten das Verstehen großenteils ermöglicht.

David Cavelius, ein anerkannt trefflicher Chorleiter, erweist sich mit seiner Bearbeitung der Klavierlieder auch als ein großartiger Instrumentator. Die raffinierte Orchestrierung in der Begleitung der 12 Nummern des Liederkreises op. 39 für einen zumeist dreistimmigen Frauenchor und der 16 Nummern der „Dichterliebe“ op. 48 für Männerchor orientiert sich in der Wahl der Begleitung an Ludwig Thuille (1861 bis 1907). Deutlich wird dies am Einsatz von Violine und Harfe, wie Ludwig Thuille dies bei seiner – in ihrer romantischen Wirkung unerreichten –Instrumentation des Bierbaum-Gedichtes „Sommernacht“ op. 25 erstmals, mit der Umspielung des (dort vier-)geteilten Frauenchors durch Violine und Harfe praktiziert hatte.

Cavelius arbeitet mit Harfe und chorischen Streichern, aber mit nur einem Kontrabass. Dabei entlockt der Bearbeiter dem kleinen Ensemble immer wieder neue klangliche Reize, insbesondere durch das Hervortreten der Solovioline (siehe Thuille!) oder des Solo-Violoncellos, oder gar, indem der gesamte gezupfte Streichkörper wie ein Mandolinen-Orchester aufspielt.

Die breiten Nachspiele der Heine-Vertonungen dienen Cavelius zur Erzeugung kontrapunktischer, klangdichter musikalischer Bilder. Auf Heinrich Heines Erzählungen basieren bekanntlich auch zwei Opern Richard Wagners sowie dessen „Die beiden Grenadiere“ (in französischer Übersetzung), aber Heines Witz und Ironie bleiben von Wagner und anderen romantischen Komponisten ausgespart. In die Bearbeitung von David Cavelius hingegen scheinen jene Elemente mit eingeflossen zu sein, eine ironische Hinterfragung als doppelter Boden. In den von Cavelius vier- bis achtstimmig bearbeiteten Heine-Liedern, aber auch schon in den Eichendorff-Bearbeitungen des ersten Teils, kommen immer wieder Einzelstimmen mit Schlüsselsätzen solistisch zum Einsatz – quasi die Solisten der ohnehin allesamt als Chorsoli firmierenden Mitglieder dieser dramatisch herausragenden Chor-Formation.

Als sich nach pausenlosen fünf Viertelstunden die Beteiligten und ihr dirigierender Chormeister im Frack verneigen, brandete auch in der zweiten Aufführung für l‘art pour l’art vom Reinsten und musikalisch Feinsten begeisterter Applaus mit Bravo-Rufen auf.

  • Nächste Aufführung: 25. Juni 2021.

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