Dass die Salzburger Festspiele ein Problem haben, ist nicht zu übersehen. Die Zeiten, in denen einem hartnäckige Fans mit „Suche Karte“ -Schildern in der Hofstallgasse oder vor dem Landestheater entgegen kamen, sind längst vorbei. Dieser Eindruck wird verstärkt, wenn man liest, wie Alexander Pereiras Expansionskurs die Festspiele und die Stadt zu überfordern beginnt. Besonders schmerzlich ist das, wenn man bspw. die freien Plätze beim Liederabend von Anja Harteros im Haus für Mozart registrieren muss.
Was überhaupt nichts mit Qualität zu tun hat, denn die Harteros ist auch als Liedsängerin eine der wirklich großen Könnerinnen ihres Faches weit und breit. Das hat eher mit dem weniger sympathischen Event-Charakter des Nobelfestivals zu tun, das eben auch eine Bühne für die Zuschauer ist. Und die wollen vor allem die in den Medien dauerpräsenten Top-Stars.
Was die Zuschauer wollen
Am liebsten immer so wie bei der „Trovatore“ Produktion, denn da zog die Starbesetzung! Die war nämlich lange ausverkauft und vielfach überbucht! Kein Wunder, denn Anna Netrebkos Aufstieg zum Weltstar begann genau hier vor 12 Jahren. Als Donna Anna schlug sie wie ein Stimmwunderblitz aus heiterem Himmel ein und stahl dem Don Giovanni Thomas Hampson quasi die Show. Sie kam dann nicht nur zurück, als Figaro-Susanna oder Traviata, sondern ließ während ihrer Beziehung zu dem smarten südamerikanischen Bariton Erwin Schrott das interessierte Publikum auch ausgiebig an ihrem Privatleben teilnehmen. Aber selbst wenn man den Superlative, mit denen man in Österreich die inzwischen sogar eingebürgerte Russin reichlich bedenkt, eher skeptisch gegenübersteht: sie ist ein Bühnenereignis. Vokal sowieso. Aber auch darstellerisch, wenn sie denn gefordert wird.
Wenn sie wie jetzt, gemeinsamen mit Jahrhunderttenor-Legende Placido Domingo auf dem Besetzungszettel steht, dann ist es fast gleich, was sie singen. Ist es dann noch Verdis verworrene, aber musikalisch schmissige Räuberpistole „Il Trovatore“, dann ist der Erfolg vorprogrammiert. Zumindest der an der Kasse.
Und die hochprofessionelle Russin reisst es natürlich. Wenn sie gegen Ende als die von den feindlichen Brüdern Manrico und Graf Luna heißbegehrte Leonora über mehrere Szenen im Zentrum steht und vor allem singt, ist das schon ein festspielwürdiges Ereignis. Dass sie auch alles spielen könnte, was ein ambitionierter Regisseur verlangt, weiss man auch. In dieser Verdi- Rolle spätestens seit dem schräg stilisierten Trovatore, den Philipp Stölzl und Daniel Barenboim im vorigen Jahr im Schillertheater herausgebracht haben. Auch da war der sich mit erstaunlichem Eifer ins Baritonfach einarbeitende deutlich über Siebzigjährige Domingo Graf Luna. Man staunt über seinen Mut (denn nötig hat er es nicht) und hält ihm bald die Daumen, dass er ohne Blessuren durchkommt. Was ihm auch (überzeugender als in Berlin) tatsächlich gelingt.
Der Jahrhundertsänger ist per se immer noch eine imposante Bühnenerscheinung. Was die Personenführung betrifft gehts freilich nicht über einen Luna der (wortwörtlich immer wieder eingesetzten) rechten Hand nicht hinaus. Zwischen solchen Heroen nützt es dem strahlenden und schön timbrierten Tenor Francesco Meli nicht viel, dass er mit dem Manrico die Titelrolle singt. Der Azucena von Marie-Nicole Lemieux fehlt die dunkel diabolische Dimension, um aus der tragischsten Figur im Stück wirklich Kapital zu schlagen. Die Wiener Philharmoniker im Graben folgen diesmal dem vor allem in Italien erstaunlich hoch geschätzten Daniele Gatti, was mitunter ziemlich pauschal daherkommt. Dabei ist es das Orchester, das aus dem Rosenkavalier ein filigranes Ereignis gemacht hat.
Alte Meister
Der lettische Regisseur Alvis Hermanis hatte im Vorfeld damit kokettiert, dass er sich im Museum nur noch die Alten Meister ansieht. Und dass er auf der Bühne durchaus der altmodischste Regisseur des 21. Jahrhundert werden würde. Nach der Melange aus Ausrede und Rampentheater, die er mit diesem zugegebenermaßen schwer beizukommenden Verdi Hit zelebriert hat, ist er diesem Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Selbst dann, wenn Peter Stein noch ein paar Jahre in Salzburg (heuer mit Schuberts Fierrabras) weiter mitmischt. Natürlich kann man ein Stück wie den Trovatore in ein Bildermuseum verlegen. Wenn man es kann. Wofür es viele gelungene Beispiele gibt. In Salzburg ist es das pure Theatermuseum geworden. Wenn das Aufsichtspersonal und die Museumsbesucher zwischen Uniform, Alltagskleidung und historischen Samtroben hin und her wechseln ist das genauso dekorativ, wie der Wechsel der Bilder und die Bewegung der Museumswände und das Herunterklappen der Glasecken. Das wird Alles zur Ausrede, um sich nicht ernsthaft auf das Durcheinander der Grausamkeiten einzulassen, oder gar eine Beziehung zur Gegenwart herzustellen. (Die stellt sich im Kopf des informierten Zeitgenossen dennoch ein, wenn Manrico, am Ende wie nebenbei die Kehle durchgeschnitten wird. Eine überragende Anna Netrebko, ein beeindruckender Domingo und ein solides musikalisches Drumherum und eine Regie, die zwischen einer Kollektion von Marienbildern und altmeisterliche Porträts in einer Museumsnacht verloren geht.