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Jenkins mit dem Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold.  © Hartmut Hientzsch

Jenkins mit dem Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold.  © Hartmut Hientzsch

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Musik für eine Welt – Multistilist Karl Jenkins mit dem Preis der Europäischen Kirchenmusik 2024 geehrt

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Eines der großen Probleme der Kirchenmusik ist es lange Zeit gewesen, sich nur sehr spärlich mit den wirklichen und aktuellen Problemen der Gesellschaft und der Welt beschäftigt zu haben. Der Komponist Sir Karl Jenkins hat sich dieser Probleme in seiner Musik und seinen Texten angenommen und sie in eine klare, verständliche und berührende, aber keineswegs flache Musiksprache eingebettet. Dafür hat er nun den „Preis der Europäischen Kirchenmusik“ in Schwäbisch Gmünd zugesprochen bekommen.

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„Was wäre, wenn alle Menschen auf diesem Planeten dieselbe Sprache sprechen? Sich verstehen, respektieren, einander verzeihen und füreinander da sind. Frei von egoistischen Motiven wie Neid, Missgunst und Machtbesessenheit. Wo die Nächstenliebe wieder als fester Bestandteil der Gesellschaft verankert ist.“ Das hört sich ein wenig illusorisch und märchenhaft an, vielleicht sogar weltfern und naiv. Es ist der christliche Traum vom Frieden, eine Hoffnung, die es nicht gibt, weil schon alles gut ist, sondern eine Hoffnung, die man nicht aufgeben darf.

Alljährlich wird in Schwäbisch Gmünd der „Preis der Europäischen Kirchenmusik“ vergeben. Seit 1989 feiert man jährlich das „Festival Europäische Kirchenmusik“, seit 1999 wird während des Festivals der Preis der Europäischen Kirchenmusik vergeben – in diesem Jahr zum 25. Mal. Die Preisträger sind ausnahmslos Lichtgestalten der Kirchenmusik. In Schwäbisch Gmünd herrscht ein wenig noch immer der Geist der einstmals freien Reichsstadt. Hier wird nicht gefragt, ob evangelisch der katholisch, hier wird aufgenommen, wer sich – aus welchem Grund und welcher Gesinnung auch immer – würdig erweist.

In die illustre Reihe der Preisträger (Dieter Schnebel, Peter Schreier, Petr Eben, Eric Ericson, Krzysztof Penderecki, Frieder Bernius, Arvo Pärt, Daniel Roth, Klaus Huber, Helmuth Rilling, Sofia Gubaidulina, Marcus Creed, Hans Zender, Clytus Gottwald, John Tavener, Thomanerchor Leipzig, Younghi Pagh-Paan, Hans-Christoph Rademann, Wolfgang Rihm, Godehard Joppich, John Rutter, Joshua Rifkin, Pēteris Vasks und Ludger Lohmann) wird in diesem Jahr der walisische Keyboarder, Oboist, Saxophonist, Komponist und Dirigent Sir Karl Jenkins aufgenommen, der im Februar seinen 80. Geburtstag gefeiert hat.

Frieden und Völkerverständigung

Die Stadt Schwäbisch Gmünd ehrt ihn mit dieser Auszeichnung für sein kompositorisches Schaffen, das Genregrenzen überschreitet und Menschen weltweit erreicht. Die Jury attestiert Jenkins: „Jenkins‘ Musik verbindet Elemente unterschiedlicher Stile und Kulturen. In seinen Kompositionen setzt er sich mit aktuellen Themen und gesellschaftspolitischen Fragen auseinander und tritt mit der universalen Sprache der Musik für Frieden und Völkerverständigung ein.“ Diese Haltung passt auch gerade in diesem Jahr mit dem Festivalthema „Freiheit“ gut zusammen.

Anlässlich der Preisverleihung erklingt in einer deutschen Erstaufführung Jenkins‘ derzeit letztes Werk „One World“. Unsere aus den Fugen geratene Welt ist für Jenkins Anlass für dieses Werk. Seine Vision von einem freien, friedlichen und bewohnbaren Planeten steht dabei im Kontrast zu unterdrückten Regimen, Seuchen und Klimawandel, Missachtung grundlegender Menschenrechte, Terrorismus und Krieg.

Jenkins‘ Musik verbindet Kulturen und Religionen. Sie bezieht Inspirationen aus der Bibel, aus dem hinduistischen Gayatri Mantra, aus der Poesie von Shelley, Frances Harper und Khalil Gibran, die allen in ihren eigenen Sprachen zu Wort kommen. In der Überschrift des sechsten Satzes schimmert ein wenig von dem Grundgeist des Stückes und des Komponisten durch: „Die Welt reparieren“ – hebräisch: „Tikkun Olam“. Die Musik dieses (in jeder Hinsicht) Weltwerkes, die man am ehesten als multistilistisch bezeichnen kann, ist gut hörbar und gefällig, ohne sich dem Ohr und dem Herz anzubiedern.

Da der geplante Dirigent der Aufführung und auch Laudator, Nicol Matt, sich im Krankenhaus befindet, hat Jenkins die Leitung der Aufführung selbst übernommen, die Laudatio von Matt hat der Leiter des städtischen Kulturbüros, Ralph Häcker, verlesen.

