Vor einem Jahr hat die 29-stündige Performance unter dem Titel „The Long Now“ eine Punktlandung hingelegt. Es war ein musikalisches Mysterium bei dem vor allem das Number-Piece „58“ von John Cage. Und damals schrieb ich: Hier fühle sich jede Musik wohl. Ein Jahr später ist das etwas zu revidieren.
Ein großer Teil der 29 Stunden wird mit liveelektronischer Musik bestückt, es wird live gemixt und über Klanggeber in den Raum gespielt. Dazu entsprechend das Licht. Die Stimmung sitzt wie die Frisur. Man hat Drall, man hat Ruhe im Lärm. Der Raum wird klang, wenn man es so pathetisch ausdrücken will. Man befindet sich Grenzbereich zwischen akustischer Kunst und electronic beats. Eine Art Daueruraufführung mit Anspruch – in einem beeindruckenden Gebäude eines entkernten Kraftwerks. Stahlbeton das Gerüst, Stahlbeton aber nicht das Gefühl. Der Raum oszilliert zwischen Kälte und Wärme. Die Raumhöhe ist von kathedralischen Dimensionen, nur dass man hier auch noch auf verschiedenen Ebenen agieren kann.
Ein Raum für jede Musik, die einen solchen Raum zu füllen vermag. Oder explizit mit dem Raum als Gegenstand der musikalischen Produktion arbeitet, mit den akustischen Eigenschaften dieses Raumes. So bei dem Auftritt von Alvin Lucier und seinem Stück „I am sitting in a room“ aus dem Jahr 1969/70. Lucier selbst liest einen kurzen Text, der aufgenommen und danach wiedergegeben wird, und das in einer längeren Wiederholungsschleife. Immer mehr reduziert sich dabei der Text auf einzelne Klänge. Der Wortsinn geht verloren.
Für den akustischen Prozess spielt dabei der Raum eine gewisse Rolle. „I am sitting in a room“ – was für ein interessantes Sinnbild, wenn man den älteren Mann auf seinem Stuhl sitzen sieht, in diesem „Raum“ – hinter und über ihm das neonrote Rechteck als Zeichen der Berliner Festspiele. Andacht im Klang.
Darauf folgte „Graindelavoix“: And Underneath The Everlasting Arms – Polyphony for a Better Sleep. Eine Art Chortheater, im Raum vor der Bühne. Man gab Werke von Alexander Agricola, Josquin Desprez, Ludwig Senfl, Alessandro Coppini, Jakob Obrecht, Antoine Divitis, Nicolas Gombert, John Sheppard, Orlando di Lasso & Samuel Beckett – so steht es jedenfalls im Programm. Gühbirnen stehen dabei vereinzelt im Raum oder hängen von Galgen. Sie wirken bei den warmgekleideten Sängern und Sängerinnen wie kleine Feuer um die man sich kollektiv versammelt. Hier singen sie ältere Werke der Chorliteratur. Davon jedoch bekommt man, wenn man schon mehr als 10 Meter entfernt positioniert ist, kaum etwas mit. Und so lässt sich darüber nur sagen, dass hier und in diesem Fall der Raum unbarmherzig zurückschlägt. Wenn dann noch im Nebengebäude, in dem der „Tresor“ (Club) untergebracht ist, die Bässe selbst durch diese Stahlbetonwände dringen und dabei ins unbestimmt Dumpfe diffundieren, ist das dieser filigranen Gesangskunst leider nicht zuträglich.
Dann schon lieber wieder „Live Electronics“. In letzten Jahr hat übrigens auch der Klavierklang gut getragen, auf dem manches Stück von Morton Feldman das Kraftwerk beseelte.
Letztes Jahr durfte man auch das Publikum sehr loben, auch in diesem Jahr war es konzentriert dabei. Aber ein bisschen weniger rücksichtsvoll. Überhaupt ist das Umhertragen und Platzbeherrschen der Liegen eine sportliche Sache und eine Unbeweglichkeit evozierende. Vom Vollstellen zum ästhetischen Zugangsverstellen ist es da kein übergroßer Schritt mehr.
Viel Publikum zum Abschluss der Maerzmusik 2017 – Decolonizing Time durch The Long Now? Schwer zu sagen.