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Das in diesem Jahr zum vierten Mal in der Deutschen Ensemble Akademie Frankfurt stattfindende Nachwuchsforum der Gesellschaft für Neue Musik in den Sparten Komposition, Interpretation und Musikwirtschaft ist mehr ein freundschaftliches Treffen zum Erfahrungen weitergeben als ein traditioneller Wettbewerb mit abschließender Preishierarchie. Weder gibt es bei den kammermusikalischen Uraufführungswerken und ausgewählten Interpretationen für zeitgenössische Musik noch bei den drei musikwissenschaftlichen Arbeiten zu den analytisch sperrigen Werken von Giacinto Scelsi, Hans-Joachim Hespos und Helmut Lachenmann eine Rangfolge. Während der intensiven Probenwoche mit abschließenden Workshops, Lectures und Konzerten wurden vielmehr unter kompetenter Betreuung von Georg Katzer die Werke ohne den üblichen Zeitdruck exemplarisch einstudiert und die musikalischen Arbeiten vorgestellt und öffentlich diskutiert.
Mit dem programmatischen Titel „Instrument und Instrumente“ war freilich auch den den Werken und Abhandlungen ein gewisser Rahmen vorgegeben. So stand weniger die Ästhetik im Vordergrund, sondern zunächst die klangliche und spieltechnische Auseinandersetzung mit dem gewählten Instrumentarium. Handwerkliches Niveau und Personalität waren bei der Auswahl der Werke die maßgeblichen Kriterien. In der Generalprobe zu Chao-Ming Tungs „Energie“ für Violine, Viola, Violoncello, Kontrabaß und Klavier wurden entsprechend rein instrumentale Fragen geklärt. Wie soll auf der Violine die klangliche Verbindung zwischen einem leisen Flageolett und einem unmittelbar folgenden, preßkantilenhaften Aufstrich realisiert werden? Soll zwischen beiden klanglichen Ereignissen ein Bruch hörbar sein? Ist der leise Ton nur die Vorbereitung des lauteren? Endet mit dem leisen Ton ein Abschnitt und beginnt ein neuer? Tungs Komposition ist ein anschauliches Beispiel für das Ausdrucksbedürfnis eines jungen Komponisten mit klanglich avancierten Mitteln. Das Engagement, mit dem sich die Musiker des Ensemble Modern unter der Leitung Renato Rivoltas dem neuen Werk und den Wünschen des Komponisten widmeten, war beispielhaft. Im gegenseitigen Austausch merkte der Komponist, wo das Klangresultat vielleicht mit weniger Aufwand an Notationszeichen eindeutiger schriftlich gemacht werden kann.
Der international renommierte Klarinettist und stilistisch nicht festgelegte Michael Riessler demonstrierte in seinem Vortrag über „Das Instrument als Filter der Stimme“ die Möglichkeiten der Sprach- und Lautbehandlung während gleichzeitigem Instrumentalspiel. Wichtig ist Riessler ein traditionsloser Umgang mit dem Instrument. Seine Musik soll spontan und unbelastet von bereits bestehender Literatur entstehen. so betrachtet er die Baß-Klarinette zunächst einfach als ein Rohr, in das hineingeblasen werden kann. Um dem Widerstand der Geschichte nicht trotzen zu müssen, entfernt Riessler das Mundstück vom Instrument und benutzt es als eine Art Didgeridoo.
Scelsi graphisch dargestellt
Als einzigartig kann die Präsentation musikologischer Arbeiten zur musikalischen Zeitgeschichte gelten. In ihren Arbeiten über Giacinto Scelsis „Anahit“ (Christine Anderson) und Hans-Joachim Hespos (Theresia Fleck) hatten sich die Musikwissenschaftlerinnen zwei Kompositionen genähert, die bislang als nur bedingt analysierbar galten. Die Kategorien ihrer Analysen mußten sie zunächst selbst definieren. Anderson kam so zu einer graphischen Darstellung der Musik Scelsis, von der aus sie die raum-zeitliche Klangbewegung sprachlich machte.
Theresia Fleck wählt für ihre Betrachtung der Musik von Hespos das Modell der Selbstähnlichkeit, wie es in der Chaosforschung unter dem Begriff Fraktal seit langem eingeführt ist. Mit diesem Modell überwindet sie den von Hespos selbst immer wieder erzeugten Widerspruch: Musik sei eigentlich nicht notierbar, dieses müsse allerdings sehr genau geschehen. Hinter dem handwerklich motivierten Titel „Instrument und Instrumente“ des vierten Nachwuchsforums der Gesellschaft für Neue Musik steckte freilich auch die Frage nach dem gleichermaßen kompositionstechnisch, ästhetisch wie auch soziologisch brisanten Verhältnis des einzelnen zur Gruppe.
