Dass sich der Konzert- und Opernbetrieb in Deutschland zur Zeit in einer misslichen Lage befindet, kann man bereits als Gemeinplatz bezeichnen. Kurz umrissen: Die Zahl der Konzertbesucher im klassischen Bereich ist im Durchschnitt gesunken und wird unter anderem bei weiterer pekuniärer Abschöpfung durch den Staat weiter absinken. Auch das stark angestiegene Durchschnittsalter der Konzert- und Opernbesucher kann man nicht so ohne weiteres mit Hinweis auf die sich verändernde Altersstruktur unserer Bevölkerung abtun. Sparzwang, Tarif- steigerungen, Missmanagement und Festhalten an künstlerischem Individualismus sind einige von vielen weiteren Schlagworten, welche die Misslichkeit der derzeitigen Situation noch näher beleuchten.
Hinzu kommt die sachbezogene Auseinandersetzung mit unserem musikalischen Kulturgut: Im Medienzeitalter ist alles speicherbar, dazu zeitlich und örtlich de facto ungebunden abrufbar. Fernab der Wissensfilterung vergangener Jahrhunderte gilt es daher, aus der steigenden Fülle des Vorhandenen Wertvolles zu erkennen und zu vermitteln. Dass dies in der Erziehung im Rahmen des Enkulturationsprozesses möglichst frühzeitig und dabei altersgerecht erfolgen muss, ist eine verständliche, lange schon existierende Forderung der Pädagogik.
Mit dem Ziel, Kinder auf neue Art an die klassische Musik heranzuführen und für Konzerte und Live-Musik zu begeistern, hat daher die amerikanische Geigerin Monique Mead unter der Bezeichnung „‚Sprachlos…‘ – Musik braucht keine Worte“ ein außergewöhnlich durchdachtes Projekt entwickelt. Das Münchener Rundfunkorchester (MRO) weitet dadurch im Zusammenwirken mit der Geigerin gleichzeitig sein Konzept der Kinderkonzerte wesentlich aus und hat seinerseits das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus als Partner gewinnen können.
Als erstes und einziges Pilotprojekt außerhalb Münchens wird „‚Sprachlos…‘ – Musik braucht keine Worte“ von März bis Mai 2003 in Kempten (Allgäu) in Zusammenarbeit der Staatlichen Schulämter in der Stadt Kempten und im Landkreis Oberallgäu mit dem Tonkünstler-Regionalverband Allgäu (Mitglied im Deutschen Tonkünstlerverband) durchgeführt.
Das pädagogische Konzept besteht aus drei Säulen, die miteinander auf verschiedenen Ebenen verbunden sind: Lehrerfortbildungen, Workshops und Konzerte. Angesprochen werden Grundschulkinder ab acht Jahren und deren Eltern. Folgender Ablauf ist dabei vorgesehen:
Die Fortbildungsveranstaltungen für die teilnehmenden Lehrkräfte finden im März ganztägig in München statt, wobei die Verteilung auf drei Termine dafür sorgt, dass es in dieser Zeit zu keinem Unterrichtsausfall kommt. Monique Mead bietet den beteiligten Lehrkräften Hilfen für eine motivierende und fächerübergreifende Vorbereitung der Kinderkonzerte. Zielgruppe sind nicht nur Musiklehrkräfte, sondern auch Klassenlehrkräfte, die Musik fachfremd unterrichten. Alle Lehrkräfte erhalten Unterrichtsmaterialien und eine CD mit dem beabsichtigten Konzertprogramm. Damit die konzeptionelle Verbindung gewährleistet wird, sind die Fortbildungen nicht nur ein Teil des Projekts, sondern Voraussetzung für die Teilnahme am Gesamtprojekt.
Während einer Schulwoche Anfang Mai werden die teilnehmenden Schulklassen von Monique Mead und von eigens dafür geschulten Mitgliedern des MRO besucht. Über die Inhalte dieser Schulworkshops hinaus sollen die Kinder eine Beziehung zu „ihrem“ Musiker aufbauen, den sie im Konzert wieder sehen werden. Gleichzeitig werden die interaktiven Teile des Konzerts in der Klasse aktiv vorbereitet. Übersichtliche Gruppengrößen sorgen für eine intensive Arbeitsatmosphäre und den gewünschten persönlichen Kontakt.
Die beiden abschließenden, etwa einstündigen Familienkonzerte mit Monique Mead und dem Münchener Rundfunkorchester finden im Stadttheater Kempten statt. Dazu werden die Kinder mit ihren Eltern und Lehrerinnen und Lehrern eingeladen.
Als Solistin und Moderatorin tritt Monique Mead auf. Zusätzlich „moderiert“ der bekannte Pantomime Nemo. Das Konzertprogramm bietet Ausschnitte aus Werken von L. Bernstein („Turkey Trot“), J. Brahms (Ausschnitte aus dem 1. Satz der „Sinfonie Nr. 4“), Ch. Ives („The Unanswered Question“), W. A. Mozart (Presto aus der „Sinfonia Concertante“), G. Rossini („Katzenduett“), S. Ochs (Variationen auf „...’s kommt ein Vogel geflogen“), J. Horner („My heart will go on“ zum Mitspielen!), J. Horner („Suite from Titanic“ für Orchester) und L. Anderson („The Typewriter“).
In das Konzert, das vom Bayeri- schen Rundfunk aufgenommen wird, werden die Kinder aktiv miteinbezogen. Außerdem beteiligt sich inhaltlich auch die Kemptener Sing- und Musikschule. Während des Konzerts können die Kinder an einem Preisrätsel teilnehmen, das sich auf die Inhalte des Konzertes bezieht.
Das Interesse der Lehrkräfte hat sich als gewaltig erwiesen und zeugt von der Einzigartigkeit dieses Projekts. Zur Informationsveranstaltung liegen Meldungen von etwa 70 Lehrkräften aus dem Bereich der Staatlichen Schulämter in der Stadt Kempten und im Landkreis Oberallgäu vor. Der Deutsche Tonkünstlerverband ist auch insofern eingebunden, als er in Frau Gisela Helm, der Vorsitzenden des Regionalverbandes Allgäu, eine zielstrebige, engagierte Initiatorin und Mitstreiterin für dieses Projekt gefunden hat, der größter Dank und Anerkennung ausgesprochen werden muss.
Angedacht ist bereits, dieses Projekt über den Lehrstuhl für Musik/Musikpädagogik beziehungsweise das neu gegründete Zentrum für Lehrerbildung der Universität Passau nach Niederbayern zu bringen.