Hauptbild
Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Foto: © Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath
Hauptrubrik
Banner Full-Size

„Nach Tristan“ – Diskurs Bayreuth lädt wieder in den Reichshof und hält, was er verspricht

Publikationsdatum
Body

Nach Tristan… Heißt das vielleicht, die Bewegung mit einem in die Jahre gekommen, aufeinander ein eingespieltem Paar nach einer Vorstellung von Wagners „Tristan und Isolde“? Wie am Tag nach der Eröffnungspremiere der Festspiele im Bayreuther Reichshof. Kann gut sein, wenn man Dagmar Manzel und Sylvester Groth so sieht. Der Spielort ist das alte Kino am Markt für die (nicht mehr ganz so) neue Reihe ‚Diskurs Bayreuth‘, mit der Festspielchefin Katharina Wagner den Dienst an den zehn gültigen Werken des Meisters oben auf dem Grünen Hügel, seit ein paar Jahren unten in der Stadt mit Veranstaltungen erweitert, die Werk und Leben ihres Urgroßvaters im weitesten Sinne reflektieren…

Oder meint der Titel mehr ein eingespieltes Paar, das in floskelhafter Sprachlosigkeit verharrt und jenes Paar aufgreift, das Regisseur Roland Schwab oben im Festspielhaus gerade in seiner Eröffnungsinszenierung von „Tristan und Isolde“ wie die Vertreter eines parallelen Universums seinen Protagonisten gegenüberstellt, die selbst in einem Universum leben, das wie das All entgrenzt ist oder vom Strudel der Leidenschaft erfasst wird und in einen Malstrom der Gefühle zu versinken droht?

Dagmar Manzel und Sylvester Groth folgen in einer aparten Melange aus Heiner Müller und Richard Wagner mit einem Schauspieler-‚Pas-des-deux‘ par excellence dem Weg, den ihnen Ingo Kerkhof vorgezeichnet hat. Im Programmheft ist ein Foto abgebildet, das die beiden 1981 in einer Szene des Debütfilms „Fronturlaub“ von Bernd Böhlich in einer ähnlichen Konstellation zeigt, wie jetzt live auf der Bühne. Sie sitzen schweigend am Tisch und löffeln eine Suppe. Es ist eine dezente aber hübsche Parallele zu Schwabs Liebespaar, das in drei Phasen des Lebens auftaucht und dem das Schlussbild nach dem Liebestod vorbehalten ist.

Mit Textversatzstücken aus Heiner Müllers „Quartett“, August Strindbergs „Totentanz“ und Richard Wagners „Tristan und Isolde“. Daraus steuert Felix Kroll mit seinem Akkordeon diverse Motive bei. Er imitiert sogar ein ganzes Orchester, von dem allerdings nur die Stühle und die Notenpulte der Musiker wirklich herumstehen. In einem atmosphärisch vom Zahn der Zeit angefressenen Raum von Ausstatterin Jessica Rockstroh. Mit einem Ledersofa und einem Esstisch, der auch fürs Kochen benutzt wird. Anfangs arbeitet Manzel an einer Kartoffelsuppe. Schälen, Schnippeln und Stampfen zu Tristan-Klängen. Ordentlich gesalzen und ein Becher Crème fraîche dran. Die beiden jedenfalls essen das am Ende  sogar brav.

Manzel beginnt mit einem allgemeinen Resignationgemurmel. Selbstgespräche. Sie zeigt freilich nicht nur, was sie als Küchenfee drauf hat, sondern auch als Sängerin, als Schauspielerin, als Komödiantin. Da taucht „Im Treibhaus“ aus den „Wesendonck-Liedern“ auf. Beim Duett mit Eduard Künnekes „Wie sind wir beide vornehm“, zu einem Text von Gustav Gründgens für die Oper „Liselott“, weht ein Hauch Komische-Oper-Glamour in den Reichshof. Sie funkelt als Teamplayerin und glänzt noch mehr, wenn sie sich im Spiel von Sylvester Groth spiegelt.

Die beiden liefern eine Art Endspiel, das eine wahre Freude ist. Dabei spielen sie sich und vor allem uns Heiner Müllers „Quartett“ vor; ja gleiten dort hinein. In einen Zustand, in dem Müller einen Salon vor der Französischen Revolution mit einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg in eins dachte. Und das alles am Küchentisch und im Dunstkreis der Tristanmusik.

Dass Heiner Müller hier zu Autorenehren kommt, hat einen besonderen Grund. Als er 1993 in Bayreuth selbst einen denkwürdigen Tristan inszenierte, kam ihm sein „Quartett“, das er nach Choderlos de Laclos’ Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ schon in den Achtzigern geschrieben hatte, plötzlich wie eine Fortsetzung des Wagneropus vor. Nach dem Motto, was wäre, wenn sie nicht gestorben wären, sich nicht nach dem Tod, sondern nach dem Leben gesehnt hätten. Um dann mit der Zeit zu jener Marquise de Merteuil und dem Comte de Valmont zu werden, die sich in der Dekadenz des Ancien Regime eingerichtet haben.

Die Hauptzutat für dieses 90minütige Abendessen ist schauspielerische Brillanz am Rande gelebten Lebens. Und ein Crescendo der Komödianten. Etwa wenn Er im Tutu eine Verführte gibt. Oder Sie am Boden eine Verröchelnde. Um dann wieder einfach nur am gedeckten Tisch zu sitzen. Äußerlich in verbissenem Schweigen. Innerlich jeder in einem Dauerclinch mit dem Anderen. Oder vielleicht doch nicht? Unbewusst? Höchste Lust?

Der Untertitel ist ein echter Heiner-Müller-Treffer: „Eine Reise aus der Vergangenheit rückwärts in die Gegenwart.“ Der Rest ist Kartoffelsuppe.

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!