Es geht hoch her auf der Bühne des Göttinger Theaters. Im luxuriösen Spielkasino, in Salons mit verborgenen Tapetentüren, aber auch in den Heizungskellern der Behausung einer feinen Sippschaft, die fast durchgängig nicht richtig tickt. Oder höchstens so, als wären sie alle gerade aus den einstigen TV-Serien „Dallas“ oder „Denverclan“ entsprungen. Pistole oder Dolch sind immer griffbereit. Oder ein Glas Sekt in Frauenhand, um den Inhalt einem zudringlichen Kerl ins Gesicht zu schütten.
Was auch bedeutet, dass die Damen in schicken Kleidern stecken und bei den Herren eher Smoking angesagt ist. Wenn sie nicht gerade in Kampfanzügen um die Macht, ihre Liebe oder ihr Leben kämpfen (wie der Titelheld Faramondo) oder wie ein ausgeflippter Popstar auftauchen wie ein gewisser Gernando, der seines Zeichens ein Schwabenkönig ist und dieselbe Frau liebt, wie Faramondo.
Regisseur Paul Curran und sein Ausstatter Gary McCann gehen zum Glück mit den Sehgewohnheiten und Bildern von heute an die extrem verworrene Geschichte aus dem frühen Frankreich heran. Sie lassen die Libretto-Zugehörigkeit des adligen und vor allem rachedurstigen Personals zu den Stämmen der Kimbern, Franken und Schwaben beiseite und zeigen uns einen wiedererkennbaren Kampf: Um die Macht, um auflodernde, verbotene Liebe zu Vertretern des jeweils feindlichen Lagers. Eskalierenden Edelmut bis zum Abwinken – hauptsächlich beim Titelhelden Faramondo. Vasallentreue und Verrat. Und immer ein genau zum rechten Zeitpunkt auftauchendes Briefchen, um am Ende dann doch das für die obligatorische lieto fine, herbei zu zwingen. Nach äußerst kurzweiligen vier Stunden sind sie alle an der Rampe vereint und preisen die Tugend, die das Gemüt stark macht und über Hass und Liebe siegt …
Händel hat seinen „Faramondo“ Ende 1737 in Rekordgeschwindigkeit quasi aus dem Ärmel geschüttelt. Er wollte es noch mal reißen und sich dem Abwärtstrend bei Londoner Publikum in Sachen italienischer Oper entgegenstellen. Anfang November begann er mit der Komposition und bereits am 3. Januar ging der Vorhang für die Uraufführung hoch! Dazwischen hat er sogar mal eben noch einen Auftrag des Hofes für eine Begräbnismusik erfüllt. Mag sein, dass er sich bei der Vertonung von Apostolos Zenos Libretto auch von schon vorhandenen Vorbildern von Komponistenkollegen inspirieren ließ. Aber was macht das schon. Rausgekommen ist jedenfalls ein Arienfeuerwerk vom Feinsten! Die exzellenten Protagonisten nutzen jede Chance, die der Meister ihnen bietet, um zu punkten. Ein paar Arien sind auch elegisch und fürs Innehalten ganz gut. Aber meistens geht die Post ab, bleibt es auch beim Reflektieren über die gerade vorherrschende Gefühlslage geradezu dramatisch, auch wenn die eigentliche Handlung in den knapp gehaltenen Rezitativen vorangetrieben wird. Zudem gibt es zwei wunderschöne Liebesduette zwischen den beiden Paaren, denen es die ganze Oper über so schwer gemacht wird, zueinander zu finden.
Von Anfang an hinreißend ist der äußerst bewegliche, dabei zugleich so kraftvolle Mezzo, mit dem Emily Fons ihren Faramondo ausstattet. Nach den Regeln der Blutrache will Gustavo (Njal Sparbo) seinen Kopf, während der so bedrängte ausrechnet dessen Tochter Rosimonda (Anna Starushekevych) liebt (und bekommt). Auf die ist aber auch der Counter (Christopher Lowrey) scharf, der als leicht perversen Rockstar mit einer Obsession für Damen Dessous das ganze Beziehungsgeflecht noch mehr verkompliziert.
Auf der anderen Seite wiederum liebt Faramondos Schwester Clotilde (Anna Devin) verbotenerweise Gustavs Sprößling Adolfo (Maarten Entgeltes als zweiter eher lyrischer Counter). Für die finale Entwirrung und den großen Friedensschluss braucht man noch die beiden kleinen Rollen des Teobaldo (Eward Grint), der am Ende beinahe das Bauernopfer wird, aber durch den Ausbruch des großen Verzeihens seinen Hals rettet, und die des Childerino (Iryna Dziashko), der sich als eigentlicher Königssohn entpuppt, womit der Grund für das ganze Rachedrama obsolet wird.
Wenn es doch nur immer so einfach wäre. Nicht die Handlung, sondern die Lösung versteht sich. Aber die Verwirrung macht im Grunde gar nichts. Durch die Inszenierung (die Übertitel und ein raffiniertes Beziehungspiktogramm im Programmheft) ist man zumindest immer grob im Bilde, worum es gerade geht. Durch die Musik sowieso. Es ist einfach hinreißend wie der Festspielchef Laurence Cummings im Graben mit dem FestspielOrchester Göttingen im Graben zaubert. Dieses Orchester, zu dem sich Barockspezialisten aus dem ganzen Land auf (Festpiel)Zeit zusammenfinden, gehört zum Besten, was die Szene zu bieten hat. So frisch und scheinbar leichthändig mit Verve und sensibler Einfühlung ins Melodische musiziert, zündet Händel allemal. (Am 9. Juni, wird das FestspielOrchester Göttingen übrigens in Halle bei Händelfestspielen unter Laurence Cummings mit Werke von C. Ph. E. Bach, J. Ch. Bach und G. F. Händel in der Marktkirche gastieren!) Laurence Cummings und der geschäftsführende Intendant der Händelfestsspiele Tobias Wolff haben bei der Entscheidung für den selten gespielten Faramondo und bei der Auswahl der Sängercrew und des Regieteams ein ausgesprochen glückliches Händchen gehabt. Der Jubel des Premierenpublikums gab ihnen Recht. Und „Faramondo“ hat gute Chancen, auf der Hitliste der Händelopern deutlich nach oben zu rücken! Für die bald beginnenden Festspiele in Halle liegt die Vergleichslatte in Sachen Opernproduktion damit ziemlich hoch.