Angesprochen wurde das gewandelte Verständnis des Solisten in der Musik unseres Jahrhunderts in den Vorträgen vom Pianisten Hermann Kretzschmar und dem aus dem vollen schöpfenden Friedrich Goldmann. Für Komponisten ebenso wie für Solisten besteht seit Arnold Schönbergs solistisch besetzter und für die Musik unseres Jahrhunderts wegweisender erster Kammersinfonie die Notwendigkeit der steten Definition der Solistenrolle. Wenn alle Instrumente solistisch besetzt sind, wie kann dann noch ein Solo komponiert werden? Goldmann zeigte an „Domaines“ für Klarinette mit oder ohne Orchester, daß unter der variablen Ensemblebesetzung die Grenze zwischen Solo, Duo, Trio und so weiter vollkommen fließend geworden ist. Das Spiel des einzelnen Instruments bedeutet hier das Hervorheben seiner spezifischen klangfarblichen Möglichkeit, die mit den nächsthöheren Formationen vermischt werden, worauf auch die Musiktheoretikerin Josefine Horn in ihrer Wettbewerbsarbeit über Helmut Lachenmanns „Notturno“ hinwies.
Goldmanns Darstellung fand in der Uraufführung von „Apoteosi del blu“ für G- und Baßflöte, Baß- und B-Klarinette, Streicher, Klavier und Schlagzeug des 1971 geborenen Italieners Valerio Sannicandro ihren klingenden Beweis. Sannicandro vermittelt seine tremolodurchsetzte Musik bruchlos zwischen den variablen Kleingruppen des Ensembles. Immer wieder blitzen tonal eingefärbte Sololinien aus dem polyphonen Geschehen heraus, bedeuten jedoch keine direkte solistische Hervorhebung. Vielmehr handelt es sich bei der vereinzelten Linie des Cellos oder der abschließenden Violinlinie um melodiehafte Haltepunkte als Ausgleich zu den sonst von klangfarblich unterschiedlichen Gongs und einem latenten Puls der großen Trommel eingefärbten Abschnitten.
Der Trojahn-Schüler Martin Curschmann, Jahrgang 1969, treibt das Spiel der Definition der Ensembleinstrumente nach dem Wiederholungsprinzip weiter. In seinem „Quintett“ für Flöte, Klarinette, Viola und zwei Klaviere teilt er die Instrumente in zwei unabhängige Gruppen auf. Während Klavier und Flöte fortwährend melancholische Melodieschleifen als Symbol für vergangene Einheitlichkeit intonieren, durchkreuzt das verbleibende Trio die gleichmütige Musik mit eruptiven Forteausbrüchen. Curschmann läßt dabei offen, bei welchem Idiom sein Herz schneller schlägt. In „Zombies“ für zwei Violinen, Harfe und Klavier des impulsiv komponierenden Holger Klaus wird das Verhältnis Solo/Tutti herumgedreht. Wimmernde, gezogene Töne der Harfe sind hier die Marginalien eines nicht mehr so recht klingenden Solos, während sich zwischen den Klagelauten des romantischen Instruments die Ensembleinstrumente abschnittartig in ungebändigtem Linienspiel erschöpfend austoben.
Eine Frage der Aktualität
Péter Köszeghys fragte in „Kykolp“ für Flöte, Oboe, Violine, Viola, Violoncello, Horn und Klavier abschließend noch einmal nach der kompositorischen Aktualität solistischen Musizierens. die introvertierte Hornlinie steht hier zwar klanglich über längere Strecken über den Ensembleinstrumenten, diese erzeugen jedoch mit vollgriffiger Akkordik und wuchtiger Intonation eine distanziert-überspitzte Kommentarebene zu dem Blasinstrument. So geht letztlich die gefordert saubere Intonation der Hornstimme im zugespitzten Konzertieren des Solisten-Ensembles gänzlich unter.
Als herausragende Interpreten des Nachwuchsforums konnten der mit modernen Spieltechniken bestens vertraute Akkordeonist Wolfgang Dimetrik und der nicht minder versierte Saxophonist Christoph Kirschke mitreißen. Dimetrik vermittelte in Magnus Lindbers „Jeux d‘anches“ bruchlos zwischen balgintensiver, überstürzender Rhythmik und nur mehr leise atmenden Einzeltönen, während Kirschke in Conrado del Rosarios „Ringkaran“ für Altsaxophon virtuos und mit sicherem Instinkt die raumgreifende Wirkung der Multiphon-Effekte seines Instruments zum Klingen brachte.