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Tannhäuser an der Oper Amsterdam. Foto: Copyright (c) DNO 2019, Monika Rittershaus
Tannhäuser an der Oper Amsterdam. Foto: Copyright (c) DNO 2019, Monika Rittershaus
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Mit und ohne bürgerliche Anstandsfassade – Christof Loy inszeniert Richard Wagners „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg“ in Amsterdam

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Zur Aufführungsgeschichte von Richard Wagners „Tannhäuser“ gehört der Ärger, den er in Paris damit hatte. Eigentlich war dort im zweiten Akt ein Ballett üblich. Das verweigerte der Deutsche seinem vergnügungssüchtigen französischen Publikum zunächst strikt. Doch er wollte unbedingt den Erfolg in der damaligen Welthauptstadt der Oper. Sein Zugeständnis: das Bacchanal vor der Venusberg-Szene als Ballettersatz. Für „Tannhäuser“ konnten sich die Pariser dennoch nicht begeistern. Bei Wagner selbst stand das Werk fortan immer mal wieder auf der Agenda. Von daher auch sein berühmt gewordenes Bonmot: „Ich bin der Welt noch einen Tannhäuser schuldig.“ Der Oper Amsterdam gelingt, dank der intelligenten Inszenierung von Christof Loy, Beachtliches, findet Joachim Lange.

Im Grunde lässt sich Regisseur Christof Loy jetzt in Amsterdam von dieser Pariser Episode inspirieren. Nicht von der Zeit oder dem Ort, aber inhaltlich. Das Einheitsbühnenbild von Johannes Leiacker zeigt einen offenen, schräg in das Riesenportal der Amsterdamer Oper gesetzten Ballettsaal. Mit Herrenclub-Atmosphäre. Auch mit Handläufen an den Wänden ist er so nobel, dass man hier ohne weiteres einen Sängerwettstreit nebst Empfang für gehobene Kreise glaubwürdig veranstalten kann. Der Konzertflügel für den Künstler in der Mitte ist ein bewährtes Requisit. Er war es schon für viele Venusberg-Varianten und „teure Hallen“. Vor allem, wenn man Tannhäuser nicht märchenhaft im Wartburg-Ambiente nacherzählt, sondern gleichnishaft in eine unbestimmte Gegenwart übersetzt. Das große Portal nach hinten und der Zugang zur Seite hin, betonen nicht nur den großzügigen Zuschnitt, sondern erlauben mühelos und wie selbstverständlich auch reibungslose Auf- und Abgänge für die gewaltigen Chormassen.

Gleich zu Beginn beim Bacchanal gelingt dem Regisseur, der auch für die Choreografie steht, ein Coup. Zunächst finden sich ein paar Herren ein – in nobler Abendgarderobe und offensichtlich in freudig gespannter Erwartung. Dann flitzen Ballett-Elevinnen im weißen Tütü durch die Szene, gefolgt von den wohl gerade auf der Bühne gefeierten Tänzerinnen. Die Herren verstehen das als Aufforderung für Ihren Tanz mit ihnen. Was man dann zu sehen bekommt, ist ungefähr das, was ein Zeitgenosse von heute sich zu dieser Musik denken mag. Der leichte und neckisch spielerische Auftakt eskaliert, wird, freiwillig und auch nicht so ganz freiwillig, handgreiflich und übergriffig. Es ist ein Spiel des Begehrens, der Verweigerung, des Nachgebens, des Erzwingens. Bei dem dann auch (bei ein paar Herren und Damen, die es sich leisten können) die Hüllen fallen. Das hat opulenten Schauwert mit Hintersinn, ist perfekt gedacht und virtuos umgesetzt. Loy kann nackt, und zwar ohne, dass es irgendwie aufdringlich krawallig wirken würde. Das können nicht viele. 

Loys ausgeprägter Sinn für Ästhetik und Präzision

Überhaupt bewährt sich auch bei seinem Tannhäuser sein ausgeprägter Sinn für Ästhetik und Präzision. Oper geht tatsächlich immer noch auch ohne Videos oder optische Verkehrsunfälle bei den Farbkombinationen der Kostüme (die sind von Ursula Renzenbrink). Im dritten Aufzug, wenn Heinrich verzweifelt wieder den Venusberg herbeiruft, wiederholt sich diese Salon-Orgie noch einmal ansatzweise. Die Herren, die sich vorher so unisono über Tannhäusers offenes Bekenntnis zur körperlichen Liebe echauffiert und ihn fast gelyncht hätten, und die zum Gesang des aus Rom heimkehrenden Pilgerchores ohne ein Anzeichen äußerlicher Veränderung ihre große Läuterung behauptet hatten, reagieren auf das weibliche Ballettpersonal (zum Teil auch aufeinander) erneut genauso hemmungslos wie beim Bacchanal. Allerdings erstirbt die Szene, bei der Tannhäuser auf dem Flügel zu triumphieren scheint und Wolfram sich wie in einer Pieta-Konstellation Frau Venus zu seinen Füßen zuwendet, zugleich. Ein Schlußbild in dem Erkenntnis über das Leben, die Leidenschaft und ihren Preis gleichsam im doppelten Wortsinn einfriert.

