Eine musikalische Wiedergutmachung? Dresdens Semperoper hat nun endlich – als lokale Erstaufführung – „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith herausgebracht. Ein Werk, das in den Anfangsjahren des Nazi-Regimes entstand, in Hitler-Deutschland nicht aufgeführt werden durfte, 1938 in Zürich herauskam und erst 1946 in Stuttgart gezeigt wurde. Ein sperriges, ein spannendes Stück; ein Werk mit Geschichte.
Obwohl sich Wilhelm Furtwängler Anfang der 1930er Jahre sehr für eine Berliner Uraufführung eingesetzt hatte, wurde daraus nichts. Die Hitler-Schnauze Goebbels höchstselbst hatte Paul Hindemith als „atonalen Geräuschemacher“ abgestempelt. Der Komponist wurde zum „entarteten Künstler“ erklärt, emigrierte erst in die Schweiz, dann in die USA.
Aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren, scheiterte eine Dresdner Produktion des „Mathis“ an den politischen Umständen. Paul Hindemith, inzwischen US-amerikanischer Staatsbürger, ließ den Verhandlungspartnern in der DDR ausrichten, die Aufführung auf die Zeit eines besseren „geistigen Klimas“ zu verschieben.
Diese Zeit ist nun offenbar angebrochen. Oder gibt es heute nur eine erneute, eine brisante Aktualität für „Mathis der Maler“? Ihr Dresden-Debüt steht wie im Spagat zwischen historischer Wiedergutmachung und aktueller Brisanz. Denn „Mathis der Maler“ ist ja eine Künstler-Oper, die beständig danach fragt: „Ist, dass Du schaffst und bildest, genug?“ Ihr Komponist hat sich als sein eigener Librettist betätigt und mit dem Maler Matthias Grünewald quasi ein Abbild seiner selbst ins Zentrum gestellt. In diesem Spiegel konnte er die Frage, ob und wie Kunst und Kultur die Welt zu einem besseren Ort machen können, facettenreich abhandeln. Dass Hindemith seinen „Mathis“ als Oper in sieben Bildern bezeichnet hatte, ist angesichts der bildmächtigen Musik, die wie in Tableaus aufgeschichtet die Sinne ergreift, unbedingt nachzuvollziehen.
Jede Menge Stoff
In dieser Oper steckt jede Menge Stoff, also nicht nur die Frage des Künstlers nach dem Sinn seiner Kunst, nicht nur die Verortung in gesellschaftlich schwierigem Umfeld, sondern auch zutiefst menschliche Züge wie die Sehnsucht nach Anerkennung und Wohlstand sowie vor allem der Anspruch auf Liebe. Was bei Grünewald (und im Libretto) zwischen Reformation und Bauernkrieg tobt, war bei Hindemith das Deutschland der Nazis und ihrer völkischen Mitläufer – wer sich dieser Oper heute annähern will kommt um Parallelen mit der Gegenwart gar nicht herum.
Regisseur Jochen Biganzoli verweigert dem Publikum die Grünewald-Zeit, setzt auch nicht in der Ära des Komponisten an, sondern betont seinen eigenen Erfahrungshorizont in einem sehr heutigen, aber keineswegs zwanghaft aktualisierten „Mathis“. Zwar ist seine Inszenierung nicht frei von Klischees, werden mitunter Revue-Elemente verwendet, die nicht unbedingt schlüssig wirken, doch die Gesamtwirkung dieser für Auge und Ohr sehr beeindruckenden Produktion ist stark und ergreifend. Die sieben klanglich so unterschiedsvollen Bilder der Oper sind natürlich mit Bildern garniert, da sprechen Robert Longo und dessen Wahrheit zum 11. September 2001 sowie Roy Lichtenstein und seine knalligen Düsenjets jeweils für sich. Ein Selbstporträt von Ernst Ludwig Kirchner im Ersten Weltkrieg verlängert die Zeitachse, wohingegen Claude Monet „Seerosen“ von der (gefährdeten) Schönheit purer Natur künden.
All diese Abbilder stehen im Dienst der Inszenierung, dominieren die in kühler Heutigkeit ausgestattete Bühne von Andreas Wilkens, auf der die Personage in schicken Kostümen von Heike Neugebauer agiert. Das steht ein wenig im Widerspruch zum tatsächlichen Wort, macht jedoch die Allgemeingültigkeit der Thematik umso deutlicher.
In kühler Heutigkeit
Vor allem gelingt es der Musik, das Publikum in den Bann zu ziehen. Für diese fast vier Stunden lange Oper wurde erstmals Simone Young zu einer Neuproduktion nach Dresden verpflichtet. Als Intendantin und Generalmusikdirektorin in Hamburg hat die Australierin bekanntlich eine exzellente Aufnahme von „Mathis“ produziert und erwies sich nun einmal mehr als Hindemiths Sachwalterin. Dabei ließ das Vorspiel in den ersten Takten noch Schlimmes befürchten. Aber nach kurzem Stolpern gab es ganz rasch ein Aufblühen im Orchester und dann einen faszinierenden Abend lang zahlreiche Glanzleistungen im Sängerensemble, in dem der Staatsopernchor als einer der Hauptdarsteller ebenbürtig mit der umfangreichen und hier gar nicht im Einzelnen aufzulistenden Solistenriege agiert.
Mit Markus Marquardt war im Titelpart der Dresdner Hindemith-Bass schlechthin zu erleben, denn er hatte schon im „Cardillac“ brilliert und konnte nun einmal mehr mit bärig breitem Spektrum sowohl sängerisch als auch spielerisch überzeugen. Seine Figur macht glaubhaft den Wandel vom erfolgreichen Künstler hin zum Widerständler gegen Macht und Klerus durch. Dabei bleibt sie ganz Mensch, ist zerrissen in Liebe – mit großartigen Partnerinnen wie Annemarie Kremer als Ursula und Emily Dorn als Ziehtochter Regina – und Menschlichkeit.
Das Hin- und Herwogen der blutigen Umtriebe wird choreografisch und lichttechnisch umgesetzt, da gibt es stilistische Brüche, die aber die Grundaussage gegen gewalttätige Macht und mordenden Mob nie in Frage stellen. Wie Christa Mayer als Gräfin Helfenstein bedroht wird, nachdem rachedürstende Massen bereits deren Mann gelyncht haben, das steht wie ein Fanal.
Ergreifender noch dann der Abschied von Regina, die mit Koffer und Geigenkasten von der Bühne geht und einen gelben Stern am Mantel trägt. Dick aufgetragen? Nein, nachvollziehbar, denn just zuvor wurde das erwähnte Goebbels-Zitat eingesprochen – und danach sitzt Mathis der Maler als Mathis der Geiger (ein weiteres Hindemith-Abbild, denn der Komponist war ja auch Geiger und Bratscher) einsam verlassen im Schlussbild.
Revolution gescheitert, das Unrecht von Kirche und Staat geht weiter. Und die Kunst? In einer Pantomime wird Grünewalds Isenheimer Altar versteigert. Eine humanistische Wiedergutmachung steht also noch aus.
- Termine: 4., 10., 15. und 20. Mai.