Im 19. Jahrhundert spielte man in der Karwoche, wenn nicht gar zu Ostern, auf der Opernbühne Méhuls „Joseph“. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dann Wagners „Parsifal“. Im Konzertsaal und in den Kirchen gehörten natürlich seit seiner Wiederentdeckung die Passionen Johann Sebastian Bachs zum vorösterlichen und österlichen Repertoire. Die genannten Werke sind indes höchst unterschiedlich. Harrison Birtwistle nun hat versucht, eine Summe zu ziehen aus 2.000 Jahren christlicher Erfahrungen, und seien es die unchristlichsten. Jedenfalls hat er mit seinem dramatischen Tableaux „The Last Supper“, das er auf ein vielsprachiges Libretto von Robin Blazer komponierte, nicht mehr und nicht weniger als die „Karfreitagsoper“ unserer Tage geschrieben, die alle heilsgeschichtlichen und kirchengeschichtlichen Fragen auf einmal zu beantworten sucht.
Die Opern komponierenden britischen Komponisten haben Hochkonjunktur: An der Berliner Staatsoper Unter den Linden erlebte Harrison Birtwistles „The Last Supper“ (Das letzte Abendmahl) unter Daniel Barenboims musikalischer Leitung seine Uraufführung. In London wurde an der English National Opera Mark-Anthony Turnages Oper „The Silver Tassie“ zum ersten Mal aufgeführt. Inzwischen ist die Oper auch im Dortmunder Opernhaus gezeigt worden. Im 19. Jahrhundert spielte man in der Karwoche, wenn nicht gar zu Ostern, auf der Opernbühne Méhuls „Joseph“. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dann Wagners „Parsifal“. Im Konzertsaal und in den Kirchen gehörten natürlich seit seiner Wiederentdeckung die Passionen Johann Sebastian Bachs zum vorösterlichen und österlichen Repertoire. Die genannten Werke sind indes höchst unterschiedlich. Harrison Birtwistle nun hat versucht, eine Summe zu ziehen aus 2.000 Jahren christlicher Erfahrungen, und seien es die unchristlichsten. Jedenfalls hat er mit seinem dramatischen Tableaux „The Last Supper“, das er auf ein vielsprachiges Libretto von Robin Blazer komponierte, nicht mehr und nicht weniger als die „Karfreitagsoper“ unserer Tage geschrieben, die alle heilsgeschichtlichen und kirchengeschichtlichen Fragen auf einmal zu beantworten sucht. class="bild">Die Grundidee des unentschieden, aber auf hohem musikalischem Niveau zwischen Oratorium und Oper oszillierenden Stücks ist eine Wiedereinberufung eines letzten Abendmahls, 2.000 Jahre danach, heute also, mit den widersprüchlichen Erfahrungen dieser 2.000-jährigen Geschichte, die die elf Apostel Jesu beschämt und ratlos diskutieren. Sprecher des Hier und Heute im Prolog vor allem, Evangelist gewissermaßen, ist die Figur des „Ghost“, die von Susan Bickley mit großer, schöner Stimme vorgetragen wird.
Es sind die Fragen nach dem Warum der höchst unchristlichen Geschichte in christlichem Geiste, nach dem Wo des versprochenen Paradieses und der zentralen Botschaft Jesu Christi, die im Zentrum des neuen und mit zwei pausenlosen Stunden abendfüllenden Werks Harrison Birtwistles stehen. Die Bilanz ist ernüchternd. Wo der Mensch sich betätigt hat, hat er vor allem Trümmer hinterlassen, politische und moralische Despotie, Zerstörung und Lieblosigkeit.