So wie Loy den Gegensatz zwischen der Venusberg- und der Wartburgwelt zu einem inneren Konflikt von Heinrich, aber auch von Wolfram macht, so hält er es auch mit dem kollektiven Ich, als das die Wartburggesellschaft hier auftritt. Damit blendet er die Möglichkeit aus, differenzierte Reaktionen auf Heinrichs offensiv propagierten Tabubruch während des Sängerwettstreits zu zeigen. Die haben keine Chance ihre Haltung zu ändern, die haben sich in ihrer bürgerlichen Doppelmoral häuslich eingerichtet. 

Das Konzept folgt szenisch dem Gedanken, die Gegensätze, die Wagner mit Venus und Elisabeth personifiziert und in die Welt des sagenhaften Venusbergs und der streng reglementierten Wartburg projiziert hat, als inneres Drama eines Künstlers bzw. Liebenden zu zeigen. Und das mit der für Loy typischen, stringenten Präzision der Personenregie. Dafür hat er in Amsterdam das passende Protagonisten-Ensemble beisammen.

Dass Wolfram von Eschenbach in Wahrheit den Sängerkrieg auf Wartburg (im engen Sinne) gewinnt, mag auch daran liegen, dass Wagner ihm zwar beim Werben um Elisabeth keine echte Chance einräumt, aber die wunderbarsten Solonummern in die Kehle geschrieben hat. Der Bariton Björn Bürger nutzt diese Steilvorlage weidlich aus, und bleibt sowohl beim Preislied, als auch beim Lied an den Abendstern stets im szenischen Kontext. Er spielt seinen Wolfram als unglücklich Liebenden, als Freund und als an sich selbst Zweifelnden intensiv aus. Bürger führt mit seinem wohlklingenden, gleichwohl kernigen Bariton gemeinsam mit Ekaterina Gubanova als Venus das Protagonisten-Ensemble an. Sie besticht vokal mit ihrer dunklen Leuchtkraft und Eloquenz. Die Göttin der Liebe ist hier eine Diva, die in Leiackers Ballettsaal die Aura einer gefeierten Künstlerin verbreitet.

Daniel Kirch ist längst vom lyrischen zum versierten Wagner-Tenor geworden. So machte er mit beiden Siegfried-Partien im aktuellen Chemnitzer Ring Eindruck. Den Tannhäuser stattet er jetzt zwar durchaus überzeugend mit dem Überdruck des in sich Zerrissenen aus, und liefert damit vor allem passgenau die Anschlussstücke für die Persönlichkeiten, die Loy in Wolfram und Elisabeth sieht. Aber die vokale Bewältigung der Partie gerät ihm spürbar zum Kraftakt, lässt souveräne Leichtigkeit vermissen, wirkt mitunter schaumgebremst, verleiht gar seinem „Erbarm Dich mein“, den doppelten Wortsinn, dem man keinem Sänger wünscht. Dennoch: Kirch bewältigt die Partie bis zum Schluss und bleibt dem hitzköpfigen Heinrich treu. (Für den Tristan in der Neuinszenierung von Enrico Lübbe in Leipzig im Oktober 2019 dürfte ihm seine Erfahrung mit der Rolle vor zwei Jahren in der wiederbelebten Heiner-Müller-Produktion in Lyon allerdings zu Gute kommen.) Die Elisabeth der jugendlich wirkenden Svetlana Aksenova erfüllt vielleicht noch nicht jede Erwartung an eine aufblühende und dann verzweifelnde Elisabeth, aber auch sie bewältigt diese Partie höchst achtbar und passt als Typ fabelhaft zwischen Wolfram und Heinrich und als kontrastierendes Gegenüber auch zu dieser Venus. 

Angeführt von Stephen Milling als Landgraf Herrmann sind auch die übrigen Sänger mit vokaler und darstellerischer Präsenz bei der Sache. Als Bedingung im Ballettsaalklub sorgt eine glockenklare Julietta Aleksanyan für den Übergang von der einen zu der anderen Welt, in der Tannhäuser sich bewegt.

Marc Albrecht füllt seine Rolle als musikalischer Chef der Amsterdamer Oper, in deren Graben diesmal das Nederlands Philharmonisch Orkest mittlerweile längst ebenso souverän aus, wie vor ihm Hartmut Haenchen. Er lässt die Leidenschaften brodeln, scheut aber auch den Effekt nicht. Die Fanfaren zum Einzug der Gäste etwa, kommen vom ersten Rang. Obwohl Albrecht immer der Anwalt des großen Orchesterklangs ist, überdeckt er die Sänger nicht. Am Ende ist der Jubel in Amsterdam einhellig. 

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