Exkurs: Warum verliest die Laudatio eigentlich ein städtischer Mitarbeiter? Nun, das „Festival der Europäischen Kirchenmusik“ ist eine städtische Veranstaltung. Die Stadt Schwäbisch Gmünd ist sich ihrer lebendigen kirchenmusikalischen Tradition, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht, wohl bewusst. Der Organist und Komponist Felician Schwab hat hier gelebt, vom 17. bis 19. Jahrhundert gab es ein Gmünder Passionsspiel, ähnlich dem Oberammergauer Passionsspiel, es gibt wunderschöne Kirche, im Jahr 2000 erst haben sich die Franziskanerinnen ein neues Kloster gebaut. Viele Chöre gibt es vor Ort in Schwäbisch Gmünd – drei davon, im semi-professionellen Bereich, haben eine Qualität, die sie seit Beginn des Festivals zur Teilnahme qualifiziert.

„Am Anfang haben wir zuweilen ein wenig den kirchlichen Betrieb gestört“, bekennt der Intendant (und stellvertretende Leiter des städtischen Kulturbüros) des Festivals, Klaus Stemmler. Über die Jahre ist aber eine enge und fruchtbare Zusammenarbeit entstanden. Der Grund dafür ist einfach und könnte genauso aus dem Mund eines Geistlichen stammen: „weil wir den Kontakt zu den Menschen halten“ (Stemmler). Die Stadt versteht das Festival als „Imageträger“, Stemmler macht im Interview neugierig auf einen Besuch der Stadt und des Festivals, das keine Grenzen zu kennen scheint und jedermann und jederfrau mit ihren religiösen Bedürfnissen einzubinden versucht. Eine Marke („Europäische Kirchenmusik“) zu ändern, kommt für Stemmler nicht infrage. Im Laufe der mittlerweile 36. Festivaljahre hat sich für ihn aber der Kirchenmusikbegriff erheblich geweitet – Jenkins mag ein klingendes Beispiel hierfür sein.

In seiner Laudatio will sich Matt dem Menschen Karl Jenkins nähern. Dass Jenkins‘ Werke zu den meistgespielten Kirchenmusikwerken der Gegenwart und zum ständigen Repertoire vieler Kirchenchöre weltweit gehören, erwähnt er nur kurz. Den vielgestaltigen Lebenslauf von Jenkins muss man an anderem Orte nachlesen.

Der Musiker Jenkins

„Wir alle stehen auf den Schultern derjenigen, die vor uns da waren“, sagt Jenkins. In der klassischen Musik haben Bach, Mozart und Beethoven, vor allem aber Gustav Mahler und Richard Strauss stark geprägt. Als es im Studium immer wieder um atonale Musik ging, zu der er ein recht gespaltenes Verhältnis hatte, entschloss er sich, mehr Zeit zum Spielen von Jazz zu widmen und andere Strömungen der sogenannten „Weltmusik“ kennenzulernen. Irgendwo da hat er seine musikalische Heimat gefunden, so Matt: „Musik als universelle Sprache, die international verständlich ist, Grenzen überschreitet und durch seine leicht zu merkenden Melodien, die Menschen tief in ihren Herzen berührt“.

In der Coronazeit sprach Matt Jenkins an mit der Frage, ob er für ihn ein Werk zum Thema „Frieden und die Schöpfung einer neuen Welt“ schreiben könne. „Ab diesem Moment“ so Matt, „ging alles ganz schnell. Wir haben Texte, Themen und Ideen ausgetauscht. Jeden Monat habe ich einen neuen Satz als komplette Partitur bekommen. Es war unglaublich faszinierend, mit welcher Kreativität und Geschwindigkeit aus den Texten Musik wurde. Er sprudelte vor Einfällen über. Kein Satz glich dem anderen. Eine musikalische Reise in eine neue Welt, derer man sich nicht entziehen konnte.“

Ohne nachzudenken, so berichtet Matt, hat der „Mensch Karl“ auf die Frage nach dem Wichtigsten im Leben geantwortet: „zuerst kommt meine Familie, dann die Musik“. Andererseits: „So wie er mit seiner Familie umgeht, so behandelt er auch seine Musiker*innen und Mitmenschen wie ein liebevoller und kümmernder Vater. Voller Liebe und Wertschätzung für jeden Einzelnen. Von ihm geht eine charismatische Ruhe aus, die gleichsam hinreißt und tiefes Vertrauen zu seiner Person schenkt. Sein Verhältnis zum Glauben und den verschiedenen Weltreligionen ist genauso universell wie seine Musik. Er versteht sich als Friedensstifter, der die Menschen durch seine Musik zusammenbringt und vereint.“

Noch einmal die Eingangsfrage von Matt: „Was wäre, wenn alle Menschen auf diesem Planeten dieselbe Sprache sprechen? Sich verstehen, respektieren, einander verzeihen und füreinander da sind. Frei von egoistischen Motiven wie Neid, Missgunst und Machtbesessenheit. Wo die Nächstenliebe wieder als fester Bestandteil der Gesellschaft verankert ist.“ Jenkins antwortet darauf im letzten Satz von „One world“: „Be as one, one for all, love and truth, love and peace“ (Seid eins, einer für alle, mit Liebe und Wahrheit, mit Liebe und Frieden.).

Klänge:

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