Das Libretto Robin Blazers lässt diesbezüglich keine Fragen offen, nennt alles Heikle beim Namen, ergreift Partei für die Entrechteten und Ausgegrenzten, die Gemordeten und Unterdrückten, die Juden wie die Homosexuellen. Es sind denn auch viele verschiedene Quellen, aus denen er seinen Text, der vornehmlich in moderner Prosa daherkommt, speist: mittelalterliche englische Dichtung, lateinische Dichtung des Mittelalters und Altgriechisches. Vor allem der Chor, der als Chorus mysticus agiert, erhält mit dem Singen alter Texte, stets homophon und deklamierend in archaisierendem Stil, eine ähnliche Bedeutung wie die des Chorals im Bach’schen Oratorium.
Im Mittelpunkt des „Letzten Abendmahls“ von Harrison Birtwistle steht zweifellos der ganz unerwartete Auftritt von Jesus, der, wie schon zuvor seine Jünger, durch den hellen Zeitentunnel, den der Bühnenbildner Alison Chitty entwarf, im weißen Anzug in die Gegenwart hineingebeamt wird. Er beantwortet alle Fragen und verblüfft in seiner Predigt an rot gedeckter Anbendmahlstafel mit eindeutiger Botschaft: er redet dem Leib, der Liebe, der Sinnlichkeit und dem Leben an sich das Wort.
Indem Harrsion Birtwistle und sein Librettist Robin Blazer den Jesus ihres „Letzten Abendmahls“ zu einer sehr weltlichen Integrationsfigur christlichen und jüdischen Denkens machen, fern aller Sinnenfeindlichkeit und jeden Dogmatismus’, und einen Jesus zeigen, der nach 2.000 Jahren unchristlicher Geschichte sogar Judas, wie auch den elf Aposteln, die Füße noch einmal wäscht und explizit sein großes Herzeleid über die Verbrechen des Holocaust äußerst, erhält der Jesus dieses dramatischen Tableaux‘ geradezu ökumenische Dimension. Wagners Parsifal und Mehuls Joseph sind nichts gegen Birtwistles Jesus. Da hätten wir nun also die neue „Karfreitagsoper“ des 21. Jahrhunderts.
Wenn es sich denn überhaupt um eine Oper handelt. Die statuarische, undramatische Handlung, die Einheit des Ortes, die eigentliche Konfliktlosigkeit sprechen gewiss gegen die Gattung Oper. Musikalisch ist das neue Œuvre Birtwistles indes von einer Komplexität des Schlichten. Seine stilisierte Reihentechnik metrischer Pulsationen, seine Allusionen an Modelle des Mittelalters und der Renaissance, seine Rückgriffe auf Ideen des griechischen Theaters, seine ausgepichte Farbenfülle und schillernde Kantabilität, all das geht trotz kammermusikalischer Besetzung in seiner Klangfülle und musikalischen Struktur über Oratorisches weit hinaus. Daniel Barenboim, der engagierte Geburtshelfer am Pult, lässt Birtwistles Musik von der Staatskapelle wie glitzernde Elfen-, ja Sphärenmusik spielen. Er setzt sparsame Akzente. Alle schroffen Modernismen à la Strawinsky, die ohnehin heute niemanden mehr erschrecken, werden abgemildert zugunsten einer weichen und versöhnenden, um nicht zu sagen verschönenden Lesart, der die höchst elegante, reichlich rituelle, immer wieder ins Tänzerische choreografierte Inszenierung von Martin Duncan Rechnung trägt.
Es ist eine schlichte, mit sparsamen Projektionen archaischer Schriften und zentraler Begriffe arbeitende Inszenierung ohne alle aufgesetzten Eitelkeiten. Der Abendmahlsgesellschaft von heute unter großer Digitaluhr und vor meist blau illuminierter Wand, setzt Martin Duncan auf höherer Ebene immer wieder historische Passionsszenen in realistischer Oberammergau-Ästhetik entgegen, die nicht ohne Ironie und Augenzwinkern zu verstehen ist. Vielleicht ist es dieses Moment britischen Humors, das das zutiefst christliche und ernste Bühnenweihfestspiel trotz offenem Ende vor jeder Art von Peinlichkeit bewahrt.