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Nach innen gesungen

Untertitel
Wolfgang Rihms neues Bratschen-Konzert
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Dreimal im Jahr treffen sich die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie zu intensiven Probenphasen, wechselnd an verschiedenen Orten. Im Frühjahr zieht es sie meist in das idyllische Ochsenhausen. Die Musikalische Landesakademie Baden-Württemberg als Gastgeber residiert dort in der imposanten barocken Klosteranlage, deren vielgestaltige Räumlichkeiten für Proben, Konzerte sowie Unterbringung ideale Bedingungen bieten. Das jetzige Programm des Orchesters, von Hans Zender einstudiert und in einem Vorkonzert in Ochsenhausen dirigiert, präsentiert sich dramaturgisch überlegt, anspruchsvoll und in der Ausführung bemerkenswert souverän: Zwei Werke von Schubert, die „Rosamunden“-Ouvertüre und die „Unvollendete“, umschließen die Uraufführung des 2. Bratschenkonzerts von Wolfgang Rihm und Hans Zenders bedeutende „Bardo“-Komposition. Von Ochsenhausen ging die sich anschließende Tournee nach Budapest, danach nach München, Berlin, Hamburg, Witten und Frankfurt am Main, wo sie am 14. April 2002 endet.

Dreimal im Jahr treffen sich die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie zu intensiven Probenphasen, wechselnd an verschiedenen Orten. Im Frühjahr zieht es sie meist in das idyllische Ochsenhausen. Die Musikalische Landesakademie Baden-Württemberg als Gastgeber residiert dort in der imposanten barocken Klosteranlage, deren vielgestaltige Räumlichkeiten für Proben, Konzerte sowie Unterbringung ideale Bedingungen bieten. Das jetzige Programm des Orchesters, von Hans Zender einstudiert und in einem Vorkonzert in Ochsenhausen dirigiert, präsentiert sich dramaturgisch überlegt, anspruchsvoll und in der Ausführung bemerkenswert souverän: Zwei Werke von Schubert, die „Rosamunden“-Ouvertüre und die „Unvollendete“, umschließen die Uraufführung des 2. Bratschenkonzerts von Wolfgang Rihm und Hans Zenders bedeutende „Bardo“-Komposition. Von Ochsenhausen ging die sich anschließende Tournee nach Budapest, danach nach München, Berlin, Hamburg, Witten und Frankfurt am Main, wo sie am 14. April 2002 endet.Im Mittelpunkt des Interesses stand – natürlich möchte man sagen, weil es eine Uraufführung war – das neue, das 2. Bratschenkonzert von Wolfgang Rihm, im Untertitel mit „Über die Linie IV“ bezeichnet, von der Jungen Deutschen Philharmonie als Auftrag an Rihm vergeben und vom Komponisten der Viola-Spielerin Tabea Zimmermann dediziert.

