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Sei Siegfried! Foto: © Bayreuther Festspiele / Jay Scheib
Sei Siegfried! Foto: © Bayreuther Festspiele / Jay Scheib
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Mit „Parsifal“-Vorgriffen – „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ bei den Bayreuther Festspielen

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Jay R. Scheib, ein Regisseur für Bühne und Oper, zugleich Spezialist für Virtual Reality und Augmented Reality, wird in zwei Jahren den „Parsifal“ neuinszenieren. Als einen Vorgeschmack auf jene Aufführung, die gleichzeitig auf der Bühne real stattfinden wird, der jedoch Zuschauer*innen mit Spezialbrillen in Augmented Reality Zusätzliches abgewinnen können, vermittelt in diesem Sommer eine Kürzestversion des „Siegfried“.

„Sei Siegfried!“

Der rote Teppich, der in diesem Jahr bei der Festspieleröffnung für die Prominenz nicht ausgerollt worden war, führt diesmal zu sechs Pavillons, in denen in Zeitfenstern von sieben Minuten je sechs dafür per Internet angemeldete Zuschauer*innen, in den Pausen oder nach der Aufführung der „Walküre“ eine Spezialbrille aufgesetzt bekommen. Virtuell betritt Jede*r individuell das Festspielhaus über den Königsbau, mit dem Blick auf die Gedenktafel der Festspiele von 1876. Im virtuellen Modell ist der Zuschauerraum gut getroffen, auch wenn die Vorhänge bei den Eingangstüren und die Sitze etwas anders aussehen als im Original, ist doch bereits ein mächtiger Rabe im Rundflug über den leeren Zuschauerraum eindrucksstark. Erst recht der plastische Drachen, der so aussieht, wie Opernbesucherinnen ihn vor mehr als 100 Jahren gerne erlebt haben, der aber auch fliegen kann, wie wir dies aus diversen Fantasy-Filmen kennen. Zunächst wird dem zum Siegfried-Darsteller gewordenen Besucher das gezeigt, was Mime dem Siegfried auf dessen Fragen, „Hat der Wurm ein Herz?“ und „Das sitzt ihm doch, wo es jedem schlägt?“, verbal erklärt hatte. So sieht der neue Siegfried zunächst das Herz des Drachen gezeigt und dessen potentielle Einstichstelle. Dann ergreift der Drache, über die Bühne kommend, vom leeren Zuschauerraum des Festspielhauses Besitz und sprüht, wie das Drachen klassisch tun, Feuer – auch wenn es bei Wagner, der diesen Effekt ausspart, nur heißt, „giftig gießt sich ein Geifer ihm aus“.

Der Zuschauer kann die Hand an Nothung legen und selbst dieses Schwert führen. Natürlich weiß der Wagner-Kenner, wann, nach zwei Vorversuchen, von unten in die Brust Fafners der entscheidende Todesstich erfolgen kann. Der siegreiche Drachentöter schwebt zum Zeichen seines Sieges in die Luft, hoch über den Drachen, und die Musik (welche Audio-Aufnahme hier zugrunde gelegt wurde, konnte ich nicht erkennen) wird ausgeblendet, wie die Brände im Zuschauerraum erloschen sind.

Das ist ein Erlebnis, welches auf die in zwei Jahren angekündigte „Parsifal“-Neuinszenierung dieses Regisseurs vorwegweist. Etwa wenn Parsifal im ersten Aufzug den Schwan erschießt – so der Regisseur in der diesjährigen Pressekonferenz der Bayreuther Festspiele – wird durch die Brille ein spezielles Erlebnis geboten werden, aber auch Zuschauer*innen die keine Brille aufsetzen, das volle Opernerlebnis versprochen wird.

Schicksalsfaden – „Götterdämmerung“

Als Diskurs für die „Götterdämmerung“ wurde die japanische bildende Künstlerin Chiharu Shiota gewonnen, die auf der rechten Seite der Auffahrt zum Festspielhaus im Park eine Götterdämmerungs-Installation errichtet hat, mit sechs Ringen, die ineinandergreifen und von roten Nornefäden umsponnen sind. Die feuerfeste Installation ist nicht erst nach den anderen drei Teilen des „Ring des Nibelungen“ zu sehen, sondern war bereits mit Festspielbeginn fertiggestellt. Das in Berlin gefertigte, nach Bayreuth transportierte Kunstwerk basiert – laut der Künstlerin – auf der Frage, ob das von den drei Nornen im Schicksalsseil gesponnene Schicksal von Siegfried und Brünnhilde unabänderlich sei. Ihre „Fadeninstallation“, so Chiharu Shiota, möchte „die Vergangenheit des Raumes mit der Gegenwart verbinden und etwas Neues für die Zukunft schaffen, an das sich die Menschen durch den Faden erinnern werden“. Die bis zu sechs Meter hohen Ringe sind verbunden durch ein rotes Netz aus zahllosen feuerfesten Fäden. Über die banale Eigendeutung hinaus, dass diese Verbindungen „sich in Zeit und Raum“ ausdehnen, während „die Einfachheit des Rings die Einheit, Unendlichkeit und Ewigkeit symbolisiert“, lässt das Objekt dem Betrachter die Freiheit, weitere Assoziationen zu bilden. Wer das gesamte Kunstwerk (kein „Gesamtkunstwerk“!) durch drei Ringe als Okular betrachtet, kann dieses auch als einen großen Vogel mit spitzem Schnabel deuten, verweisend also auf einen der Raben Wotans, die dieser auf Reisen geschickt hatte, um ihm eines Tages vom düster dämmernden Tag für die Götter zu berichten – also jene Raben, die Brünnhilde in ihrem Schlussgesang am Ende der „Götterdämmerung“ auf den Weg zu Wotan nach Walhall sendet.

Zum Unterschied gegenüber dem Rabenflug und Drachenkampf ist Shiotas Installation frei zugänglich – bis zum Ende der diesjährigen Bayreuther Festspiele am 25. August.

  • Weitere Aufführungen „Sei Siegfried!“: 3. und 19. August 2021.

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