Mit Georg Friedrich Händels 23. Oper „Riccardo Primo“ kann man heute noch ziemlich Eindruck machen. Selbst, wenn sie als pures historisches Spektakel daherkommt, wie etwa vor vier Jahren bei den Händefestspielen in Karlsruhe. Der Plot, der 1727 dem berühmten Richard Löwenherz eine Bruchlandung auf Zypern beschert und ihn in eine fiese Intrige des dortigen Herrschers verwickelt, ist barocküblich verworren, aber bühnenergiebig. Der exemplarische Opern-Bösewicht, versucht seinem „Gast“ glatt mit der eigenen Tochter die falsche Braut unterzujubeln, um die eigentlich für den Briten vorgesehene, selbst zu behalten. Alles aufgeschäumt zu einem zeittypischen Mix aus Eroberung, Entführung und Erpressung, samt Krieg und Eingreifen eines syrischen (hic!) Prinzen als Retter. Und einem halbwegs glücklichen Ende, versteht sich.
Für das barockmusikaffine Sachsen-Anhalt eigentlich eine Steilvorlage. In Halle gibt es jedes Jahr die weltweit bedeutendsten Händelfestspiele. Und Magdeburg veranstaltet auch schon zum 24. Mal Festtage für den großen Sohn der Stadt Georg Philipp Telemann (1681-1767). Für den nie (wie Händel) nach Europa aufgebrochenen (oder dorthin entflohenen), sondern immer brav daheim in deutschen Landen gebliebenen Landsmann und Zeitgenossen, aber auch Kollegen und Freund Händels waren dessen Opern in seinen Hamburger Jahren an der Gänsemarktoper willkommene Vorlagen, um sie dem Geschmack seines bürgerlichen Publikums anzupassen. „Riccardo Primo“ ist ein Musterbeispiel. Telemann selbst bearbeitete, was aus London kam, beließ den italienischen Arien ihre Facon, aber komponierte neue Rezitative in deutsch hinzu. Deren Autor Christoph Gottlieb Wends amüsiert heute mit dem altmodischen Witz seiner Reime. Alles in Allem gab es für die Hamburger etwas mehr Übersichtlichkeit im barocken Handlungswirrwarr. So wurde aus dem, was in der Londoner Royal Academy of Musik mit den damaligen Weltstars Faustina Bordoni, Francesca Cuzzoni und dem Castraten Senesino startete, zwei Jahre später, 1729 in Hamburg, das Singspiel „Richard Löwenherz“ mit dem Untertitel: „Der misslungene Brautwechsel oder Richardus I., König von England.“
Gerade mit dieser Vorgeschichte könnte und müsste dieser „Richard Löwenherz“ von Telemann und Händel im Theater der Landeshauptstadt eines zunehmend geschichtsbewussten Landes wie Sachsen-Anhalt zu einem barocken Feuerwerk werden, das die Musik feiert und den hochinteressanten, ziemlich „modern“ wirkenden Entstehungshintergrund mitdenkt und aufleuchten lässt.
Leider ist davon nichts zu spüren. Die drei Stunden in der Magdeburger Oper fühlen sich auch wirklich so an. Von den Sängern überstrahlt der italienische Counter Filippo Mineccia (der hierzulande 2015 als Titelheld von Händels „Lucio Cornillo Silla“ Furore gemacht hatte) als Orontes mit seinem leuchtenden Timbre, perfekter Technik und kraftvollem Charisma das gesamte Ensemble. Mit ihm allein auf Augenhöhe: die zum Hausensemble gehörende Sopranistin Raffaela Lintl als seine angebetete Braut Formosa. Johannes Wollrab bietet für den Titelhelden zwar seinen sinnlichen Bariton auf, hat aber doch hörbar Mühe bei den barocken Verzierungen. Die belgische Sopranistin Juliette Allen, die zum Opernstudio von David Sterns Ensemble „Opera Fuoco“ gehört, vermag als Berengera mit technischer Perfektion, immerhin die Zartheit ihrer Stimme auszugleichen. Die kurzen Auftritte von Florentina Soare als Berengeras Begleiterin Philippus machen zumindest neugierig auf die Möglichkeiten dieses volltönenden Mezzos. Louis Rouiller schließlich entkommt seiner albernen Aufmachung als zypriotischer Diktator mit Rauschebart auch stimmlich nicht.
Szenischer Witz entsteht am Ende höchstens mal unfreiwillig
Das größte Manko dieser Produktion ist die Inszenierung. Ausstatter Simon Banham hat sich auf historisierende Gewänder (was ihm nur bei Löwenherz und Orontes gelingt), auf sieben hintereinander gestaffelte grafische Wolkenprospekte und eine Wasserschüssel an der Rampe (wozu auch immer) rausgeredet. Und der Regisseur Michael McCarthy auf Auf- und Abgänge. Auch die Chance, die das von Telemann dazu erfundene komische Paar aus altem Philosophen Gelasius (Mezzosopranistin Alexia Macbeth) und verwitweter Murmilla (Tenor Marco Angioloni) bietet, bleibt im anbiedernden Klamauk stecken. Szenischer Witz entsteht am Ende höchstens mal unfreiwillig. Da nicht allzu abgelenkt, erwischt man sich schon mal bei dem Gedanken, was wohl Axel Köhler, Kobie van Rensburg oder auch Nigel Lowery aus dem Ganzen gemacht hätten. Im Graben schlagen sich immerhin David Stern und die Musiker der Magdeburgischen Philharmonie und Mitgliedern der Opera Fuoco höchst achtbar. Retten können sie das eher flügellahme Unternehmen aber nicht. Ein Glück übrigens, dass es auch für die deutschen Rezitative Übertitel gibt. Wer keine Lust zum Mitlesen hat, der hätte diesmal nichts von Telemanns publikumsfreundlicher Neuerung gehabt. Das Premierenpublikum war zum Beifall für alle entschlossen.