Zuvörderst Chapeau für das Charlottenburger Opernhaus, das damit innerhalb von fünf Wochen seine vierte Premiere herausgebracht und auch numerisch damit die anderen beiden Berliner Opernhäuser überrundet hat. Nur selten berichtete die nmz bislang über jene Reihe „Aus dem Hinterhalt“, welche mit unterschiedlichem Erfolg die Opernpremieren in der Intendanz von Dietmar Schwarz begleitet, indem sie der Premiere zeitnah als künstlerischen Kommentar eine „Late Night Performance zur großen Oper“ folgen lässt. Dass für Wagners „Die Walküre“, die diesmal den Ansatzpunkt bildete, das Attribut „große Oper“ völlig unzutreffend ist, zumal Richard Wagner gerade mit seiner Form des musikalischen Dramas der Kunstform der „Grand Opéra“ den Kampf angesagt hatte, sei nur am Rande erwähnt.
Laut Auskunft des früheren Betreuers dieser Reihe, des langjährigen Dramaturgen an der Deutschen Oper Berlin Curt Roeseler, gibt es für diese Produktionen mit Special Guest Künstler*innen aus Pop, Rock, Avantgarde, Mode und bildender Kunst und deren eigenwilligen Blick auf die Repertoirewerke, nicht nur so gut wie keinen Etat, sondern auch bewusst keine Haupt- und Generalprobe. Die Nähe zur Improvisation im Jazz soll sich auf diese Art einlösen.
Auf die geringe Vorbereitungszeit verweist die Tatsache, dass zwei der drei Solist*innen (außer Beth Taylor als Erda) bei ihren kurzen Wagner-Ausschnitten, die mit Streichquartett und Klavier, später auch leicht mit Elektronik begleitet werden, entweder textlich (Noel Bouley) oder rhythmisch (Rebecca Pedersen) straucheln.
Diesmal war für die von Elia Rediger kuratierte Reihe die Komponistin und Sängerin Annelie Bentler als Special Guest gewählt worden und war damit konzeptionell und kompositorisch verantwortlich: „Queen Alaska“ spannte neben der Darbietung eigener englischsprachiger Songs den Bogen zu Wagners „Das Rheingold“ und „Die Walküre“. Dabei wählte sie als Ansatz eine Entspannungstherapie. Doch die Besucher*innen vermochten auf den Podesten ohne Rückenlehne Bentlers Anordnung, sich zurückzulehnen, nicht zu folgen, wie auch die während der gesamten Veranstaltung zu tragenden Masken die Aufforderung, tief einzuatmen, erschwerten.
Gespielt wird im Bühnenraum der jüngsten Tischlerei-Premiere „Waldesruh“, angereichert durch sehr viel Paraffin aus der Nebelkanone und den Einsatz einer Laserkanone (Live generierte Visuals: Mao – aka Mathieu Le Sourd). Totz der wirtschaftlichen Beschränkungen hat die Sopranistin von der Ausstatterin Thea Hoffmann-Axtheim ein opulentes, rotes Kostüm bekommen, farblich das Pendant zum diametral gertenschlanken Double Annelie Bentler, in rotem Monteur-Outfit, wie es auch der Schlagzeuger Jannis Knüpfer trägt.
In der psychoanalytischen Deutung von Wagners Mythos ist Peter Dettmering sehr viel weiter gegangen, und selbst Lynn Snook war diesbezüglich argumentativ plausibler als Annelie Bentler. Die erzählte, dass sie seit frühen Tagen mit Richard Wagners Welt konfrontiert wurde, zumal ein Onkel von ihr im Bayreuther Festspiel-Orchester Posaune geblasen habe und ihr anderer Onkel regelmäßig Vorträge über Richard Wagner halte. Besonders viel scheint sie davon nicht mitbekommen zu haben, denn sonst würde sie wenigstens den Namen „Brünnhilde“ mit (der musikalisch vorgegebenen) richtigen Betonung aussprechen. Sichtbar genießt es die „Queen Alaska“, neben der hauseigenen Nachwuchs-Sopran-Besetzung Rebecca Pedersen auch selbst mal als Brünnhilde auf jenem Handteller einer kaschierten, übergroßen Hand zu liegen, welche als Fundus-Objekt der Deutschen Oper Berlin bereits mehrfach in Produktionen „Aus dem Hinterhalt“ genutzt wurde. Von dort flüstert sie Sätze Wotans repetierend ins Mikro.
Am Anfang der Wagner-Zitate steht Erdas „Weiche, Wotan weiche!“, um so das Elternpaar der Brünnhilde einzuführen, dann eine elektronische Paraphrase auf den Walkürenritt und – mit Streichquartettbegleitung – Brünnhildes Verteidigung „War es so schmählich“. Später darf die Sopranistin einen zweiten Versuch mit dem Gesang dieser Szene wagen, dann kontrapunktisch zur Figuration des „Walküre“-Vorspiels.
Gemessen an Tiefgang und Vielschichtigkeit der „Walküren“-Inszenierung von Stefan Herheim bietet dieser Abend zu wenig, und auch der Versuch einer humorvollen Herangehensweise erstickt: „Ich habe mir einen Virus eingefangen, da bin ich manchmal etwas verwirrt. – Dann atmen Sie nochmal aus!“. Blaues Laser-Licht steht in Wotans Abschied „Leb wohl, du kühnes, herrliches Kind!“ für das Feuer.
Bevor nach gut einer Stunde Bentlers Countdown als angebliche „Rückholung aus der Hypnose“ passiert, geistern noch Fetzen aus Siegmunds „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ durch Bentlers abschließende Komposition „Wonnemond“.
Nie zuvor „ward es erlebt“, dass die Produktionen „Aus dem Hinterhalt“ anderes erhielt als Publikums-Zuspruch, diesmal aber ertönte in die Stille nach dem Ende der Musik aus dem Hinterhalt ein lauter Buhruf – Wotan hat also Recht behalten: „Heut‘ hast du’s erlebt!“
Der nächste Abend dieser Reihe gilt „Siegfried“, am 21. Januar 2021.
- Aus dem Hinterhalt: Macht der Künste – Eine therapeutische Late-Night-Performance zu DIE WALKÜRE