Wolfgang Rihm, nicht nur als Komponist, auch als Essayist, kritischer Kommentator und fantasievoller Briefeschreiber höchst talentiert, schrieb Tabea Zimmermann zur Überreichung der Komposition einige wunderschön zu lesende, weil den Gegenstand präzis treffende Sätze, die hier, weil es anders kaum besser und anschaulicher zu beschreiben ist, wörtlich zitiert seien. Rihm schreibt also in einem Brief an Tabea Zimmermann über sein Werk: „Da ist es nun. Wieder nichts Paganinieskes. Aber ich hoffe natürlich: etwas Gutes. Innerer Monolog von Anfang bis zum Schluss. Vorgestern hörte ich im Radio: Dich die B.A. Zimmermann-Sonate spielen – und war sehr angerührt. Da will man bestehen können. Dieser Reife und Meisterschaft sei diese Intimissimo-Kammermusik anvertraut... Alles ist eben Linie, geschabt wird nirgends, gesungen immer. Meine alte Idee des gesanglichen Konzertes, der ‚Instrumentalkantate‘, lässt mich nicht los. Das wird seine Gründe haben...“ Was für Gründe aber? Innerer Monolog, gesangliches Konzert – Rihm formuliert selbst die Stichworte. Sprache verwandelt sich in Musik, die Musik sagt, was Worte allein nicht vermögen. Die Musik „spricht“ mit ihren ureigensten Ausdrucksmitteln, mit Tönen und Klängen, rhythmischen Akzenten, weit gespannten melodiegesättigten Lineaments, wendet dabei den Ausdruck immer wieder nach innen, ins gleichsam Unerhörte, Noch-nicht-Gesprochene, das nun versucht, im Pianissimo-Hauch sich auf das Zarteste zu artikulieren. In diesen Augenblicken offenbart auch Tabea Zimmermann ihre überwältigende Meisterschaft: Man könnte den Eindruck gewinnen, sie berühre die Saiten ihres Instruments gar nicht mit dem Bogen, erzeuge nur einen leisen doch nachdrücklichen Lufthauch, der die Saiten in klingende Schwingungen versetzt
Dann aber bricht, quasi den Pianissimo-Gestus der Musik unterbrechend, die kraftvolle Rihm-Rede in das intime Gespräch ein: eine Art Wechselrede zwischen Solo-Instrument und Orchester, rhythmisch heftig gezackt in einem kurzen Motiv, blitzschnell wechselnd zwischen Piano und Fortissimo, faszinierend dicht in der kompositorischen Struktur. Doch selbst in solchen Verdichtungen bewahrt die Musik des 2. Bratschenkonzerts ihre klangliche Formung, eine Schönheit des musikalischen „Sprechens“, der nichts Anrüchig-Romantisches anhaftet, auch nicht in Momenten, die von fern an Alban Berg denken lassen oder – mehr als kleiner Scherz – an Rossini, wenn gleich zur Eröffnung das Geräusch einer kleinen Trommel (Anmerkung in der Partitur: „Unwirklich, nicht fassbar, nicht ortbar“) an Ouvertüren-Auftakte des italienischen Opernkomponisten erinnert: Auch dort, wenn richtig gespielt, Momente des Abwartenden, Lauernden: Man weiß nicht so recht, was gleich danach kommen wird.
Dass Rihm an einer kurzen, leisen Stelle ein bekanntes Kinderlied durch die Solo-Bratsche „zitieren“ lässt, mag einer privaten Obsession entspringen: Eine Variation – vielleicht – des „Andenkens an einen Engel“ aus Bergs Violinkonzert?

Hans Zender hatte, assistiert vom Dirigenten David Coleman (dieser wird auf der Tournee einige der Konzerte übernehmen), Rihms Partitur mit der Jungen Deutschen Philharmonie intensiv probiert, das Ergebnis nötigt mehr als nur Respekt ab. Auf der Konzertreise wird sicher noch der letzte Rest an Gelöstheit hinzukommen, der die „Klangrede“ noch plastischer und beweglicher hervortreten lässt. Aber die jungen Musiker können sich das alles ja von einem imponierenden Vorbild ablesen, das leibhaftig vor ihnen agiert: Tabea Zimmermanns Adaption des Solo-Parts geriet schon im Vorkonzert schlechthin vorbildhaft und bannend: Für die Bratschisten in aller Musikwelt steht mit Rihms „Zweitem“ eine neue, große und lohnende Herausforderung bereit.

