Keine Asterix-Druiden, keine Römer mit Helm und Lendenschurz. Ein berückendes Kammerspiel inmitten fader Regie.

Norma (Roberta Mantegna, oben stehend). © Tom Schulze
„Norma lügt nicht“ – Oper Leipzig hadert mit Vincenzo Bellini
Wer an Vincenzo Bellinis Oper „Norma“ denkt, hat „Casta diva“ im Ohr und hört im Geiste La Callas womöglich gleich mit. Als diese lyrische Tragödie, 1831 an der Mailänder Scala uraufgeführt, am 1. Dezember nun endlich ihre erste Premiere an der Oper Leipzig feiern konnte, schien dieses Thema der vermeintlich keuschen Göttin zum zentralen Moment des Abends zu werden. Geplant war eine Produktion der „Norma“ zwar schon für 2021 unter dem damaligen Intendanten Ulf Schirmer, die Corona-Pandemie machte dem Vorhaben jedoch einen Strich durch die Rechnung. Dass Nachfolger Tobias Wolff dieses Vorhaben nun in seinem dritten Amtsjahr Realität werden ließ, schien zunächst einmal verdienstvoll und war obendrein die Rettung für ein überflüssig gewordenes Bühnenbild, das 2020 für „Las Barbares“ von Camille Saint-Saëns geschaffen wurde, aber ebenfalls pandemisch verfiel.
Am Haus will dieser Umstand im Sinne von Nachhaltigkeit positiv verstanden werden. „Norma“-Regisseur Anthony Pilavachi verdankt ihm allerdings die wohl besten Ideen für seine Inszenierung. Denn das vielleicht eine Unterkirche darstellende Tonnengewölbe dient vorzüglich als Lazarett für die leidvollen Kämpfer im gallischen Krieg gegen die römischen Imperatoren, ist zudem ein famoser Klangraum und lässt sich mit einem gläsernen Abteil ganz praktisch zum Kleinstraum abtrennen, in dem dann besagtes Thema wieder und wieder abgestimmt werden kann und ergreifendes Kammerspiel untermalt. Denn Anklänge an diese Cavantine ziehen sich durch fast den ganzen Abend, insbesondere im nachhaltig berührenden Duett zwischen der Oberpriesterin Norma und ihrer Novizin Adalgisa. Beide dürfen hier abgründig tiefe Gefühle zeigen, ebenso Verletzungen und Enttäuschungen, letztes Hoffen und Verzweiflung, wie sie Bellini in berührende Musik gegossen hat.
All dies funktioniert natürlich nur, wenn es von brillanter Stimmkunst und der Gabe zu szenisch überzeugendem Spiel getragen ist. Jede wie auch immer geartete Callas-Kopie wäre fehl am Platze, hier ist eigene Größe gefragt, wie sie die sizilianische Sopranistin Roberta Mantegna als Norma und die Leipziger Mezzosopranistin Kathrin Göring als Adalgisa in großartiger Weise aufbieten. Bei beiden kommen vokale Inbrunst und emotionales Wissen zum Tragen. „Norma lügt nicht“, das Versprechen der Titelfigur, ist geradezu doppelsinnig zu deuten.
Oberpriesterin mit Kindern und Rivalin
Allein dieses intime Zusammenspiel lässt vergessen, dass diese Oper ursprünglich im ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung spielt und die kultisch religiösen Kämpfe zwischen Römern und Galliern zum Inhalt hat. Dieser schon immer unzeitgemäßen Gewalt trotzt denen ausgerechnet die Tochter des höchsten Druiden, Oberpriesterin Norma, aus purer, echter Liebe, da sie just ein inniges Verhältnis mit dem römischen Prokonsul Pollione pflegt. Damit nicht genug: Sie hat auch zwei Kinder mit ihm und in der Novizin Adalgisa obendrein eine Rivalin. Denn der römische Feldherr ließ es sich nicht nehmen, die Herzen von gleich zwei Gallierinnen zu erobern. Und das, obwohl diese Frauen eigentlich strengste Keuschheitsgelübde abgelegt hatten.
Auf gallische Druiden mit Asterix-Zöpfen sowie auf Römer mit Helm und Lendenschurz wird glücklicherweise verzichtet. Die Kostüme stammen ebenso wie das eingehegte Bühnenbild von Markus Meyer und führen ins frühe 20. Jahrhundert. Stellenweise ließ sich an Mussolinis Eroberungszüge und später an die Resistenza denken. Ein blutrot an die Wand gesprühtes Graffito „Fuori i fascisti“ („Faschisten raus“) hätte es da gar nicht gebraucht. Die ungelenk gestalteten Chorszenen mit reichlich Rampengesang legten den Gedanken nahe, dass Anthony Pilavachi dieses Kammerspiel Norma / Adalgisa eher als Verlegenheitslösung gelang. Mit nobler Gesangs- und Spielkultur retten Roberta Mantegna und Kathrin Göring den Abend, indem sie absolut überzeugend um ihre Gefühle ringen, um Liebe, Eifersucht und Verrat. Was soll nach Rache und Opferkult nur aus den Kindern werden, die wunderbar individualistisch in diesem Szenario integriert worden sind?
In dieses Ringen stimmt der US-amerikanische Tenor Dominick Chenes als Feldherr Pollione vokal auf ähnlichem Niveau ein, wirkt spielerisch freilich mehr wie ein klägliches Abbild von FDP-Politikus Christian L., der überall mitmischen will, aber nirgendwo ehrlich sein kann. Normas Vater Oroveso jedoch, der oberste der Druiden, schien mit dem sehr kehlig gepresst klingenden Bass von Randall Jakobsh bedauerlich fehlbesetzt gewesen zu sein, während der Leipziger Opernchor einmal mehr durch gelungene Balance aus Sensibilität und Stärke mit einem runden Klangbild überzeugte.
Ähnliches hätte man vom Gewandhausorchester gewünscht und erwartet, das hier und da auch tatsächlich fabelhafte Farben und Schattierungen hervorbrachte, unter der nur wenig inspirierenden Leitung des aus Apulien stammenden Dirigenten Daniele Squeo dem Chor und den Solisten aber immer mal wieder hinterherhinkte und dadurch die Gesamtwirkung dieser „Norma“ ebenfalls schmälerte.
Dennoch gab es für die musikalische Seite eine Menge Beifall, wiederholt auch heftigen Szenenapplaus, die Regie hingegen ist zur Premiere deutlich abgestraft worden.
- Termine: 7., 11. und 20. Dezember 2024, 12. und 24. Januar 2025.
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