Im dritten Teil seiner Konzertreihe „Rencontres“ traf das Zafraan Ensemble in der Berliner Musikbrauerei auf das Kammerensemble Neue Musik Berlin. Ergebnis war ein musikalischer Abend aus einem Guss.
Aufgrund vieler spannender Projekte gehört das Zafraan Ensemble derzeit zu den aufregendsten Akteuren der zeitgenössischen Musikszene Berlins. Essentieller Teil ihrer ist für die Ensemblemitglieder die Idee des musikalischen Austauschs, wobei sich das Interesse an der Zusammenarbeit einerseits – wie beim jüngst beendeten, zweiteiligen „Match Cut Festival“ – auf Vertreterinnen und Vertreter alternativer musikalischer Genres, andererseits aber auch auf Formationen aus der Neue-Musik-Szene richtet. Paradigmatisch für Letzteres war die dreiteilige, im Sommer 2019 gestartete Konzertreihe „Rencontres“, die vergangenen Dienstag mit einem Konzert in der Musikbrauerei am Prenzlauer Berg endete und um die Zusammenarbeit mit drei etablierten Klangkörpern – den Ensembles L’Itinéraire und Court-Circuit aus Paris sowie dem Kammerensemble Neue Musik Berlin – kreiste. Mit jedem dieser Ensembles wurde im Laufe der zurückliegenden Monate ein gemeinsames Programm erarbeitet und in insgesamt sieben Konzerten in Berlin, Stuttgart, Hamburg und Paris dem Publikum präsentiert.
Zentral für die Zusammenarbeit waren zwei Vorgaben: Erstens wurden sämtliche Aufführungen mit gemischten Besetzungen aus Musiker*innen von Zafraan und dem jeweiligen Partner-Ensemble bestritten; und zweitens wurden die Konzertprogramme gezielt unter Rückgriff auf Werke gestaltet, die einer der teilnehmenden Seiten bereits durch intensive Beschäftigung vertraut waren, für die andere hingegen noch musikalisches Neuland bildeten. Dank dieser Ausgangsbedingungen wurden die unterschiedlichen Charakteristika der jeweils aufeinander treffenden Ensemblekulturen – greifbar etwa in der Arbeitsweise, in den Eigenheiten des Ensembleklangs oder in bestimmten ästhetischen Schwerpunktsetzungen – explizit thematisiert und zum Gegenstand der Auseinandersetzung gemacht.
Zwei Berliner Ensembles
Nach dem gemeinsam mit dem Ensemble L’Itinéraire bestrittenen Auftakt im Juli (Leitung: Léo Margue) und der Begegnung mit dem Ensemble Court-Circuit im Dezember (Leitung: Pierre-André Valade) kam es nun abschließend unter Leitung von Victor Aviat zum Aufeinandertreffen zweier Berliner Klangkörper, die aufgrund ihrer je individuellen Geschichte verschiedenen Generationen zuzurechnen sind: Während das 1988 von Studenten der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ im damaligen Ostteil der Stadt gegründete Ensemble KNM Berlin auf mehr als 30 Dienstjahre zurückblicken kann und mittlerweile durch neue Mitglieder verjüngt wurde, gehört das 2009 gegründete Zafraan Ensemble in den Umkreis jener Formationen, die sich während des vergangenen Jahrzehnts in den Fokus nationaler und mittlerweile auch internationaler Aufmerksamkeit spielen konnten. Was beide Klangkörper jenseits ihrer Verwurzelung in der bundesdeutschen Hauptstadt vereint, ist die Affinität zur zeitgenössischen französischen Musik, die sich zumindest an zwei Stellen auch in der Programmwahl niederschlug.
So wurde der Abend mit der Komposition „Teeter-Totter“ (2008) des in Frankreich lebenden Griechen Georges Aperghis (*1945) eröffnet. Im Mittelpunkt des Stückes steht das Wechselspiel unterschiedlicher klanglich-energetischer Zustände, das auf die Gewinnung musikalischen Ausgleich zustrebt, um sich gleich wieder davon weg zu bewegen. Besonders gut gelangen dabei die Übergänge zwischen dichteren Passagen, die unter Einbeziehung eines auch räumlich wahrnehmbaren Gegenübers gleicher Instrumente komponiert sind, und den nachfolgenden Phasen der Beruhigung, in denen die Instrumentalfarben weitaus stärker miteinander verschmolzen. Das Ensemblestück „Soma oder Die Lust am Fallenlassen“ (2015) von Stefan Keller (*1974) spürte demgegenüber der Körperlichkeit des musikalischen Erlebens nach: Ausgehend von sukzessive entwickelnden Rhythmusveränderungen im extrem herausfordernden Schlagzeugpart nutzt der Komponist die vielfältigen harmonischen und melodischen Möglichkeiten der übrigen Instrumente zur Gestaltung fließender Übergänge zwischen verschiedenen Rhythmusmodellen. Die Interpretation lebte von der enormen Wandlungsfähigkeit der Musiker*innen, die einerseits die komplexe Rhythmik der Ensemble-Unisoni in ungemein präzisem Zusammenspiel darboten, während sie andererseits die rhythmisch freieren, von engräumigen Glissando-Bewegungen durchzogenen Passagen zu Erlebnisräumen voller miteinander verwobener Farbstränge formten.
Farbige Ensemblelandschaften
Noch eindrücklicher demonstrierten die beiden groß besetzten Kompositionen der zweiten Konzerthälfte – beides deutsche Erstaufführungen – die Leistungsfähigkeit der Ensemblebegegnung. Die Komposition „à Moscou“ (2018) von Johannes Schöllhorn (*1962) erwies sich als zartes, vorwiegend leises Stück aus aufeinander folgenden, unterschiedlich abgetönten Farbflächen, in das der Komponist immer wieder melodische Konturen und Gestalten versenkt hat. Die konzentrierte, dynamisch differenzierte Wiedergabe des permanenten Spiels mit Fläche und Linie bzw. Vorder- und Hintergrund gehörte zu den Höhepunkten des Abends und wurde höchsten noch von der sinnlichen Interpretation übertroffen, die man dem Ensemblestück „Yet“ (2002) von Christophe Bertrand (1981–2010) angedeihen ließ: Auch hier dominierten Farbenwerte, die jedoch aufgrund agiler, durch den Tonraum wandernder Figurationen weit mehr Plastizität entfalteten als im Falle von Schöllhorns flächiger Komposition.
Insgesamt, so bleibt angesichts solcher Ergebnisse festzuhalten, hat sich auch im dritten und letzten Teil der „Rencontres“-Reihe der Gedanke ausgezahlt, das Konzertprogramm auf dem gemeinsamen musikalischen Erfahrungsschatz zweier Klangkörper aufzubauen. Man darf durchaus gespannt sein, mit welchen Ideen das Zafraan Ensemble in Zukunft bei seinen Projekten aufwartet.