Mit Schuberts Siebter Sinfonie in h-Moll, der „Unvollendeten“, offenbarte sich, wie überlegt die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie ihre Programme in eigener Zuständigkeit „komponieren“ (wobei sicher im einen oder anderen Fall und vielleicht auch hier der Dirigent beratend zur Seite steht). Ausdiskutiert und letztlich überflüssig ist die Frage nach dem Grund der Nicht-Vollendung der Sinfonie: Diese Betrachtung nähert sich dem bloßen Formalismus, orientiert sich am viersätzigen klassischen Sinfonieschema eines Beethoven. Der düstere Mystizismus, der sich durch bedeutungsschwere, oft verquaste Interpretationen über Schuberts Sinfonie gelegt hat, mag diesen retrospektiven Aspekt zusätzlich verstärkt haben. In neuerer Zeit aber änderte sich der Blick auf die „Unvollendete“. Ohne sklavisch den „Entdeckungen“ des Musikforschers Arnold Schering zu folgen, der schon in den 1930er-Jahren formale und thematische Übereinstimmungen zwischen einer sehr persönlichen, quasi autobiografischen Erzählung des Komponisten (über dessen problematisches Verhältnis zu seinem Vater) und dem Aufbau und emotionalen Gehalt der beiden Sinfoniesätze darlegte, lässt sich in der komponierten Gestik der Sinfonie, ihren Pausen, assoziativen Einsprengseln, in der emotionalen Bewegtheit ein hohes Maß an „Sprachcharakter“ feststellen. Sie „erzählt“ in ihrem Gesang etwas von inneren Zuständen, von seelischer Verzweiflung und Not, doch stets in einem symphonisch-fließenden Sprech-duktus, der auch in Momenten des Stockens, des „Pausierens“ nicht unterbrochen erscheint, wenn ein Dirigent sich nicht aufgesetzter Gefühlsschwermut hingibt. Dieser Sprach-Charakter der Sinfonie trat in Zenders Darstellung mit der Jungen Deutschen Philharmonie plastisch hervor, ohne dass dabei über klangliche oder strukturelle Profile flott hinwegmusiziert wurde, im Gegenteil: die gern ins Raunend-Melancholische abschweifende „Unvollendete“ präsentierte sich hier als ein sozusagen „feuerfestes“ Stück symphonischer Musik von hoher Beredtheit.

In dem so geschwungenen Bogen von Rihms Bratschenkonzert zu Schuberts Sinfonie, zwei nach innen zielenden „Sprach-Gesängen“, fügte sich mit einer eigenen „Ton-Sprache“ Hans Zenders „Bardo“-Komposition für Violoncello und Orchester nahtlos ein. Zender, Komponist, Dirigent und guter Kommentator in Personalunion, empfängt im Fernöstlichen immer wieder Impulse für sein Komponieren. „Bardo“ bedeutet im Tibetanischen „zwischen“. „Zwischen“ Solo-Instrument und Orchester-Tutti entsteht in zweimal fünf Abschnitten ein lebhaftes Korrespondieren. „Zwischen“ einem Vierteltonintervall „pendelt“ auch die Harmonik mit Einzeltönen und Akkordketten, schließlich gehört es zu den Phänomenen von Musik, jeweils „zwischen ihrem Anfang und Ende gleichsam ausgespannt zu sein“. Zender entdeckte darüber hinaus aber auch noch Anschaulicheres: Ein „Tibetanisches Totenbuch“ (Originalname: Bardo Tödrol), das in beseligenden und schreckhaften Bildern den Weg der Gestorbenen in einem „Zwischenreich“ schildert, eine Art Danteskes Purgatorium. Zender bekennt, dass diese Totenbuch-Bilder ihn bei der Komposition begleitet haben, vor seinem „Bewusstsein“ standen. Etwas von der Bild- und Sprachkraft dieses „Totenbuchs“ findet sich in der Musik von „Bardo“ wieder, nicht als Illustrierung, sondern als eigenständiger, in Musik übersetzter Ausdruck, der „zwischen“ Innensicht und Außenwirkung zu wechseln scheint. Eine Musik von großer innerer Kraft und Energie, Klangfantasie und sprechender Expression. Der Solist Gustav Rivinius, mit einem Rundbogen „bewaffnet“, der das gleichzeitige Bestreichen aller Saiten gestattet, leistete schlicht Groß-artiges. Ebenso das Orchester unter Zenders authentischer, umsichtiger Direktion. Die Junge Deutsche Philharmonie darf dieses Frühjahrskonzert unter der Rubrik „Ereignishaft“ in die Orchestergeschichte eintragen.

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