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Ein Leben in (Klang-) Bildern: Marc-André Dalbavies „Charlotte Salomon“ in Salzburg. Foto: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
Ein Leben in (Klang-) Bildern: Marc-André Dalbavies „Charlotte Salomon“ in Salzburg. Foto: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz
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Mit der Kunst gegen den Tod: Marc-André Dalbavies „Charlotte Salomon“ bei den Salzburger Festspielen

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Das Anliegen ist festspielwürdig, die Ausführung ist es auch. Im Programm des laufenden Salzburger Festspieljahrgangs korrespondiert die dem verstorbenen Salzburgerneuerer Gerard Mortier gewidmete Uraufführung der Oper „Charlotte Salomon“ in der Felsenreitschule inhaltlich am ehesten mit den "Letzten Tage der Menschheit" im Landestheater. Zumindest in dem Versuch, den Festspielglamour mit einem Schuss Erinnerungs-Ernsthaftigkeit anzureichern.

Im Programmheft gibt der abgebildete Stolperstein den Ton vor. Der vermerkt neben dem Geburtsjahr Charlotte Salomons 1917, die Flucht nach Frankreich 1939, die Internierung 1940, die Deportation nach Auschwitz und die Ermordung 1943. Was er nicht vermerkt ist, dass die gerade frisch verheiratete und im fünften Monat Schwangere 1943 verraten wurde.

In diesem Falle wird das dahinterstehende Schicksal durch die Musik und die Bilder der Erinnerung lebendig. Noch-Festspielintendant Alexander Pereira hat den Boulez-Schüler Marc-André Dalbavie (53) mit der Komposition beauftragt. Er steht auch am Pult des Mozarteumorchesters Salzburg und garantiert damit die komponistenadäquate Interpretation des Werkes. Bei dem die Nähe der auskomponierten Parlando-Passagen zu Debussys "Pelleas et Melisande"-Tonfall auffällt. Was auch am größtenteils französischen Text liegen mag, den Barbara Honigmann nach jener Lebenszusammenfassung in Bildern unter dem Titel „Leben? oder Theater?“, die von Charlotte Salomon selbst in Form von mehreren Hundert Gouachen überliefert sind, zu einem Libretto verarbeitet hat.

Wir erfahren, nicht ohne gelegentliche Abschweifungen, etwas über das Leben in den Salons. Und über eine Familie, in der ein Hang zum Selbstmord vorherrscht. Allein im Stück bringen sich die Mutter und die Großmutter um. Für Charlotte wird der Weg in die Kunst zum puren Überlebensmittel. Es ist ein Leben, das auch ohne die Barbarei der Nazis schon als Opernstoff taugen würde.

Die episodischen Szene, die den Hauptteil des pausenlosen, zweieinviertel Stunden-Stück durch die episodischen Szenen trägt, bietet das Orchester aber auch ein feines atmosphärisches Säuseln und Raunen, und dann wieder düster dräuende Tutti-Schläge. Beim Auftauchen der Truppe von Braunhemden zur Reichsprogromnacht etwa. Oder als aufrauschende, sinnlich betörende Gewittermusik zur Liebesleidenschaft, wenn Charlotte und ihr Liebhaber Amadeus Daberlohn zu einander finden. Dalbavie bedient sich in seiner zweiten Oper (nach dem 2010 in Zürich uraufgeführten „Gesualdo“) aber auch recht ausführlich (man könnte auch sagen ungeniert) in der Musikgeschichte:

Von Bizets Habanera über Webers Jugfernkranz oder Mahlers „O Mensch“ bis zu Bach-Kantaten, Schubert- oder Kinderliedern und Schlagern. Am besten wirkt das da wo es am entschiedensten verfremdet wird. Diese assoziationsoffene Musik setzt sich gegen die so herauf beschworenen Erinnerungen also keineswegs zur Wehr und ist in den ariosen Passagen dezidiert sängerfreundlich. Eine Verständnis-Barriere hin zum Publikum muss also nicht weginterpretiert werden. In der gesuchten Nähe zum Melodram hat dieses Verfahren aber auch seine Tücken. Zumal, wenn direkt mit so ausgestellter Deutlichkeit bebildert wird, wie beim Auftauchen der braunen Barbaren.

Doch im Ganzen ist Luc Bondys Regie unaufgeregt und werkdienlich. Sein Bühnenbildner Johannes Schütz hat die Arkaden der Felsenreitschule verdeckt und einen angezogenen weißen Bühnenkasten in bis zu 13 Zimmer mit knappem Interieur unterteilt. Die so möglichen Simultanszenen und vor allem die projizierten Gouachen von Salomon, die in ihrer Farbigkeit und dem leichten Strich in der Erinnerung an Van Gogh oder Chagall ihren eigenen Ton haben, sorgen  auch dann für einen Zusammenhang, wenn sich Text und Musik im Detail verlieren.

Die Titelfigur selbst ist aufgespalten in die in Deutsch referierende Sprechrolle der Charlotte Salomon (hinreißend zwischen sinnlicher Lebenssehnsucht und Melancholie: Johanna Wokalek) und der meist französisch mezzosatt singenden Marianne Crebassa. Sie ist die von Salomon erfundene, sie selbst verkörpernde Charlotte Kann. Die beiden, von Modele Bickel gleich gekleideten Frauen, verschmelzen immer mehr zu einer Person. Die attraktive Künstlerinnen Stiefmutter kommt als Paulinka Bimbam bei Anaik Morel als sinnliche Habanera Interpretin, den Amadeus Daberlohn genannten Liebhaber gibt Frederick Antoun als sinnlich smarten Draufgänger. Den ungeteilten Beifall hat das gesamte Ensemble redlich verdient.

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